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„Werder wird immer eine Option sein“: Kaderplaner Tim Steidten im Interview über seinen Abschied bei Bayer Leverkusen und besondere Transfers

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Von: Björn Knips

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Früher war Tim Steidten Kaderplaner bei Werder Bremen, danach bei Bayer Leverkusen, jetzt wartet er auf ein neues Projekt.
Früher war Tim Steidten Kaderplaner bei Werder Bremen, danach bei Bayer Leverkusen, jetzt wartet er auf ein neues Projekt. © gumzmedia (Archiv)

Seltene Einblicke hinter die Kulissen: Im DeichStube-Interview spricht Kaderplaner Tim Steidten über Werder Bremen, seinen Abschied von Bayer Leverkusen, besondere Transfers und mehr.

Bremen – Er gehört zu einer besonderen Spezies im Profi-Fußball: Tim Steidten ist Kaderplaner. Die Guten sind sehr begehrt, weil sie den Clubs die Talente besorgen. Bayer Leverkusen warb Steidten vor vier Jahren vom SV Werder Bremen ab. Er lotste so vielversprechende Spieler wie Florian Wirtz, Piero Hincapie oder Jeremie Frimpong zum Werksclub. Nun kam es zur überraschenden Trennung. Warum, das erklärt der 43-Jährige im Gespräch mit der DeichStube. Der gebürtige Bremer, der mit seiner Familie immer noch in der Hansestadt lebt, spricht auch über die Chancen der Grün-Weißen, über seine spannendsten Transfers und über seine Zukunft.

Tim Steidten, wo würden Sie jetzt sein, wenn Sie noch für Leverkusen als Kaderplaner im Einsatz wären?

In England.

Warum gerade dort?

Da wollte ich mir ein paar interessante Spieler angucken. Und London ist schon so etwas wie das Herz des europäischen Fußballs. Was sich da an interessanten Vereinen und vor allem auch an Beratern tummelt, das ist schon Wahnsinn.

Eine Fußballer-Börse?

Absolut. Gerade in der Transferphase halte ich mich gerne in London auf. Da werden viele Transfers umgesetzt. Ich mag es einfach, persönlich mit den Menschen zu sprechen und nicht nur am Telefon. Italien macht es da eigentlich optimal.

Inwiefern?

Während der Transferphase treffen sich alle Vereine gemeinsam in einem großen Hotel. Da kannst du dann von Zimmer zu Zimmer gehen und Transfers mit den Clubs abwickeln. Das ist schon speziell, klappt aber gut.

Werder Bremen-Ex-Kaderplaner Tim Steidten über Abschied von Bayer Leverkusen: „Lust auf neues Projekt verspürt“

Noch einmal zurück zu Bayer Leverkusen: Ex-Werder-Profi Simon Rolfes hat Sie vor knapp vier Jahren aus Bremen losgeeist. Warum sind Sie nun schon wieder weg?

Simon wollte jemanden haben, der eine neue Scoutingabteilung mit Recruitment-Prozessen aufbaut und mit ihm zusammen einen Kader zusammenstellt mit jungen Spielern mit viel Potenzial, die den sportlichen Ansprüchen gerecht werden. Ich habe das Gefühl, dass der Auftrag erfüllt ist.

Sportlich läuft Bayer den Ansprüchen in dieser Saison allerdings hinterher.

Das stimmt. Das ist aber kein Widerspruch zum Ziel. Junge Spieler machen Fehler, brauchen auch mal Zeit. Das war bei uns leider vermehrt der Fall. Der Kader hat trotzdem sehr viel Potenzial.

Umso reizvoller müsste es doch sein, diese Entwicklung mitzugestalten?

Ich kann mich vor allem für Projekte begeistern. Jetzt habe ich eine Lust verspürt, ein neues Projekt anzugehen.

Welches wird das sein?

