China sagt Russland Unterstützung bei „Kerninteressen“ zu – Ministerpräsident Mischustin zu Besuch in Peking
Russlands Ministerpräsident Michail Mischustin ist erstmals nach China gereist. Dort befindet er sich wie immer unter Freunden. Beide Länder schließen Abkommen zu Wirtschaft und Sport – als gäbe es keinen Krieg.
Peking/München – Russlands Ministerpräsident Michail Mischustin wurde zwar von der EU, den USA und anderen westlichen Staaten mit Sanktionen belegt. In China kann er sich in diesen Tagen aber unter Freunden bewegen. Sein Thema sind die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder, dazu unterschrieb ein paar Abkommen und warb für den Ausbau des bilateralen Handels.
„Die Beziehungen zwischen Russland und China befinden sich heute auf einem beispiellos hohen Niveau“, sagte Mischustin in Peking zu seinem Amtskollegen Li Qiang. „Sie sind geprägt von gegenseitigem Respekt für die Interessen des anderen und dem Wunsch, gemeinsam auf Herausforderungen zu reagieren“, lobte er. Für die Herausforderungen machte er den „immensen kollektiven Druck des Westens“ verantwortlich.
Nicht nur Ministerpräsident Li traf öffentlich mit Mischustin zusammen – auch der ranghöhere Staatschef Xi Jinping empfing den Ministerpräsidenten. China sei bereit, weiterhin jene „Kerninteressen zu unterstützen, die es mit Russland teile“, sagte Xi bei dem Treffen laut Staatsmedien. Das beschränkt zwar verbal den Raum der Kooperation auf gemeinsame Interessen – und deutet an, dass Peking und Moskau durchaus auch mal unterschiedliche Interessen haben. Doch das gemeinsame Rütteln an der westlich dominierten Weltordnung überlagert derzeit alle möglichen Konflikte zwischen beiden Seiten.
Beide Länder sollten ihre Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Investitionen weiter verbessern und die Kooperation im Energiebereich ausbauen, betonte Xi. Russlands Präsidenten Wladimir Putin bezeichnete er im Staatssender CCTV wie immer als „guten Freund“.
Mischustin in China: Als gäbe es keinen Krieg in der Ukraine
Die Visite zeigt erneut, dass China mit Russland trotz des Ukraine-Kriegs auf business as usual setzt. Die beiden Staaten bieten Kritik und Sanktionen des Westens demonstrativ die Stirn. EU, USA, Großbritannien, Australien und Kanada haben Mischustin mit Sanktionen belegt. Peking hingegen besiegelt Abkommen mit ihm. Beide Seiten unterzeichneten in Peking mehrere Absichtserklärungen zur Zusammenarbeit etwa bei Investitionen, im Dienstleistungshandel, im Sport und im Patentwesen. Zur russischen Invasion oder dem chinesischen 12-Punkte-Papier zur Lösung des Konflikts sind keine Äußerungen überliefert. Das Thema genießt in Peking offenkundig keine hohe Priorität.
Was beide klar kommunizierten, ist der Wille, ganz normal und öffentlich zu kooperieren, und das möglichst eng. China sei bereit, die Zusammenarbeit mit Russland auf eine neue Ebene zu heben, sagte Premier Li zu Mischustin. Dieser äußerte sich bei dem Treffen zuversichtlich, dass Russland und China das angepeilte bilaterale Handelsvolumen von umgerechnet 200 Milliarden US-Dollar früher als geplant erreichen – und diesen Zielwert möglicherweise sogar übertreffen werden.
Mischustin hatte am Dienstag in Shanghai bereits an einem russisch-chinesischen Wirtschaftsforum mit einer Reihe russischer Tycoons teilgenommen, zu denen laut Bloomberg auch vom Westen sanktionierte Unternehmer aus den Schlüsselsektoren Düngemittel, Stahl und Bergbau gehörten. Auch traf er russische Firmenvertreter und besuchte ein petrochemisches Forschungsinstitut des Staatskonzerns Sinopec. Alles ganz normal, so die Message des Besuchs.

Russland in der Krise – wachsende Abhängigkeit von China
Dennoch klang zwischendrin immer wieder durch, dass Moskau sich durchaus im Krisenmodus befindet. Russland bekommt zunehmend die Last der westlichen Sanktionen zu spüren und bemüht sich immer stärker um Unterstützung aus Peking. So betonte Mischustin auf dem Forum in Shanghai, wie sehr der Handel mit China seinem Land dabei geholfen habe, die „Abhängigkeit vom Dollar“ zu verringern – ein Thema, das erst durch die westlichen Sanktionen gegen Moskau akut geworden ist. Beide Staaten rechnen ihren Warenaustausch zunehmend in der chinesischen Währung Yuan ab.
Der Yuan ist damit praktisch zur Reservewährung für Russland geworden, während der Westen der russischen Zentralbank den Zugang zu Devisenreserven im Ausland blockiert. Mehrere russische Banken wurden zudem aus dem internationalen Zahlungsnetzwerk Swift ausgeschlossen. China profitiert hingegen von der Lage Moskaus, denn es puscht den Yuan bei befreundeten Staaten schon länger als Alternative zum US-Dollar.
Generell ist Russland weit stärker auf einen massiven Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen angewiesen als China, das schlichtweg viel mehr Optionen hat. Zwar sind die russischen Lieferungen von Öl und Erdgas nach China seit Kriegsbeginn deutlich gestiegen. Doch Analysten erwarten, dass China diese Importe nicht noch weiter ausbauen wird. So hat Peking bislang keine Zusage für eine zweite Gaspipeline von Russland nach China namens „Kraft Sibiriens 2“ gegeben, mit der Russland 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr von der Halbinsel Jamal in Westsibirien über die Mongolei nach China liefern will. Stattdessen beschleunigt Peking den Bau einer lange verzögerten zentralasiatischen Pipeline, um Gas aus Turkmenistan zu beziehen.
Mischustin wirbt für Russland als Wirtschaftspartner Chinas
Mischustin betonte zudem, dass Russlands Landwirte bereitstünden, die Agrarexporte nach China deutlich zu steigern. China hatte während der Pandemie Agrarimporte, auch aus Russland, stark eingeschränkt. Auch behindern derzeit logistische Probleme unter anderem die Weizenimporte aus Russland in die Volksrepublik. Zu den in Peking unterschriebenen Absichtserklärungen beider Länder gehört daher auch ein Dokument zu Standards für den Getreideexport. Umgekehrt stiegen Chinas Exporte nach Russland im April im Vergleich zum Vorjahr um 153 Prozent auf 9,6 Milliarden US-Dollar und damit einen neuen Rekordwert.
Beide Länder diskutieren nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax derzeit über die Lieferung von technologischer Ausrüstung an Russland. Manches davon dürfte vor allem in den USA misstrauisch betrachtet werden – denn viele technologische Komponenten lassen sich sowohl zivil als auch militärisch nutzen (‚dual use‘). Offene Waffenlieferungen aus China gibt es bisher aber nicht.