Florian Kohfeldts Spitze gegen Werder-Boss Klaus Filbry und Leonardo Bittencourt

Werder Bremens Ex-Trainer Florian Kohfeldt wehrt sich in einem Interview gegen Vorwürfe von Werder-Boss Klaus Filbry und Spieler Leonardo Bittencourt. Außerdem spricht er über Niclas Füllkrug, Ilia Gruev und Job-Angebote.
Bremen – Eigentlich könnten sich alle, die es mit dem SV Werder Bremen halten, gerade entspannt zurücklehnen. Der Aufsteiger hat nach 22 Spieltagen 30 Punkte auf dem Konto und steht auf Rang neun im gesicherten Mittelfeld mit einem Elf-Punkte-Polster auf den Relegationsplatz. Dass bei den Grün-Weißen dennoch eine gar nicht so geringe Restsorge vorhanden ist, hängt mit dem Abstieg vor zwei Jahren zusammen. Damals verspielten die Bremer einen ähnlichen Vorsprung. Der damalige Coach Florian Kohfeldt musste sich den Vorwurf gefallen lassen, er habe zu früh den Abstiegskampf-Modus verlassen. Gegen diesen Vorwurf wehrt sich der 40-Jährige nun und verteilt im Interview mit dem „kicker“ eine Spitze gegen Werder-Boss Klaus Filbry und Leonardo Bittencourt. Zudem vergleicht Kohfeldt Werders Sechser Ilia Gruev mit Joshua Kimmich und lobt Sportchef Frank Baumann sowie die medizinische Abteilung für ihre Einschätzung im Fall Füllkrug.
Seit Ende der vergangenen Saison ist Florian Kohfeldt ohne Job. Der VfL Wolfsburg hatte ihn völlig überraschend nach dem letzten Spieltag entlassen. Dabei war der Coach erst im Herbst als Nachfolger von Mark van Bommel verpflichtet worden und hatte mit dem schwächelnden Champions-League-Teilnehmer nach einer schwierigen Saison zumindest den Klassenerhalt geschafft. Doch anders als die sportliche Führung um Jörg Schmadtke und Marcel Schäfer wollte der Aufsichtsrat nicht riskieren, dass durch einen möglichen Fehlstart in die neue Saison gleich wieder eine Drucksituation entstehe. „Ich habe mit allen, besonders Jörg, weiter einen sehr guten persönlichen Austausch. Auch wenn ich immer noch nicht genau weiß, warum die Entscheidung letztlich so ausfiel“, berichtet Kohfeldt.
Werder Bremen-Ex-Trainer Florian Kohfeldt stellt sich vor Max Kruse
Im Rückblick auf seine Wolfsburger Zeit stellt er sich auch vor Max Kruse, den der VfL im Winter von Union Berlin losgeeist hatte, um wieder in die Spur zu kommen. Doch trotz seiner sieben Tore und einem Assist in 14 Einsätzen stand Kruse fast dauerhaft in der Kritik – auch wegen seiner nicht-sportlichen Auftritte. „Max kann mit seiner Spielweise andere besser machen, auch auf dem Niveau des VfL. Aber: Dazu muss in Mannschaft und Umfeld Akzeptanz für die Person Max Kruse herrschen. In Bremen war das durchgehend zu 100 Prozent so, in Wolfsburg nie“, betont Florian Kohfeldt: „Trotzdem bleibt unstrittig, dass Max seinen Anteil hatte am letztlich souveränen Klassenerhalt. Dass dann über ganz viele Nebensächlichkeiten geredet wird, während man vergisst, was Max auf dem Platz geleistet hat, finde ich absurd.“
Apropos Kruse. Mit dem Spielmacher erlebte Florian Kohfeldt seine erfolgreichste Zeit bei Werder Bremen, nach dessen Wechsel in die Türkei stürzten die Bremer ab. Seitdem heißt es gerne, Kohfeldt könne nicht ohne Kruse. „Genau“, antwortet der 40-Jährige darauf im „kicker“-Interview und fügt lachend an: „Deshalb wird Max jetzt ja auch mein Co-Trainer.“ Passen könnte es schon, denn auch Kruse ist seit Herbst nach seiner Vertragsauflösung beim VfL Wolfsburg auf Jobsuche. Kohfeldt habe zwar schon die eine oder andere Offerte gehabt, aber nur eine davon hätte er auch gerne angenommen: „Von einem Erstligisten im Ausland. Der Verein hat sich dann leider final anders entschieden.“
Abstieg mit Werder Bremen: Florian Kohfeldt wehrt sich gegen Vorwürfe von Klaus Filbry und Leonardo Bittencourt
Geduld ist gefragt. Es muss passen – so wie beim SV Werder Bremen, den er weiter als „Herzensangelegenheit“ bezeichnet. Deshalb schmerzt es ihn offenbar umso mehr, wenn durch Aussagen anderer Grün-Weißen ein aus seiner Sicht falscher Eindruck entstanden sein könnte. So haben sowohl Werder-Boss Klaus Filbry als auch Mittelfeldspieler Leonardo Bittencourt öffentlich angemerkt, dass es vom Trainer ein Fehler gewesen sei, nach dem 2:0-Sieg in Bielefeld und der Fast-Rettung mit elf Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz nach dem 24. Spieltag den Schwerpunkt auf besseren Fußball verschoben zu haben. „Nur weil Geschichten wiederholt werden, werden sie nicht wahrer“, schießt Florian Kohfeldt nun mit deutlichen Worten zurück.