Ich bin total offen, habe auch noch bei keinem Verein unterschrieben. In den letzten Tagen habe ich viele Gespräche geführt. Davor habe ich nur mit dem FC Chelsea gesprochen. Darüber hatte ich auch Simon immer informiert. Wir haben stets ein überaus vertrauensvolles Verhältnis gelebt. Eine sofortige Trennung war für mich absolut nachvollziehbar, um sich vor möglichen Interessenskonflikten zu schützen. Ich kann nicht mit einem Club über einen Transfer verhandeln, für den ich vielleicht ab dem Sommer arbeiten könnte.

Was wäre Ihr Traumjob?

Ich muss das Gefühl haben, dass mein Wort Gewicht hat. Es muss eine Funktion sein, in der ich Dinge umsetzen und verändern kann. Das war bei Werder der Fall, bei Bayer auch. Ob es wieder ein Verein wird oder ein Multi-Club-Ownership-Modell oder etwas ganz anderes, das weiß ich noch nicht.

Tim Steidten lobt Werder Bremen für neuen Kaderplaner Johannes Jahns: „Wir haben ein ähnliches Beuteschema“

Wollen Sie weiterhin Kaderplaner bleiben oder auf der Entscheidungsebene eine Stufe aufsteigen?

Das ist immer eine Frage der Zusammenarbeit. Ich muss nicht in der ersten Reihe stehen nur aufgrund meines Egos. Aber es sollten schon auch Dinge umgesetzt werden, die ich vorbereitet habe. Zum Beispiel Spieler verpflichtet werden, um die ich mich gekümmert habe. Dieses Vertrauen muss da sein. Grundsätzlich habe ich keine Angst, in der ersten Reihe zu stehen. Es wäre für meinen Werdegang sicher sehr interessant, auch diese Position auszufüllen, ist aber definitiv kein Muss für meine nächste Station.

Wie wäre es mit einer Rückkehr zu Werder?

(lacht) Die Frage musste ja kommen. Bremen und damit auch Werder sind meine Heimat. Dieses Gefühl, wenn ich die Wilhelm-Kaisen-Brücke runterfahre und rechts die Flutlichtmasten sehe oder wenn ich im Weserstadion bin und in die Ostkurve schaue, das wird mir nie einer nehmen – das ist mein Heimatgefühl. Aber aktuell ist Werder mit Frank Baumann, Clemens Fritz und Johannes Jahns in der sportlichen Führung super aufgestellt. Werder wird aber natürlich immer eine Option für mich sein, wenn es in der Zukunft von beiden Seiten einmal passt.

Johannes Jahns ist wie Sie Kaderplaner, kommt im Sommer von Red Bull Salzburg an die Weser. Wie gut kennen Sie ihn?

Ich kenne ihn schon sehr lange, wir hatten aber nie diesen ganz engen Austausch. Wir haben eine ähnliche Sichtweise auf Spieler und damit ein ähnliches Beuteschema – leider (lacht). Deswegen haben wir uns häufiger gesehen. Er ist ein sehr guter Fang für Werder und wird gute Spieler holen.

Er stammt wie Sie aus Bremen.

Da haben sich unsere Wege aber nicht gekreuzt. Dafür wollte ich ihn mal zu Werder holen, deshalb habe ich ihn Frank Baumann damals auch schon mal vorgestellt. Aus den verschiedensten Gründen hat es dann leider nicht geklappt.

Tim Steidten über Transfer von Josh Sargent: „Unheimlich viel Arbeit, ihn von Werder Bremen zu überzeugen“

Sie haben bei Bayer Leverkusen andere finanzielle Möglichkeiten erlebt als in Bremen. Hat Werder noch eine Chance in der Bundesliga?

Hundertprozentig. Man muss sich nur Vereine wie Freiburg oder Union Berlin angucken. Es ist in meinen Augen nur eine Frage der Kontinuität in der sportlichen Führung und des Transfergeschicks. Du musst in den richtigen Momenten gute Transfers abwickeln und dadurch Einnahmen generieren, um mit dem Geld wieder neue gute Transfers machen zu können.

