Das langsame Sterben des Jugendfußballs: „Wenn wir so weitermachen...“

Das Thema ist quasi so alt wie der Fußball selbst, erregt zum Jahresende immer wieder, wenn die Winterpause ansteht, die Gemüter zahlreicher Vereine, die sich enorm im Juniorenbereich engagieren – und auch in diesen investieren: die Abwerbeversuche vor allem höherklassiger Klubs von talentierten Jugendlichen.
Verden – Geografisch betrachtet liegen die beiden Vereine dabei oft nah beieinander. Doch sportlich scheint es einen tiefen Riss zwischen beiden zu geben. „Scheinbar ist das Vertrauen in den eigenen Nachwuchs nicht so stark, da man nicht nur nach punktuellen Verstärkungen sucht, sondern Gegnern aus der gleichen Liga gezielt Spieler abwirbt“, ist da der vorherrschende Tenor der Vereinsführungen, die sich meist auch noch dem Druck der Spielereltern ausgesetzt sehen, die einen zügigen Wechsel erzwingen wollen. Zuletzt gab es da zwischen dem FC Verden 04 und dem JFV A/O/Heeslingen Vorfälle, die bei den Reiterstädtern durchaus Missfallen hervorriefen.
Auch Thorsten Meyer, Vorsitzender Kreisjugendausschuss Verden im NFV, ist dieses Abwerbethema natürlich bekannt. Er sagt jetzt: „Da ich in den letzten Wochen häufiger deshalb kontaktiert wurde, zeige ich zwei Standpunkte zu dieser Thematik auf. Einmal die rechtliche, entsprechend der NFV-Jugendordnung und einmal die sportlich-moralische.“

Dabei verweist der Fischerhuder gleich zu Beginn auf §4 der NFV-Jugendordnung (siehe Kasten, rechts), der gezieltes Abwerben unter gewissen Umständen durchaus unter Strafe setzt. „Bestrafen können wir aber nur, wenn gegen die Jugendordnung verstoßen wird, ein Gespräch mit Eltern/Spieler*innen anderer Vereine ist bislang dafür nicht vorgesehen. Deshalb haben wir jetzt allen Vereinen im Kreis Verden ein Formblatt zugesendet, um die Strafe zu vermeiden.“
Generell sieht Meyer der Zukunft im Vereins- und im Speziellen im Jugendfußball mit gemischten Gefühlen entgegen, sagt: „Die Vereine im Kreis Verden, im NFV und darüber hinaus, haben seit Jahren und mit zunehmender Tendenz mit einem Verlust von Junioren und Juniorinnen zu kämpfen, dem sogenannten Drop-out. Viele von uns sind lange genug im Geschäft, um diese Entwicklung sowohl im eigenen Verein als auch im Kreis Verden zu beobachten. Die Gründe dafür sind vor allem auch von den Verbänden detailliert analysiert und bekannt, einige haben wir auf Arbeitstagungen besprochen. Die ehrenamtliche Jugendarbeit der Vereine stellt ein hohes gesellschaftliches Gut dar. Die Attraktivität der Jugendarbeit wird mit wachsender Konkurrenz aus anderen Sportarten und dem gesellschaftlichen Wandel nicht leichter.“
Sportlich-moralische Seite der Entwicklung im Jugendfußball wichtig
Der Jugend-Chef des NFV Kreis Verden hebt dann auch schnell mahnend den Zeigefinger, meint: „Einer Sache stimmen mir sicher alle zu: Fußball ist Mannschaftssport und der Mix aus Sport, Spaß und Aktivitäten macht das Mannschafts- und Vereinsleben so interessant – und es bindet Vereinsmitglieder langfristig! Die Fokussierung auf Leistung ist es nicht, diese führt ab der D-Jugend zwangsläufig dazu, dass der Drop-out überproportional zunimmt. So können wir jetzt schon keinen reinen Spielbetrieb auf Kreisebene ab der C-Jugend mehr anbieten können!“
