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„Ich werfe mein Herz auf die Tribüne“

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Von: Malte Rehnert, Björn Knips

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Ailton und sein Weserstadion: Hier will der beliebte Brasilianer am Samstag noch ein letztes Mal treffen und feiern – gestern gab er dieser Zeitung dort ein Interview.
Ailton und sein Weserstadion: Hier will der beliebte Brasilianer am Samstag noch ein letztes Mal treffen und feiern – gestern gab er dieser Zeitung dort ein Interview. © Rehnert

Bremen - Von Malte Rehnert und Björn Knips. Am Samstag endet sie, die schillernde Profikarriere des Ailton Goncalves da Silva. Im Bremer Weserstadion steigt um 16 Uhr (NDR live) das große Abschiedsspiel des Brasilianers, der die Werder-Fans vor allem im Double-Jahr 2004 mit seinen Toren begeistert hat. Auch zehn Jahre später ist Ailton noch Kult – und enorm begehrt.

Ein Termin jagt in dieser Woche den nächsten. Dennoch nahm sich der inzwischen 41-Jährige gestern viel Zeit für ein ausführliches und launiges Interview. Stilecht geführt in seinem Weserstadion, wo er übermorgen einige Tränen vergießen wird.

Nur noch ein paar Tage bis zum großen Abschied. Sie haben wenig Zeit, viele Pressetermine. Welche Frage wird Ihnen am häufigsten gestellt?

Ailton: Wie ich mich fühle vor meinem letzten Spiel.

Und? Nervös, aufgeregt – oder auch ein bisschen traurig?

Ailton: Nervös eigentlich noch nicht, aber traurig schon. Es ist offiziell das letzte Spiel meiner Karriere – und dann auch noch mit Werder Bremen, mit den tollen Fans, vielen Kollegen und Freunden. Das ist ein absoluter Traum, aber auch schwer für mich. Es wird ein großer Spaß, ich habe richtig Lust. Doch ich bin eben Brasilianer und sehr sentimental. Wenn ich zum Beispiel mein Tor in München (2004 beim entscheidenden Sieg zur Meisterschaft/Anm. d. Red.) im Fernsehen sehe, sitze ich alleine zu Hause und weine. Und am Samstag habe ich noch mal die Gelegenheit, so eine tolle Atmosphäre wie damals live zu erleben. Es wird ganz viele Emotionen geben – 100-prozentig. Darauf bin ich noch gar nicht vorbereitet. Bestimmt werde ich viel weinen.

Etwa, wenn die Fans die legendären Ailton-Oho-Sprechchöre anstimmen?

Ailton: Oh, ja. Daran mag ich lieber noch gar nicht denken. (Ailton schaut im Stadion herum, dann auf seinen linken Arm). Guckt, Gänsehaut! Ich kann mir nicht vorstellen, was passiert, wenn die Fans das singen. Es werden 40000 Leute im Stadion sein, die Ostkurve ist voll. Da werfe ich mein Herz auf die Tribüne und laufe nach Hause.

Warum lieben die Fans Sie so sehr?

Ailton: Eine gute Frage. Keine Ahnung. Vielleicht, weil die Menschen immer den gleichen Ailton erleben. Egal, ob auf dem Platz, im Interview oder in der Stadt: Ich bin immer ich selbst. Viele Fußballer machen es so: Wenn die Kamera angeht, sind sie etwas konservativer, zurückhaltender, sie verstellen sich. Das ist dann oft langweilig, finde ich. Bei mir nicht, bei mir ist es lustig und spontan. Auch wenn ich nicht so gut Deutsch spreche, gebe ich Interviews auf Deutsch. Ich bin ein einfacher, fröhlicher Mensch, lache immer und mache Spaß. Das ist Ailton, das kann man nicht vorspielen, das ist mein Charakter. Vielleicht mögen mich die Leute deshalb – nicht nur den Fußballer, sondern auch den Menschen Ailton.

Das Stadion ist – bis auf einige wenige Plätze – schon lange ausverkauft.

Ailton: Das ist unglaublich. Nach zehn Jahren komme ich wieder, und das Weserstadion ist ganz schnell komplett gefüllt. Was sagt man da? Danke, Danke, Danke. Ich liebe meine Stadt in Brasilien nicht so wie Bremen Ailton liebt. Wenn ich in der Heimat als Bürgermeister nominiert werde, gewinne ich vielleicht nicht – in Bremen schon (lacht schallend). Ich habe diese Stadt nicht vergessen. Es ist ein großes, großes Geschenk von Gott und Werder Bremen, dass ich hier dieses Abschiedsspiel bekomme. Das ist das beste Geschenk meiner ganzen Karriere.

