Jung(s) an Krebs erkrankt: Yannick Böhling erzählt seine Geschichte

Anfang des Jahres erhielt Yannick Böhling zum zweiten Mal die Diagnose Hodenkrebs. Sottrums Fußballer spricht über seinen Weg von der Diagnose bis hin zur Heilung.
Sottrum – Plötzlich ist sie da – die Diagnose Hodenkrebs. Ende Januar erlebte Yannick Böhling dies das zweite Mal. Schon vor rund zwei Jahren war der Fußballer des TV Sottrum von dieser Krankheit betroffen. Wie auch damals verlief die Operation vor zwei Wochen aber ohne Komplikation. Gestreut habe der Tumor nicht, sodass er um eine Chemotherapie „Gott sei Dank“ herumgekommen sei, erzählt der 26-Jährige. Nun arbeitet er daran, zeitnah für den Bezirksligisten wieder aufzulaufen.
Mit seiner Diagnose ist Böhling wahrlich nicht alleine. In Deutschland erkranken nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) jedes Jahr etwa 4000 meist junge Männer neu an einem sogenannten Keimzelltumor des Hodens. Eine von vielen unterschiedlichen Krebs-Arten. Am häufigsten betroffen sind Männer im Alter zwischen 20 und 44 Jahren. „Das sind schon mehr als man denkt“, weiß Böhling und ergänzt mit Blick auf die ebenfalls betroffenen Bundesliga-Stars Sébastien Haller (Borussia Dortmund), Timo Baumgartl (Union Berlin), Marco Richter und Jean-Paul Boëtius (beide Hertha BSC): „Ich hatte das und auf einmal hatten es auch prominente Fußballer.“
Yannick Böhling bekommt die Diagnose Hodenkrebs: „In dem Moment war es ein krasser Schock“
Seine eigene Geschichte begann zwei Tage vor seinem 24. Geburtstag: Am 13. Februar 2021. „Da habe ich eine kleine Verhärtung im linken Hoden gefühlt und wusste, da ist etwas komisch“, erinnert Böhling sich. Exakt eine Woche später war nach einer Röntgenuntersuchung klar: Es ist ein Tumor! „In dem Moment war es ein krasser Schock“, gibt der Sottrumer offen zu. „Vorher habe ich es nur mal kurz gegoogelt. Ich bin so ein Typ, der das dann nicht groß nachliest und zur Seite schiebt.“ Drei Tage nach der Diagnose stand die OP, bei der der gesamte Hoden entfernt wurde, an. Eine Entnahme zieht nur selten Probleme nach sich: „Der Körper lässt das, was er sonst über zwei Hoden macht, über den noch übrigen Hoden laufen“, erläutert Böhling.
Sechs Fragen an
Dr. David Lazica: „Das ist für viele ein seelischer Eingriff“
Im Agaplesion Diakonieklinikum ist Dr. David Lazica als Chefarzt für die Bereiche Urologie und Kinderurologie zuständig. Schon vor Jahren gehörten Profis des Bergischen HC aus der Handball-Bundesliga mit einer Hodenkrebserkrankung zu seinen Patienten. Im Interview erklärt er, ob Leistungssportler anfälliger für eine derartige Erkrankung sind und wie eine Rückkehr in den Sport abläuft.
Sind Leistungssportler im Vergleich zu Amateursportlern anfälliger für Hodenkrebs?
Mit dieser Frage habe ich mich schon beschäftigt, als ich die Handballer damals gesehen habe. Dafür gibt es keine Daten und urologische Vermutung. Vorausgesetzt, dass im Leistungssport nicht irgendein Unsinn wie Doping betrieben wird. Doping hat viele schlechte Effekte. Ob das tumorbildend ist oder nicht, will ich mich aber nicht festlegen. Insgesamt würde ich sagen, Leistungssportler haben kein höheres Risiko, Hodenkrebs zu bekommen.
Können zum Beispiel Fußballer trotz Erkrankung ihren Sport ausüben?
Das hängt ganz vom Befund ab. In der Regel wird ein Hodentumor relativ zügig, meist innerhalb von drei bis fünf Tagen, operativ entfernt. Dass noch mal zwei bis drei Wochen abgewartet wird, wäre untypisch. Bei einem kleinen Tumor, der nur wenige Zentimeter hat und das körperlich nicht behindert, ist eine normale Aktivität möglich. Aber es gibt Hodentumore, die bis zu einer Größe eines Handballs reichen. Damit spielt keiner mehr Fußball.
Wann können Leistungssportler nach der Erkrankung wieder anfangen?
Das hängt wiederum von der Therapie ab. Die typische Erstmaßnahme bei einem Hodentumor ist die Entfernung des Hodens über einen Leistenschnitt. Da geht es erst mal darum, dass die Wundheilung gut abgeschlossen ist. Das dauert mindestens eine Woche, bis die Haut eingeheilt ist. Der Leistenzugang zum Hoden ist vergleichbar mit einer Leistenbruchoperation. Das heißt, es wird auch die Körperfaszie mit vernäht. Faszien sind sehr starkes Bindegewebe, was wenig durchblutet ist. Das braucht länger, um gute Stabilität zu erreichen. Hier sollte man bis zu vier Wochen warten, bevor man nach der OP wieder leistungsaktiven Sport ausüben kann. Aber ungefähr 40 Prozent aller Patienten brauchen danach noch eine weitere Behandlung, denn die sind zum Diagnosezeitpunkt schon metastasiert. Dann ist die Frage, kriegen sie eine Chemotherapie oder eine Bestrahlung. In dieser Phase sollte mit Leistungssport vorsichtig umgegangen werden. Ein bisschen gesunde Bewegung ist aber durchaus förderlich.