Warum ist Werder bis in die 2. Liga abgestürzt?

Die Antwort darauf fällt mir schwer, weil ich nicht dabei gewesen bin. In meiner Zeit davor hatten wir leider nicht die Kontinuität auf der Trainerposition. Die letzten Transfers haben auch nicht mehr so geklappt, wie wir uns das gewünscht haben.

Aus Bremen wird oft neidisch auf andere Clubs geschaut, die Talente günstig bekommen, um sie dann später für viel Geld teuer zu verkaufen.

Günstig ist aber auch immer relativ – und das macht es für Clubs wie Werder schwieriger. Früher war ein einstelliger Millionen-Betrag für ein großes Talent günstig, heute werden schon zweistellige Summen aufgerufen. Es gibt Clubs, die können sich davon sogar mehrere leisten, nur um die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg zu erhöhen. Das kann Werder so nicht machen. Dazu kommt, dass immer mehr Clubs global scouten – auch datenbasiert. Die Konkurrenz ist enorm.

Haben Sie einen Lieblingsmarkt für Spieler?

Ja, nicht nur einen. Aber anstatt mich auf einen Markt festzulegen, ist es kein Geheimnis, dass ich mich vor allem auf junge, entwicklungsfähige Spieler, die ein gewisses Tempo mitbringen, spezialisiert habe. Grundsätzlich bin ich neben den eben genannten Dingen immer auf der Suche nach Spielern, bei denen ich in ihrem Habitus und ihren Augen immer noch diesen unbedingten Willen, es in die Profiligen dieser Welt zu schaffen, erkennen kann.

Welche war Ihre spannendste Reise?

Da muss ich sofort an Josh Sargent denken. Es war unheimlich viel Arbeit, ihn von Werder zu überzeugen.

Warum?

Ich bin aufgrund der Empfehlung von Wynton Rufer losmarschiert und habe schnell gemerkt: Der ist nicht nur richtig gut, sondern den wollen auch leider alle haben. Josh hat damals quasi gleichzeitig in der U17, U19, U23 und in der A-Nationalmannschaft der USA gespielt. Also war er erst in Panama, dann in den USA, es ging nach Europa und so weiter. Ich bin immer hinterher. Das hat sich ausgezahlt.

Tim Steidten wollte Sardar Azmoun zu Werder Bremen holen - Kaderplaner hasst den Spitznamen „Perlentaucher“

Jetzt spielt Sargent nur noch in der 2. englischen Liga bei Norwich City.

Ich habe ihm auch noch mehr zugetraut. Aber es war nicht ganz einfach für ihn als junger Spieler nach dem Werder-Abstieg. Dann ist er leider auch mit Norwich abgestiegen. Trotzdem hat er sehr viel erreicht, war mit den USA bei der WM. Außerdem ist er erst 23 Jahre alt.

Welchen Transfer werden Sie nie vergessen?

Puh, das ist eine schwierige Frage. Ich habe in den letzten drei Jahren über 40 Transfers bei Bayer Leverkusen gemacht. Aber natürlich werde ich nie meinen ersten Transfer überhaupt vergessen: 2016, Anthony Ujah nach China. Thomas Eichin war entlassen worden, Frank Baumann noch nicht ganz da – also musste ich ran.

Waren Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

Ja, Wahnsinn! Die Chinesen haben ordentlich gezahlt (11,5 Millionen Euro, Anm. d. Red.). Sardar Azmoun war auch so eine krasse Nummer. Ihn wollte ich schon immer zu Werder holen, aber er war zu teuer. Mit Bayer hat es geklappt. Dafür musste ich durch halb Europa reisen, mich mit dem Besitzer von Zenit St. Petersburg auf dessen Yacht treffen. Das war schon sehr speziell und leider muss die Geschichte an dieser Stelle enden (lacht).

Sie werden gerne als „Perlentaucher“ bezeichnet, weil Sie so viele Talente entdeckt haben. Wie gefällt Ihnen der Name?

