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Wie Kinder und Jugendliche unter der Coronavirus-Pandemie leiden

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Von: Leonie Zimmermann

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Kinder und Jugendliche haben durch die Coronavirus-Pandemie viele Einschränkungen erlebt.
Kinder und Jugendliche haben durch die Coronavirus-Pandemie viele Einschränkungen erlebt. © Rober Solsona

Maskenpflicht in der Schule, die ständige Angst vor einer Infektion und anhaltender Leistungsdruck: Kinder und Jugendliche leiden unter der Coronavirus-Pandemie. Aber wie sehr?

Berlin – „Wir haben unsere Belastungsgrenze erreicht.“ Mit deutlichen Worten wenden sich mehr als 100 Schulsprecher aus ganz Deutschland in einem offenen Brief an die Politik. Sie prangern die aktuellen Corona-Maßnahmen, den Leistungsdruck und die prekäre Situation an Schulen an. Es ist ein Hilferuf – und ein deutliches Signal der jüngsten Generation: Es muss sich etwas ändern.

Name:Covid-19
Infektionen in Deutschland:10,7 Millionen (Stand 4. Februar 2022)
Todesfälle in Deutschland:119.000 (Stand 4. Februar 2022)

Der Brandbrief ist aber nur die Spitze eines riesigen Eisberges, der sich im Laufe der Pandemie aufgebaut hat. Schulschließungen, Lockdown, Unsicherheit, vielleicht sogar der Verlust von Angehörigen oder zumindest die ständige Angst davor – all das ist nicht spurlos an Kindern und Jugendlichen vorbeigegangen. Das zeigt auch die jüngste COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Obwohl sich die mentale Verfassung der jungen Generation laut den Ergebnissen, die an diesem Mittwoch vorgestellt wurden, im Herbst 2021 leicht verbessert hatte, sieht sich noch mehr als ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in ihrer Lebensqualität eingeschränkt.

Kinderpsychiater Manuel Föcker vom Universitätsklinikum Münster über die Veränderungen durch Corona

Eine Beobachtung, die auch Dr. Manuel Föcker, Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster, teilt. „Seit der Coronavirus-Pandemie haben immer mehr Patienten von pandemiebedingten Auslösern berichtet, wie zum Beispiel dem Wegfall der gewohnten Tagesstruktur“, berichtet er im Gespräch mit www.kreiszeitung.de. Die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche im Lockdown nicht mehr zur Schule gehen oder ihren Hobbys nachgehen konnten, habe bei einigen sicher dazu beigetragen, dass sie psychische Symptome entwickeln. 

In einer Stellungnahme des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e.V. heißt es dazu: „Kinder, die bereits vor der Pandemie psychisch erkrankt waren, zeigen jetzt teilweise eine zunehmende Symptomatik, z.B. bei Essstörungen, Zwängen und Ängsten.“ Es gäbe aber auch Kinder, die angesichts des gefühlt nachlassenden schulischen Drucks durch die Pandemie nahezu erleichtert wirkten. Mit zunehmender Dauer der Einschränkungen sei aber abzusehen, dass auch bei diesen Kindern vermehrt Schwierigkeiten auftreten.

Coronavirus-Pandemie ist ein Risikofaktor für psychische Probleme bei Kindern – aber nicht der Einzige

Für Psychiater Föcker ist klar: Die Pandemie ist ein Risikofaktor für die Entstehung psychischer Probleme. Dabei sei die Entwicklung von psychischen Krankheiten aber eine höchst individuelle Angelegenheit. „Wenn mehrere Kinder und Jugendliche dem selben Risikofaktor wie z.B. der Coronapandemie ausgesetzt sind, wird trotzdem jeder von ihnen unterschiedlich auf die Belastung reagieren, weil häufig mehrere Faktoren and der Entstehung psychischer Erkrankungen beteiligt sind und auch Schutzfaktoren des Individuums eine Rolle spielen“, erklärt der Experte. 

Besonders schwer hätten es in der Corona-Pandemie diejenigen, die sozio-ökonomisch ohnehin benachteiligt seien. Eine ähnliche Beobachtung hat auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gemacht, wie er im Interview mit www.kreiszeitung.de erzählt: „Wenn ich in Schulen unterwegs bin, dann bekomme ich immer ähnliche Rückmeldungen: Vier Fünftel der Kinder sind mit der Situation einigermaßen klargekommen, ein Fünftel leider nicht.“ Zu diesem Fünftel gehörten oftmals die Kinder und Jugendlichen, die es schon vorher schwer hatten. 

COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf: Jeder dritte junge Mensch leidet unter Corona

Laut der COPSY-Studie zeigt jeder dritte junge Mensch seit Beginn der Pandemie psychische Auffälligkeiten. Demnach haben vor allem Symptome wie Sorgen und Ängste, depressive Stimmung und psychosomatische Beschwerden zugenommen. Laut Studienleiterin Dr. Ulrike Ravens-Sieberer seien davon vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien oder mit Migrationshintergrund betroffen.

