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Ukraine-Krieg: Was ein Angriff Russlands auf Polen für die Nato und Deutschland bedeuten würde

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Von: Aleksandra Fedorska

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Die Angst vor einem Krieg ist jetzt sogar in Europa spürbar. In Mittelosteuropa sind die Befürchtungen besonders präsent. Putin will den Willen und den Mut der NATO-Staaten brechen.

Warschau – „Die Angst hat große Augen“, sagt ein polnisches Sprichwort. Angst ist ein fundamentales und komplexes Gefühl. Sie kann einen Menschen lähmen oder dazu führen, dass der Mensch über sich hinauswächst. Berufssoldaten werden darauf geschult, mit ihrer Angst umzugehen. Die ganz gewöhnlichen Menschen in unserer Region Europas blieben von einer direkten Erfahrung des Krieges und der damit einhergehenden Angst ums Überleben seit mehreren Generationen verschont. Nun ist der Ukraine-Krieg* aber verdammt nahe an die Grenzen der Europäischen Union und des Transatlantischen Paktes (NATO) herangerückt. Kürzlich fielen die ersten russischen Bomben auf einen Militärübungsplatz, der keine 40 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt. Einwohner des polnischen Grenzgebietes konnten die Einschläge* hören.

Während die Ukraine keinem Militärbündnis angehört, könnte Polen und die anderen Länder der Region im Falle eines Angriffs der Russen auf die Unterstützung der NATO zählen. Der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan, betonte nach dem Raketenangriff vom 13. März, dass ein russischer Angriff auf einen NATO-Staat sofort den Einsatz des Artikel 5* nach sich ziehen würde. Das bedeutet, dass der Verteidigungsfall für alle NATO-Staaten ausgerufen wird und die NATO aktiv in den Krieg einziehen würde.

Ukraine-Krieg und Rolle der Nato: Raketenabgriff Russlands in Nähe der polnischen Grenze

Mit dem Raketenangriff in der Nähe der polnischen Grenze wollte Russland* eine bestimmte Wirkung erzielen. Der getroffene Übungsplatz gehört zum Gelände des International Peacekeeping and Security Centres, wo nach dem Jahr 2014 gemeinsame Schulungen der NATO und der Ukraine durchgeführt wurden. Russland will, dass der Westen vor Angst gelähmt wird. Gerade weil die Ukrainer über sich hinauswachsen, soll wenigstens der Westen vor Russland Angst haben. Genau das ist Russlands Ziel.

Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, verlassen den Bahnhof Przemysl in Przemysl, Polen.
Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, verlassen den Bahnhof Przemysl in Przemysl, Polen. © Petros Giannakouris/dpa

Psychologische Kriegsführung spielt in der russischen Militärstrategie eine wichtige Rolle. Die Russen sind fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Ukraine* sich schnell ergeben würde, aber es kam anders und die Ukrainer nahmen den Kampf an, was die eklatanten Schwächen beim Nachschub und sonstiger Logistik auf russischer Seite offen legte. Seit der Eskalation des Ukraine-Konflikts* am 24. Februar versuchen Militär- und Sicherheitsexperten, die tatsächliche Stärke der russischen Armee im Krieg mit der zahlenmäßig unterlegenen ukrainischen Truppe zu beurteilen und zu analysieren. Ihre Aussagen sind häufig widersprüchlich und von einer Sprache geprägt, die für Außenstehende, die keine Felderfahrung haben, nicht verständlich ist.

Nato im Ukraine-Krieg: Defizite auf Seiten Russlands – Nato-Truppen deutlich überlegen

Vor diesem Hintergrund braucht es Journalisten, die den Militärjargon in zugängliche und verständliche Aussagen umformulieren. Zu solchen Journalisten gehört der polnische Publizist und Militärkenner Jarosław Wolski. Der aktuell besonders gefragte Fachpublizist erklärte im Interview mit der polnischen Zeitung Polska Times, dass Russland den NATO-Kräften weit unterlegen ist. Der Feldzug in der Ukraine zeige schwerwiegende Defizite bei der russischen Armee auf. In diesem Zustand könnte sie es nicht mit den NATO - Truppen aufnehmen. Das sollte die NATO-Staaten und vor allem die mittelosteuropäischen Staaten beruhigen. Doch Schweden und Finnland befinden sich aktuell im Nato-Dilemma*.

