Kaputt gesparte Bundeswehr: „Wir haben die Strategie zu spät überdacht“
100 Milliarden Euro pumpt die Ampel im Ukraine-Krieg per Sondervermögen in die Bundeswehr. CDU-Experte Henning Otte sagt Ja – und gibt Fehler zu. Ein Interview.
Berlin – Nach langem Hin und Her ist der Weg für die Sanierung der Bundeswehr nun frei: Der Bundestag hat am Freitag für die Gesetzesänderung gestimmt, die das Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro möglich macht. Die neue Regelung besagt, dass im Rahmen des Sondervermögens neue Kredite abseits der Schuldenbremse aufgenommen werden können. Damit es richtig losgehen kann, muss nun noch der Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen.
Name: | Henning Otte |
Partei: | CDU |
Position: | Bundesmitgliederbeauftragter und stellv. Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag |
Geburtstag: | 27. Oktober 1968 (53 Jahre) |
Das zusätzliche Geld soll in den nächsten Jahren vor allem in die Ausrüstung der Bundeswehr fließen. Unter anderem geht es dabei um Flugzeuge, Panzer und Munition sowie um persönliche Ausrüstung der Soldaten. Fraglich ist, ob die 100 Milliarden Euro ausreichen, um die Bundeswehr wieder auf Kurs zu bringen. Henning Otte (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, erklärt im Exklusiv-Interview mit kreiszeitung.de die Potenziale und Grenzen des Sondervermögens, bewertet die Politik der Ampel-Koalition und spricht über Fehler der Union:
Sondervermögen für die Bundeswehr: Bundestag billigt mitten im Ukraine-Krieg die 100 Milliarden Euro – Henning Otto (CDU) zufrieden
Das Sondervermögen für die Bundeswehr wird wahrscheinlich noch diese Woche vom Bundestag verabschiedet. Zuerst hat Ihre Fraktion die Zustimmung allerdings verweigert. Wieso? Und was hat sich seitdem geändert?
Wir als Unionsfraktion sehen die Notwendigkeit, die Bundeswehr zu stärken. Das haben wir bereits getan, als wir noch in der Regierungsverantwortung waren. Damals waren allerdings viele Vorhaben nicht mit unserem Koalitionspartner vereinbar. Heute ist die Lage eine andere, weshalb das geplante Sondervermögen auch zum richtigen Zeitpunkt kommt. Es darf aber nicht dabei bleiben, wir brauchen vielmehr eine langfristige Anpassung der Verteidigungsausgaben.

Die Bundeswehr ist unstrittig unterausgestattet. Reichen die 100 Milliarden wirklich aus, um unser Militär auf den neuesten Stand zu bringen?
Bis zur Annexion der Krim 2014 wurde der Verteidigungshaushalt stetig reduziert, weil die sicherheitspolitische Lage in Europa weitestgehend entspannt war. Danach haben wir ihn innerhalb von sieben Jahren verdoppelt. Die Bundeswehr war zunehmend auf Einsätze im Ausland ausgelegt, nicht aber auf die Verteidigung der eigenen Landesgrenzen. Eigentlich hätten wir diese Strategie schon im Jahr 2014 bei der Annexion der Krim überdenken müssen und unsere Truppenstärke erhöhen sollen. Das hat sich jetzt geändert. Natürlich sollten wir auch bald das 2-Prozent-Ziel erreichen und die Erneuerung der Bundeswehr stetig vorantreiben. Wir brauchen nicht nur bessere Ausrüstung, sondern auch mehr Übungseinheiten für die Truppen, sodass unser Land im Bündnisfall auch wirklich in der Lage ist, seine Verteidigungsversprechen einzuhalten.
100 Mrd Sondervermögen: Fonds für Panzer und Waffen – doch was ist mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland?
Unabhängig von dem 100-Milliarden-Sondervermögens: Deutschland braucht also auch mehr geübte Soldaten. Was halten Sie in diesem Zusammenhang von einer Wiedereinführung der Wehrpflicht?