Wie viel Luft haben Sie für Samstag? Reicht es für 90 Minuten.

Ailton: Klar. Das ist mein Spiel und mein Schiedsrichter. Da gibt es kein Abseits! Ich stehe da vorne ganz alleine und warte auf die Pässe von Johan Micoud oder Ivan Klasnic – und dann Ailton Tor schieße. Das ist alles. Die anderen sollen am Samstag auf dem Platz noch mal schön für Ailton arbeiten. Linienrichter gibt es zwar, aber die winken nicht und machen immer so (legt die Arme seitlich an den Körper und grinst breit).

Hatten Sie überhaupt Zeit, sich ein bisschen in Form zu bringen?

Ailton: Im Parkhotel war ich ein paar Mal im Fitnessraum, da war meine Frau auch dabei. Oder ich bin mal 35 Minuten gelaufen. Und ich versuche, diese Woche noch ein, zwei Mal bei Viktor Skripnik und der U23 mitzutrainieren. Und dann bin ich topfit. Natürlich muss ich mich auch ein bisschen bewegen, die Fans warten auf die Explosion von Ailton, die Zehn-Meter-Sprints.

Wie lange bleiben Sie nach dem Abschiedsspiel noch in Bremen?

Ailton: Ich habe am 20. September noch ein Benefizspiel in Bochum. Bis zum 21. bleibe ich in Deutschland.

Und danach?

Ailton: Fliege ich zurück nach Mexiko, wo wir leben. Da habe ich Zeit für die Familie, kann meine Kinder in die Schule bringen. Und ich kann in Ruhe überlegen, wie es weitergeht. Ob wir in Mexiko bleiben oder nach Brasilien gehen – oder vielleicht auch nach Deutschland. Ich habe mit meinem ehemaligen Berater in Brasilien gesprochen. Er hat ein riesengroßes Büro und schon viele Transfers nach Europa gemacht. Ein seriöser Typ. Vielleicht arbeiten wir zusammen. Er kennt viele Spieler in Brasilien, ich in Europa. Aber es ist schwierig, viele Leute wollen im Fußball arbeiten. Einige haben keine Ahnung, ich schon. Ich habe viele Jahre in der Bundesliga gespielt und kenne die Fußballer hier, ihren Charakter. Ich bleibe dem Fußball auf jeden Fall irgendwie erhalten, denn ohne geht es nicht.

Spielen Sie weiter für Werders Traditionsmannschaft?

Ailton: Natürlich. Werder ist immer dabei. Beim Hallenturnier in Oldenburg spiele ich zum Beispiel mit.

Wie bleiben Sie dem Verein darüber hinaus verbunden? Es war mal eine Funktion als Repräsentant im Gespräch.

Ailton: Für Werder mache ich alles! Aber ich weiß noch nicht, was kommt. Ich kümmere mich jetzt erst mal um das Abschiedsspiel. Und wenn Werder eine Funktion für mich hat – meine Tür ist offen. Und mein Herz auch. Vielleicht finde ich später mal einen zweiten Ailton, einen zweiten Kugelblitz und bringe ihn zu Werder. Das ist mein Traum. Aber momentan ist das noch meine Rolle.

Welchen Schritt in Ihrer Karriere würden Sie gerne rückgängig machen? Den Wechsel 2004 von Werder zum FC Schalke?

Ailton: (seufzt) Jetzt noch so eine schwere Frage. Schalke ist ein sehr großer Club in Deutschland, ein traditionsreicher, geiler Verein. Deshalb war der Wechsel kein großer Fehler. Der Fehler war dann, dass ich weg aus Deutschland und in die Türkei gegangen bin. Danach waren Spaß und Motivation irgendwie weg. Das funktioniert bei mir nicht. Und deshalb bin ich vorsichtig geworden. Ich wollte nicht bei einem Verein spielen, bei dem ich keinen Spaß habe. Deshalb hatte ich danach nur noch kurze Verträge, ob in Belgrad, Donezk oder China.

Beim Hamburger SV lief es zwischendurch doch aber eigentlich ganz ordentlich. Und wenn Sie damals, im Mai 2006, am letzten Spieltag das wohl entscheidende Tor gegen Werder gemacht hätten: Wäre alles gut geworden?

Ailton: Vielleicht. Aber dann hätte ich von Werder kein Abschiedsspiel mehr bekommen (lacht). Nein, nur Spaß. Es gibt eben solche Situationen im Fußball. Ich habe es damals mit dem rechten Fuß probiert, der Ball war zu hoch. Schade für den HSV, aber gut für Werder.

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