Ich hasse ihn (lacht). Das ist sicher als Kompliment gemeint und schmeichelt mir auch ein bisschen. Aber es reduziert Transfers viel zu sehr auf nur eine Person. Das entspricht nicht der Wahrheit. Ein Transfer ist immer die Zusammenarbeit von ganz vielen Menschen.

Viele Vereine vertrauen zunehmend dem datenbasierten Scouting. Was halten Sie davon?

Das kann eine Unterstützung sein, aber das Live-Scouting aus meiner Sicht nie ersetzen. Denn nicht jeder gute Spieler fällt durch Daten auf, schon gar nicht, wenn er noch sehr jung ist. Ich denke da an den 16-Jährigen, der schon in der ersten brasilianischen Liga spielt. Da habe ich lieber einen Scout vor Ort, der sich den genau anguckt. Der kann auch schneller sein, weil er nicht wie die anderen auf genügend gute Daten warten muss.

Wie viele Tipps bekommen Sie?

Ich habe zuletzt alleine an einem Tag 60 bis 70 WhatsApp-Nachrichten über Spieler bekommen, die ich eher nicht kannte. Über Social Media kommen auch noch Tipps rein – von ganz normalen Menschen, die gar keine Scouts oder Berater sind. Und manchmal empfehlen mir auch Nachbarn den Torjäger ihrer E-Jugend.

Tim Steidten erwartet für Werder Bremen-Stürmer Niclas Füllkrug „gute Angebote aus England“

Ist Ihnen dabei auch mal einer durch die Lappen gegangen?

Natürlich. Ein, zwei Jahre später kommen schon mal Nachrichten: „Hey, erinnerst du dich noch an den? Den habe ich dir als erstes empfohlen. Da haste aber nicht richtig hingeguckt!“ Das ist durchaus ein Learning, weil du dann einen Berater besser einschätzen kannst, ob er ein gutes Auge hat.

Zurück zu Werder: Ist der Klassenerhalt schon sicher?

Auch wenn ich jetzt wahrscheinlich Ärger von Frank und Clemens bekomme: Ich bin davon überzeugt, dass Werder dieses Jahr nicht absteigen wird. Da haben Frank und Clemens in meinen Augen bei der Zusammenstellung des Kaders einen sehr guten Job gemacht.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich englische Clubs um Niclas Füllkrug bemühen werden?

Ich bin mir sicher, dass es für den Topscorer der Bundesliga gute Angebote aus England geben wird.

Sie haben als Ex-Mitarbeiter und Fan eine besondere Beziehung zu Werder: Wie stehen Sie zu einem Wechsel von Füllkrug?

Ich denke leider immer automatisch in diesem Kaderplaner-Muster und stelle mir die Frage: Bekommst du für die angebotene Ablösesumme einen vergleichbaren Spieler mit dessen sportlicher Qualität und dessen Charaktereigenschaften? Aktuell wirst du einen Spieler wie Niclas auf dem Markt nicht finden. Deswegen wünsche ich mir, dass er bleibt. Aber es ist eben auch die Frage: Was will der Spieler? Da kann ich mir vorstellen, dass Niclas den nächsten Schritt machen möchte. Die Entwicklung von ihm ist unglaublich, ich freue mich mega für ihn!

Was machen Sie in den nächsten Wochen?

Abschalten. Nach 20 Jahren endlich mal keine Termine, keine Flüge, nur eine Zeitzone und ganz viel Zeit für die Familie und mich.

Werden Sie regelmäßig ins Weserstadion gehen?

Wenn es die Zeit erlaubt natürlich! Ich muss gestehen: Ich habe noch nie in der Ostkurve gestanden. Drei sehr gute Freundinnen von mir sind Werder-Fans durch und durch und bearbeiten mich da seit Jahren. Ich werde also bald in der Ostkurve stehen und das Team und die Stadt feiern. (kni)

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