Reisen und Urlaub: „Es wird auf jeden Fall nicht so, wie es mal war“

Deutschland hat Fernweh. Der große Ansturm auf Airports und Sehenswürdigkeiten erinnert an Reisen vor Corona. Wird Urlaub wieder, was er vor der Pandemie war?
Berlin – Mit steigenden Temperaturen schnellt auch die Reiselust der Deutschen in die Höhe. Nach zwei Jahren der Corona-Einschränkungen im Urlaub strömen in diesem Jahr zahlreiche Menschen zu den beliebtesten Reisezielen in Deutschland und auf der ganzen Welt. Das Ergebnis dieses Urlaubsansturms kann man dieser Tage eindrucksvoll an den deutschen Flughäfen beobachten: Lange Warteschlangen, überfüllte Wartehallen und ausgebuchte Ferienflieger ... und das trotz möglicher Maskenpflicht und 3G im Urlaub 2022.
Name: | Prof. Dr. Jürgen Schmude |
Position: | Professor für Tourismuswirtschaft und Nachhaltigkeit |
Wohnort: | München und Frankreich |
Die Anreise zum Urlaub am Meer wird so für viele Menschen zur Geduldsprobe und ein Kostenfaktor. Ein ähnliches Bild zeigt sich an beliebten Sehenswürdigkeiten: Menschenmassen versperren oftmals den Blick aufs kulturelle Welterbe oder den Naturort. Ist der Massentourismus also wieder zurück? Nicht unbedingt, sagt der Münchner Reiseforscher Jürgen Schmude im Interview mit kreiszeitung.de – und erzählt, wohin es für die Reisebranche in Zukunft stattdessen geht.
Reiseforscher Jürgen Schmude im Interview: „Fachkräftemangel trifft auch Gastronomie und Hotellerie“
An vielen Flughäfen herrscht ein regelrechtes Urlaubschaos. Ist das der vielfach prognostizierte Nachholeffekt?
Was wir aktuell beobachten, liegt nicht unbedingt am Nachholeffekt. Ursächlich dafür sind vielmehr sich überlappende Ereignisse. Auf der einen Seite haben wir die Reiselust, die aber nicht viel größer ist, als vor der Pandemie. Und auf der anderen Seite haben wir den massiven Fachkräftemangel in der Reisebranche. Durch Corona wurden viele Mitarbeiter in der Luftfahrt und im Tourismus freigestellt – und nicht alle von ihnen sind zurückgekommen. Außerdem gibt es bei den übrigen Mitarbeitern wie in vielen anderen Branchen auch derzeit einen recht hohen Krankenstand. Zusätzlich ist das Personal, das einsatzbereit ist, den aktuellen Andrang nicht mehr gewohnt. Das alles führt zu den Warteschlangen, die wir aktuell beobachten können.
Warteschlangen sehen wir aktuell vor allem am Airport. Doch auch die Luftfahrt ist zunehmend vom Fachkräftemangel betroffen. Wird das der Branche auf Dauer schaden?
Der Fachkräftemangel, den wir aktuell in der Luftfahrtbranche sehen können, ist nur so offensichtlich, weil die Flughäfen das Nadelöhr zum Sommerurlaub sind. Auch in der Hotellerie und in der Gastronomie fehlt es an Personal. Der Unterschied ist, dass diese Branchen deutlich flexibler damit umgehen können, zum Beispiel mit flexibleren Arbeitszeitmodellen. Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich außerdem die Arbeitsbedingungen im Tourismus verbessert. Arbeitnehmer in den entsprechenden Branchen bekommen heute durchschnittlich mehr Gehalt, als vorher – weil die Unternehmen erkannt haben, dass sie nur so das Personal halten können.
Reiseforscher Jürgen Schmude: „Die Tourismusbranche arbeitet an nachhaltigen Lösungen“
Gefühlt befindet sich die Reiselust der Deutschen auf einem Rekordhoch. Wie haben die letzten zwei Jahre unseren Blick auf das Reisen verändert?