Worauf müssen die Genesenen achten und wie sieht ein Plan für eine Rückkehr in den Sportbetrieb aus?
Primär geht es um die Wundheilung und die Stabilität des körpereigenen Gerüstes. Man sollte sich aber auch dafür Zeit nehmen, psychisch über die Erkrankung hinwegzukommen. Hodentumor ist die häufigste Tumorerkrankung bei Männern zwischen 20 und 40 Jahren. Das ist für viele ein seelischer Eingriff. Manchmal kann der Sport einem guttun. Man sollte sich aber selbst nicht zu sehr unter Druck setzen. Es gilt eine bedarfsgerechte Steigerung der Belastung, wenn man mit dem Sport wieder anfangen möchte. Es gibt keine harte medizinische Empfehlung, wann wie viel Gewichte zu stemmen sind. Ein Beispiel ist für mich immer Lance Armstrong. Der hatte eine Hodentumorerkrankung mit einem sehr schlechten Stadium. Bei Diagnosestellung hatte der eine Überlebenschance von 50 Prozent und war metastasiert bis über die Lunge und das Kleinhirn. Drei Jahre nach seiner Erkrankung hat er die Tour de France gewonnen. Natürlich mit unlauteren Mitteln, das wissen wir heute. Aber für einen Hodentumorpatienten ist das ein absoluter Leuchtturm. Früher haben wir sein Buch unseren Patienten als Leseprobe gegeben, weil es ihnen Mut gemacht hat.
Was würden Sie jungen Männern in diesem Alter sagen?
Es gibt die Seite urologische-stiftung-gesundheit.de. Da sind viele Dinge zu finden, die die Urologen den Patienten niederschwellig erzählen möchten. Und da gibt es auch eine Kampagne zum Thema Hoden-Check mit einem lustigen Youtube-Video mit dem Namen „Handspiel“. Der Rat, den auch Kinderärzte den Jungen mitgeben, ist die Selbstabtastung. Ein Großteil der Hodentumore werden durch Selbstabtastung herausgefunden.
Gibt es weitere Zahlen zum Thema Hodenkrebs?
Es gibt 4 000 neue Fälle pro Jahr. Unbehandelt ist die Erkrankung tödlich, aber auf der anderen Seite ist es der „heilbarste“ Tumor, den die Medizin zu bieten hat. Wir haben Heilungsraten, das heißt, dass über fünf Jahre nichts wiederkommt, von über 98 Prozent. hd
Nach Hodenkrebs-Diagnose und OP: Nachuntersuchungen und Normalität – dann der nächste Schock
Im Abstand von zunächst drei und später sechs Monaten standen Nachuntersuchungen an, die keine Auffälligkeiten zutage förderten. Auch im Sport kehrte schnell wieder Normalität ein. Sein Pflichtspiel-Comeback feierte er für den Bremenligisten TuS Komet Arsten im August gegen den Brinkumer SV. Der Tag rückte näher, an dem Böhling als geheilt galt. „Nach zwei Jahren sagt man, dass es durch ist“, bestätigt er. Einer der letzten Arztbesuche war für Dezember 2022 geplant. „Wir haben aber für einen Beitrag im Oktober schon mal einen Extratest gemacht. Da war das erste Mal eine kleine Stelle zu sehen, bei der es aber hieß, dass eine OP noch keinen Sinn ergibt. Im Januar hatte sie aber eine Größe erreicht, wo man schauen musste, was es genau ist.“
Ende Januar entnahm ein Arzt ihm ein kleines Stück Gewebe, um zu überprüfen, ob es sich um eine Ziste oder einen Tumor handelte. Letzteres war der Fall. Zwischenzeitlich verpasste Böhling bereits den Jahresauftakt seines TV Sottrum gegen den SV Pennigbüttel. Gegen den Heeslinger SC II und die TuSG Ritterhude lief er bereits wieder auf. „Ich war krank, wollte aber unbedingt noch spielen, weil ich wusste, dass am Dienstag danach die OP ist und ich für zwei bis drei Spiele ausfallen werde.“
Nach Hodenkrebs: „Man sollte vorsichtig sein und dankbar für seine Gesundheit“
Wie schon 2021 entschied sich Böhling gegen eine andere Behandlungsoption: „Bei einer Bestrahlung wäre die Möglichkeit gewesen, dass nachträglich wieder Tumorzellen gebildet werden. Vermutlich wäre durch die Bestrahlung auch das Testosteron raus gewesen.“ So oder so trägt der selbstständige Athletiktrainer sich seit der Operation ein Testosterongel auf die Arme auf, damit sein entsprechender Spiegel ausgeglichen ist.
Sein Ehrgeiz ist nach wie vor hoch. Die Wunde ist verheilt. Nur drei Tage nach dem Eingriff, der über einen kleinen Schnitt an der Leiste erfolgte und deshalb zum Laufen ein ungünstiger Bereich ist, machte Böhling den ersten kleinen Spaziergang mit seinem Hund. Vergangene Woche folgten Kraftübungen für den Oberkörper im Fitnesscenter. Diese Woche hofft er auf Einheiten auf dem Platz. „Man sollte vorsichtig sein und dankbar für seine Gesundheit“, betont Böhling und rät allen Männern – besonders aber in seinem Alter: „Tastet euch immer mal wieder ab und wenn ihr etwas spürt, geht damit direkt zum Urologen.“