In einem anderen Zusammenhang äußerte Wolski, dass Russland nicht genug militärisches Personal habe, um die Ukraine vollständig zu besetzen. Eine etwaige weitere Kriegsfront mit der NATO wäre daher auszuschließen. Besondere Aufmerksamkeit verdient die These von der fehlenden Mobilisierung der russischen Armee. In der Regel werden vor einem Krieg mehrere Mobilisierungsstufen eingeleitet. In der russischen Planung bedeutet das, dass etwa 18 Monate und 8 Monate vor Kriegsbeginn genügend Soldaten eingezogen werden, um geschult und fit in den Krieg zu ziehen. Darauf hat Putin* verzichtet. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um eine politische und keine militärische Entscheidung handelte.

Rationale und logische Erwägungen lassen sich kaum noch mit Putin in Verbindung bringen. Die Entscheidung die Ukraine zu überfallen, dürfte ja auch kaum von einer militärischen Logik gedeckt gewesen sein. Der Kremlchef tat es aber trotzdem. Der Machthaber in Moskau hat gezeigt, dass er gegen jede Logik verstoßen kann. Daher ist auch ein Angriff auf einen NATO-Staat wie Polen* heute im Bereich des Absurden, Makaberen, aber des Möglichen.

Putin hat im Ukraine-Krieg bewiesen, dass er gegen jede Logik verstößt – daher auch Angriff auf Nato nicht unmöglich

Die Politologin Agnieszka Legucka ist Analystin am Polski Instytut Spraw Międzynarodowych (PISM), The Polish Institute of International Affairs, und beschäftigt sich mit der Analyse der russischen Verhandlungskultur. „Im Westen stehen der Dialog und die Kompromisskultur im Vordergrund. Das wird hier sehr positiv wahrgenommen. Für uns ist es etwas Gutes. Damit fühlen wir uns gut. Wir streben win-win-Situationen an. Auf der anderen Seite gibt es die strategische Kultur Russlands oder des Ostens. Es ist eine Schwarz-Weiß-Strategie, wo es nur Gewinner und Verlierer gibt.” sagt Legucka. Putin wird daher jedes Kompromissangebot als Schwäche deuten und sich in seiner aggressiven Taktik bestätigt fühlen. Er kann nur gestoppt werden, indem er verliert. Dann hört er wirklich auf.

Es ist kaum auszudenken, was passieren würde, wenn die vielen Millionen Menschen aus der Ukraine bei einem russischen Angriff, mit weiteren Millionen polnischer Frauen und Kinder weiter Richtung Westen, vermutlich nach Deutschland, flüchten müssten. Diese Geflüchtetenwelle dürfte epischen Ausmaßes werden.

Sollte Putin militärisch gegen Polen vorgehen, würde das Land den Kampf aufnehmen. Kaum ein anderes Land in Europa ist so erfahren und leidgeprüft im Partisanenkrieg wie Polen. Diese Tradition ist Jahrhunderte alt. Russland hat in den letzten Jahrhunderten mehrfach versucht, aus Polen Untertanen zu machen. Der Blutzoll war stets hoch, die Aufstände wurden zu Hunderten gezählt, aber zum Schluss war Polen frei. „Für Eure und unsere Freiheit“, heißt der Leitspruch Polens. (Aleksandra Fedorska) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

Der Ukraine-Krieg ist eine Zäsur – besonders für die ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes. Die Hilfsbereitschaft der umliegenden Staaten ist riesig.

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