„Ab jetzt geht es darum, die nächsten Monate besseren Fußball zu spielen“, hatte Kohfeldt kurz nach dem Abpfiff auf der Alm gesagt. Er habe dabei nur auf folgende Frage reagiert, sagt er nun: „Jetzt sind Sie doch praktisch gerettet, jetzt wäre es doch schön, wenn wir wieder an die Werder-Kultur anknüpfen könnten. Darauf habe ich geantwortet: Natürlich, wie die gesamte Saison werden wir uns um fußballerische Elemente bemühen – aber wir sind noch nicht durch. Das war immer meine Kernbotschaft. Deshalb wehre ich mich vehement gegen die Interpretation: Der Trainer wollte etwas ändern, deshalb sind wir abgestiegen.“ Natürlich trage er die Verantwortung für, „alles, was bis zum 33. Spieltag passierte. Ich stelle nur klar: Die interne Kommunikation mit Spielern wie Verantwortlichen war nie darauf ausgerichtet, dass wir locker sein könnten. Im Gegenteil: Mir wurde eher geraten, nicht zu vergessen, dass wir auch Lockerheit brauchen.“
Florian Kohfeldt ärgert sich über fehlenden „Schuss Enthusiasmus“ nach Werder Bremen-Rettung 2020
Bei einem weiteren Vorwurf von Filbry, er hätte die Gelb-Rote Karte von Christian Groß im Abstiegskrimi am 33. Spieltag in Augsburg durch eine Auswechslung verhindern können und damit auch die 0:2-Pleite, ist Florian Kohfeldt dagegen der Meinung seines ehemaligen Chefs: „Es bricht mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich sage: ,Grosso‘ nicht in der Halbzeit auszuwechseln, war ein Fehler.“
Das ärgert Florian Kohfeldt, aber noch mehr wurmt ihn dieser „Schuss Enthusiasmus“, der ihm und dem Gesamtkonstrukt nach dem nur knapp geschafften Klassenerhalt 2020 gefehlt habe. „Diesen Vorwurf mache ich mir tatsächlich: Dass ich in dieser Saison unter dem Eindruck des Vorjahres und den Umständen der Corona-Pandemie nicht mehr die Begeisterung ausstrahlen konnte wie in den Jahren davor. Das merkt eine Mannschaft. Und dann ist man als Trainer nicht mehr so gut.“ Ein freiwilliger Rückzug wäre aber kein Thema gewesen, dazu sei die Verbindung zu Werder Bremen viel zu besonders. Und er ist froh, dass ihm die Fans immer noch „sehr freundlich zugewandt“ seien. „Ich habe mal gesagt: Die größte Angst ist, dass ich auch ein Stück Heimat verliere, wenn es hier mal vorbei ist. Heute kann ich sagen: Das ist nicht passiert. Ein sehr schönes Gefühl.“
Werder Bremen-Ex-Trainer freut sich über Niclas Füllkrug und vergleicht Ilia Gruev mit Joshua Kimmich
Florian Kohfeldt lebt weiterhin mit seiner Familie in Bremen, mit vielen Verantwortlichen bei Werder Bremen sei er freundschaftlich verbunden. Dazu zählt natürlich auch Niclas Füllkrug, über dessen Entwicklung er sich ganz besonders freut. „In schwachen Momenten kommt auch mal der Gedanke auf: Was wäre gewesen, wenn wir in die damals sehr gut funktionierende Mannschaft den deutschen Nationalstürmer hätten integrieren können, der ,Fülle‘ heute ist?“ Doch der damals als Ersatz für Kruse verpflichtete Füllkrug fiel schnell mit einem Kreuzbandriss aus und brauchte lange, um sich gänzlich davon zu erholen. Jetzt überwiege die Freude, so Kohfeldt, „dass die sportliche Einschätzung vor allem von Frank Baumann richtig war. Und darüber, dass die Mediziner bestätigt wurden: Sämtliche Vorverletzungen bedingten bei Niclas eben kein erhöhtes Verletzungsrisiko.“
Und noch ein Profi des SV Werder Bremen taucht in Kohfeldts Interview auf: Ilia Gruev, der sich über einen Vergleich mit Nationalspieler Joshua Kimmich vom FC Bayern freuen darf. So verrät der Coach, dass er gerne einen spielstarken Sechser in seinem Kader habe, der diese Position mit Ball auch alleine bekleiden könne. Den gebe es längst nicht in jedem Verein. „Ganz hoch gegriffen, ist Joshua Kimmich so ein Spieler. Und rein vom Typ her erfüllt auch zum Beispiel Ilia Gruev bei Werder dieses Profil.“ (kni)