Es ist noch immer so, dass ein größerer Anteil der Urlauber in Deutschland bleibt. Das Bedürfnis, andere Länder zu erkunden, ist aber nach wie vor vorhanden und wird auch ausgelebt. Aus Befragungen wissen wir aber, dass die Wertschätzung für Urlaub deutlich steigt. Die Reisenden sind für eine höhere Qualität mittlerweile auch bereit, einen angemessenen Preis zu zahlen. Das ist zum Beispiel bei Pauschalreisen auch notwendig. Die werden in Zukunft wahrscheinlich teurer, weil sowohl die Flugpreise als auch die Lebenshaltungskosten in vielen Ländern der Welt steigen. Aber im Gegensatz zu anderen Bereichen steigt die Konsumbereitschaft im Tourismus – die Leute konnten zwei Jahre nicht viel unternehmen und haben Geld gespart, das sie jetzt gerne fürs Reisen ausgeben.
Der Klimawandel beschäftigt uns in immer mehr Lebensbereichen und verändert auch unseren Blick auf die Welt. Gilt das auch fürs Reisen?
Ich glaube, ein Teil der Menschen wird ihr Reiseverhalten klimabedingt ändern. Insbesondere die junge Generation achtet immer mehr auf ihren ökologischen Fußabdruck. Viele junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren geben schon heute in Umfragen an, nach dem Schulabschluss nicht mehr nach Australien fliegen zu wollen, sondern lieber innerhalb Europas zu reisen. Das trifft natürlich nicht auf alle Jugendlichen zu, aber eben auf einen Teil der Generation.
Und was verändert sich innerhalb der Tourismusbranche in Richtung Nachhaltigkeit?
Die Branche arbeitet auf jeden Fall an nachhaltigen Lösungen. Immer mehr Reiseveranstalter haben den Klimawandel auf dem Schirm und machen transparent, welchen CO2-Ausstoß die entsprechenden Angebote hinterlassen. Dadurch wissen Reisende ganz genau, welchen ökologischen Fußabdruck sie mit ihrem Urlaub hinterlassen. Einige Fluggesellschaften bieten außerdem an, den CO2-Ausstoß zu kompensieren, indem sie Bäume pflanzen. Bisher kompensieren allerdings nur ein Prozent der Fluggäste. Das ist zwar besser als nichts, aber erst, wenn das zum Standard werden würde, hätte es einen Impact.
Tourismusforscher Jürgen Schmude: „Es herrscht eine gewisse Unsicherheit wegen der Inflation“
Während der Hochphase der Pandemie war Inlandsurlaub der Trend Nummer eins. Bleibt der bestehen, oder was wird die kommenden Reisejahre bestimmen?
Inlandsurlaub bleibt auf jeden Fall nicht auf dem Niveau wie zur Hochphase der Pandemie. Aber selbst im Jahr 2020 haben noch 52 Prozent der Reisenden ihren Urlaub im Ausland verbracht. Vor Corona waren das zwar noch 66 Prozent, aber wir sehen, dass Auslandsurlaub trotz Reisebeschränkungen durchaus ein Thema war. Was sich geändert hat: Die Reiseziele im Ausland sind näher an Deutschland, als vorher. Spanien wird aber trotzdem in diesem Jahr wohl wieder zum Spitzenreiter.
Grundsätzlich wirken sich Krisen auf das Reiseverhalten der Menschen aus. Verändert der Ukraine-Krieg auch die Art und Weise, wie wir Urlaub machen?
Der Ukraine-Krieg hat keinen großen Einfluss auf die Wahl der Reiseziele, da Osteuropa ohnehin nicht zu den beliebtesten Urlaubszielen der Deutschen gehört. Es herrscht allerdings eine gewisse Unsicherheit wegen der Inflation. Viele entscheiden sich in diesem Jahr für den günstigeren oder kürzeren Sommerurlaub, weil andere Lebensbereiche deutlich teurer geworden sind. Aber ganz auf den Urlaub verzichten wollen die meisten trotzdem nicht.
Welche Fazit ziehen Sie reisetechnisch aus den letzten zwei Jahren für die Zukunft?
Es wird auf jeden Fall nicht wieder so, wie es vor der Pandemie war. Wir werden dauerhaft ein höheres Reiseaufkommen im Inland haben, wovon Destinationen in Deutschland profitieren, während Reiseveranstalter mit Auslandsreisen im Angebot leiden werden. Und wir werden langsam aber sicher dazu übergehen, klimabewusster zu Reisen. Das wird lange dauern, weil wir mit einem anderen Reiseverhalten sozialisiert wurden und Verhaltensänderungen Zeit brauchen – aber die Veränderung wird kommen.