Deshalb gibt der Funktionär vor allem die sportlich-moralische Seite zu bedenken, die durch die Ergänzung des §4 NFV-JO verdeutlicht werden soll: „Wenn wir so weitermachen und es weiterhin zulassen – was leider gängige Praxis ist, dass wir alle leistungsmäßig auffälligen Spieler/-innen nicht in den Kreis- bzw. Talentauswahlen, sondern in den leistungsorientierten Vereinen zentralisieren, brauchen wir uns über das Sterben von Jugendmannschaften, über das Sterben ganzer Jugendfußballabteilungen nicht wundern! Eine Mannschaft lebt immer von talentierten und weniger talentierten Spieler/-innen, die Vereine leben davon, der ganze Amateurfußball lebt davon. Dementsprechend kann ich das Abwerben im Jugendbereich weder verstehen noch gutheißen. Wir haben ein Kreis-, Bezirks- und Landesauswahl-Talentsystem. Talentierte Spieler/-innen werden dort ihren Weg machen und früh gesichtet.“
Alles andere wird Meyers Meinung nach auf dem Rücken der Junioren ausgetragen. Angefangen von vermeidbaren Sperren, wenn einem Vereinswechsel nicht zugestimmt wird, über den gänzlichen Verlust von talentierten Spieler/-innen, die dem Leistungsdruck dann doch nicht gewachsen sind und ganz mit dem Fußballspielen aufhören, bis hin zum kompletten Auseinanderbrechen von Mannschaften und Jugendabteilungen. Und dann wird Meyer drastisch: „Das ist der falsche Weg. Das ist der Weg, der den Jugendfußball sterben lässt! Wir sollten niemals vergessen, dass wir im Amateurbereich arbeiten.“ Es obliege den Vereinen, nicht dem Verband, sich rechtzeitig für einen Ruck in die andere Richtung zu entscheiden, bevor es zu spät sei: „Denn das Zuspät schwingt wie ein Damoklesschwert über uns.“
Positive Erlebnisse sorgten zuletzt für hohen Zulauf beim Jugendfußball
Drastische Worte, durchaus gewollt etwas schwarz gemalt, zumal gerade in den vergangenen zwei, drei Jahren vor allem der Jugendfußball regen Zulauf erfuhr. „Das stimmt“, räumt Meyer auch ein. Das Wachstum hat in dieser Zeit überproportional zugenommen. Statt Kinder und Jugendliche zu verlieren, gewann der NFV über 5500 Junioren dazu. Aufgrund von Corona ohne aktiven Spielbetrieb! Das lag laut Meyer vor allem daran, „weil wir unter anderem alternatives Training angeboten haben, weil wir aktiv dafür gesorgt haben, Kindern und Jugendlichen in dieser Zeit positive Erlebnisse zu erschaffen. Und weil wir Vereinsarbeit gelebt haben, mit unglaublich positiven Effekten – aber eben ohne Leistungsdruck!“
Und deshalb mahnt der Fischerhuder Funktionär in Sachen Spielerabwerbung nochmals eindringlich an: „Bei aller Liebe zum Wettbewerb und zur Konkurrenz müssen wir im Jugendbereich deutlich mehr miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.“
§4 der Jugendordnung
Teilnahme von Spielern am Training und an Freundschaftsspielen anderer Vereine:
Den Vereinen ist es untersagt, Junioren/Juniorinnen aus einem anderen Verein am Training teilnehmen zu lassen oder diese in Freundschaftsspielen sowie in Turnieren einzusetzen.
Dies ist nur dann zulässig, wenn der Verein, für den der Junior/die Juniorin eine Spielerlaubnis besitzt, seine schriftliche Zustimmung erteilt hat oder ein Gastspielrecht gem. § 9 Abs. 1 SpO erteilt wurde.
Der NFV-Kreis Verden bestraft jedes andere Vorgehen mit der Höchststrafe von 200,- Euro je Spieler/-in.