Taliban jagen Ortskräfte: Safe Houses werden zur Todesfalle
Die Lage in Afghanistan spitzt sich weiter zu: Taliban machen Jagd auf die Ortskräfte. Hilfe kommt zu spät – denn die Evakuierung durch die Bundeswehr stockt.
Berlin/Kabul – Die Angst vor einem schrecklichen Blutbad in Afghanistan wächst: Medienberichten zufolge machen die radikal-islamistischen Taliban jetzt nach ihrer Machtübernahme im ganzen Land systematisch Jagd auf die vielen Ortskräfte. „Es ist grausam und furchtbar“, sagte der Vorsitzende des Patenschaftsnetzwerks Afghanischer Ortskräfte, Marcus Grotian, in der ARD-Tagesschau. Er habe keine Ahnung wie man die Menschen jetzt noch unterstützen sollte. Die Kritik an der deutschen Rettungsaktion wurde angesichts der schlimmen Berichte vom Hindukusch immer lauter.
Land am Hindukusch: | Afghanistan |
Bevölkerung: | 38,04 Millionen (2019) |
Fläche: | 652.860 km² |
Hauptstadt: | Kabul |
Das Patenschaftswerk betrieb bislang in Afghanistan drei sogenannte Safe Houses. Dabei handelt es sich um Sammelunterkünfte, in denen die Ortskräfte, die die deutsche Militärmission jahrelang unterstützt hatten, Zuflucht finden konnten. Angaben zufolge befanden sich zuletzt bis zu 350 Dolmetscher, Übersetzer oder Fahrer in der Obhut der gemeinnützigen Organisation. Doch laut Grotian mussten die Einrichtungen in Windeseile aufgelöst werden, nachdem die Milizen systematisch Häuser im Land durchsucht hatten.
Lage in Afghanistan: Taliban jagen Ortskräfte aus Safe Houses – Hoffnung auf Amnestie bleibt unerfüllt
Die Safe Houses seien nur noch „Todesfallen“, schrieb Grotian auf Facebook. Zuvor hatte er die Ortskräfte gewarnt, sofort die Unterkünfte zu verlassen. „Die Regierung kann sie nicht mehr retten“, fügte er seinem Aufruf hinzu. Die meisten Schützlinge ergriffen den Berichten zufolge umgehend die Flucht und verstecken sich jetzt in den Städten alleine vor den Racheakten der Taliban. Diejenigen, die den Milizen in die Hände fielen, bettelten um ihr Leben, kritisierte Grotian und warf der Bundesregierung unterlassene Hilfeleistung vor.

Auch die geflüchteten Afghaninnen und Afghanen reagierten wütend auf die frühere Schutzmacht, ebenso wie frühere Soldaten. Deutschland hätte zumindest vor zwei Wochen klar sagen müssen, dass eine Ausreise nicht möglich sei, zitiert die ARD einen früheren Übersetzer der Bundeswehr. In diesem Fall hätte man zumindest nach Pakistan flüchten können. „Doch jetzt sitzen wir hier fest und sind einfach festgenagelt.“
Nach Regierungsinformationen befinden sich noch mindestens noch 2500 Ortskräfte in Afghanistan. Inklusive ihrer Familienangehörigen sowie weitere gefährdete Personen wie Menschenrechtsanwälte müssten in den kommenden Stunden fast 10.000 Menschen ausgeflogen werden, von ihnen sollen dann auch viele in Bremen und Niedersachsen aufgenommen werden. Doch die Mission droht zu scheitern.
Evakuierung in Kabul: Bundeswehr landet mit Flugzeugen verspätet – nur sieben Menschen rausgeholt
So sind die Zustände in der Hauptstadt Kabul weiter chaotisch und die Bundeswehr kämpft bei der Evakuierung der Botschaftsmitarbeiter und der Ortskräfte mit massiven Problemen. Zwar starteten am Montag zwei A400M-Transportflugzeuge vom niedersächsischen Fliegerhorst in Wunstorf in Richtung Kabul. Doch dort mussten die Maschinen teilweise umkehren oder stundenlang in der Luft kreisen. Nur eine Maschine konnte für 40 Minuten einen kurzen Zwischenstopp einlegen und auf dem Rückflug bloß sieben Menschen mitnehmen*. Ausgelegt ist die Maschine für bis zu 150 Menschen.
„Wir haben eine sehr unübersichtliche, gefährliche, komplexe Situation am Flughafen, vor allen Dingen durch die Menschenmengen“, teilte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Dienstagmorgen mit. Immer wieder stürmen tausende Afghaninnen und Afghanen die Rollfelder*, um einen Platz in den startenden Maschinen zu ergattern.
Hilfe für Afghanistan kommt zu spät – Kritik an Bundesregierung wächst
Mit der ersten Bundeswehr-Maschine landeten nun 600 Fallschirmjäger in Kabul. Sie sollen die Rückholaktion absichern und dafür sorgen, dass die zur Ausreise berechtigten Menschen auch zu den Militärfliegern durchkommen.
Wegen der missglückten Rettungsaktion und der verheerenden Lage für die Ortskräfte warf Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch der Bundesregierung Versagen vor. Sowohl die Verteidigungsministerin als auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hätten die Situation falsch eingeschätzt und mit ihrer „Behäbigkeit“ dazu beigetragen, dass nun hunderte Menschenleben gefährdet seien. Er forderte die beiden Minister deswegen zum Rücktritt auf. Und auch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet sprach von einer „Fehlkalkulation“ und forderte eine umgehende Aufklärung der Vorfälle. * kreiszeitung.de und merkur.de sind ein Angebot von IPPEN.MEDIA.