Die Ursache für die Zunahme der psychischen Probleme sind vielfältig. Für Psychiater Föcker steht allerdings der Wegfall von Sozialen Kontakten oft im Fokus: „Manche Kinder und Jugendliche haben sich während des Lockdowns aber auch darüber hinaus sehr zurückgezogen. Für junge Menschen sind Freunde aber eine wichtige Säule, die nicht unterschätzt werden sollte.“ Auf seiner Station, wo er vor allem Patienten mit Essstörungen behandelt, gibt es aber noch einen anderen Risikofaktor, der häufig übersehen wird: Die Infektion mit dem Coronavirus. „Es gibt das Phänomen von Jugendlichen, die eine Infektion hinter sich haben und durch den anhaltenden Geschmacksverlust eine Abneigung gegen Essen entwickeln“, berichtet Föcker.

Kindergrundsicherung und Sofortbonus: Ampel-Regierung will Kinder und Jugendliche finanziell unterstützen

So individuell die psychischen Beschwerden von Kindern und Jugendlichen sind, so unterschiedlich sind auch die möglichen Therapieangebote. Vor allem im ambulanten Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie gibt es laut Föcker aktuell einen großen Andrang. Und die Wartelisten sind teilweise so voll, dass Patienten mehrere Monate auf einen Therapieplatz warten müssen. Ein Thema, dem sich die Hansestadt Hamburg nun mit einem millionenschweren Förderpaket angenommen hat. Insgesamt acht Millionen Euro sollen in zusätzliche Beratungs- und Unterstützungsangebote für Schüler mit sozialen und psychischen Problemen fließen. 

Auf Bundesebene laufen die Maßnahmen allerdings etwas langsamer an. Die Ampelregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in ihrem Koalitionsvertrag unter anderem die Kindergrundsicherung zur finanziellen Entlastung von einkommensschwachen Familien angekündigt. Wie das genau aussehen soll, ist allerdings bisher nicht bekannt. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) hat zur Überbrückung einen Sofortzuschlag für Kinder aus finanziell schwächeren Haushalten versprochen. 

Aber Geld alleine wird nicht ausreichen, um die Situation für Kinder und Jugendliche maßgeblich zu verbessern. „Kinder und Jugendlichen müssen wieder unkompliziert Zeit mit Gleichaltrigen verbringen können, sie müssen gemeinsam Neues entdecken und ausprobieren können. Auch darum müssen wir uns in den nächsten Monaten kümmern“, sagt Niedersachsens Ministerpräsident Weil. 

Ängste, Depressionen und Co.: Hat die Corona-Pandemie langfristige Folgen für unsere Kinder?

Laut Kinderpsychiater Föcker brauchen betroffene Kinder vor allem Verständnis: „Eltern, Familie, Freunde, Schule und Psychiater sowie andere Ärzte wenn nötig – sie alle sollten sich fragen: Was braucht das Kind bzw. der Jugendliche jetzt?“ Eine entsprechende Sensibilisierung von Lehrern und Eltern könne dabei helfen, mögliche psychische Symptome schnell zu erkennen. Mögliche Symptome seien eine Wesensveränderung, Schlafstörungen, sozialer Rückzug, gedrückte Stimmung oder psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Kopfweh. „Kinder sollten bereits im jungen Alter lernen, wie sie mit starken Gefühlen wie Wut, Angst oder Trauer richtig umgehen können.“

Ganz unabhängig davon, wie Kinder und Jugendliche mit der Coronavirus-Pandemie umgehen, eines haben sie doch alle gemeinsam: Sie haben mindestens zwei Jahre ihres Lebens eine enorme zusätzliche Belastung erlebt. Ob sich das langfristig auf ihr körperliches und mentales Wohlbefinden auswirkt, hängt laut Kinderpsychiater Föcker auch von den individuellen Rahmenbedingungen ab. Und davon, wie jetzt mit den jungen Menschen umgegangen wird. 

„Jetzt, wo wieder mehr möglich ist und die Schule wieder stattfinden kann, sollte nicht sofort wieder auf Alltagsstress umgestellt werden. Denn die Kinder und Jugendlichen haben Sorgen, Ängste und Probleme, auf die unbedingt eingegangen werden sollte“, sagt der Experte. Eltern sollten ihren Kindern außerdem erklären, was gerade vor sich geht. Was ist ein Virus, was macht das mit uns und was passiert gerade in unserem Umfeld? Das seien Fragen, auf die Kinder verlässliche Antworten brauchten. „Andernfalls phantasieren sie sich ihre eigenen zusammen – und das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass sich Ängste festsetzen.“ *kreiszeitung.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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