Der Wehrdienst der alten Art würde heute in Deutschland wohl nicht mehr funktionieren und der Truppe auch nicht wirklich helfen. Ich finde aber die Idee eines freiwilligen Dienstjahres sehr interessant – und zwar für Frauen und Männer. Das würde unserem Land helfen und das Bedürfnis vieler Menschen stillen, etwas für ihr Land leisten zu können.
Sie sagten vorhin, die SPD hat sich zu GroKo-Zeiten gegen eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben gesperrt. Aber mal ehrlich: Hat Ihre Partei wirklich alles richtig gemacht in verteidigungspolitischen Fragen?
Natürlich haben auch viele Unionspolitiker lange Zeit geglaubt, eine Verteidigung der Landesgrenzen sei nicht mehr wirklich notwendig. Im Rückblick waren unsere Bemühungen für mehr Investitionen in die Bundeswehr deshalb auch nicht so groß, wie sie hätten sein können. Aber spätestens seit dem 24. Februar 2022 ist die Einsicht bei jedem Einzelnen von uns angekommen, dass wir auch in Deutschland ein starkes Militär für die Sicherheit unseres Landes brauchen.
Bundesverteidigungsministerin Christina Lambrecht wurde in ihrer kurzen Amtszeit bereits viel kritisiert. Einige Stimmen sprechen in ihrem Fall von einer Fehlbesetzung oder der „Problem-Ministerin“. Wie stehen Sie dazu?
Frau Lambrecht hat nun die Aufgabe, die Ausstattung der Bundeswehr voranzutreiben. Dadurch, dass sie jetzt 100 Milliarden Euro mehr dafür zur Verfügung hat, steigt natürlich die Erwartungshaltung. Ich habe ehrlich gesagt ein bisschen mehr erwartet. Sie hat zum Beispiel noch kein wirkliches Engagement für eine Verteidigungsunion in Europa – eine wichtige Säule der Nato – gezeigt. Dabei darf man aber auch nicht vergessen, dass Frau Lambrecht mit ihrem Amtsantritt von Null auf Hundert starten musste. Sie war vorher nicht wirklich mit dem Ressort vertraut und stand dann plötzlich vor einem Krieg in Europa.
Sondervermögen für die Bundeswehr: Die Liste für die Ausrüstung ist lang in Deutschland – doch reicht das? CDU-Mann Otte findet Kanzler Scholz „zu zögerlich“
In ganz Europa lautet die Antwort auf den Krieg in der Ukraine gerade Aufrüstung. Ist das denn eigentlich die richtige Verteidigungsstrategie für den Erhalt des Friedens?
Dialog und Abschreckung sind zwei der Grundsätze der Nato. Wenn es die sicherheitspolitische Lage zulässt, dann kommt noch die Verpflichtung zur Abrüstung hinzu. In Europa werden wir gerade mit dem aggressivem Vorgehen eines großen Landes wie Russland konfrontiert. Da ist es eigentlich nur vernünftig, die Sicherheitsstrategien in den Ländern zu stärken.
Wir liefern schwere Waffen an die Ukraine und bilden Soldaten aus – wie beurteilen Sie den Umgang der Bundesregierung mit dem Ukraine-Krieg?
Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass man in einer Demokratie feste Grundsätze beibehalten sollte. Aber: Durch den Krieg in der Ukraine stehen wir vor einer neuen Situation. Dadurch ist es moralisch zu verantworten und notwendig, die Ukraine bei der Verteidigung gegen die russische Aggression zu unterstützen. In welcher Form diese Hilfestellung erfolgt, das ist natürlich immer eine Frage der Abwägung. Ich empfinde die Herangehensweise von Bundeskanzler Olaf Scholz diesbezüglich oft zu zögerlich. Er trifft keine klaren Entscheidungen, ob und welche Waffen er der Ukraine zusagt – was für das Land auf Dauer unzumutbar ist.