Kriegsgrüße aus Kiew: Doch mehr als ein Fototermin – wenn Scholz liefert
Am 113. Kriegstag besuchte Olaf Scholz die Ukraine und sprach sich für den EU-Beitritt des Landes aus. Doch einige Fragen bleiben. Eine Analyse des Besuchs in Kiew.
Kiew – Es ist ein Besuch, der seit Wochen mit Spannung erwartet wurde und bei dem bis kurz vor Reiseantritt offiziell nicht feststand, ob er tatsächlich stattfinden würde: Am Donnerstag, dem 16. Juni, reiste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi in das vom Ukraine-Krieg geplagte Kiew. Auch Rumäniens Präsident Klaus Iohannis wohnte dem Besuch bei. Lange hatte Scholz gewartet, doch am 113. Kriegstag kam es nun zum Zusammentreffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Erwartungen an Scholz waren im Vorfeld groß – und am Ende lieferte der Bundeskanzler, was von ihm erwartet wurde.
Olaf Scholz besucht die Ukraine: mehr als Symbolpolitik – klares Ja zum EU-Beitritt
Begleitet von einem zweifachen Luftalarm machte sich der deutsche Bundeskanzler persönlich ein Bild von der Lage in der Ukraine. Nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin Ende Februar die Invasion des Nachbarlandes gestartet hatte, war von der Führung in Kiew mehrfach gefordert worden, dass Scholz die Ukraine besuche, doch unter anderem durch die zwischenzeitliche Ausladung des deutschen Staatsoberhauptes Frank-Walter Steinmeier verzögerte sich die Scholz-Reise nach Kiew.

„Meine Kollegen und ich sind heute hier nach Kiew gekommen mit einer klaren Botschaft: Die Ukraine gehört zur europäischen Familie“, sagte Olaf Scholz während einer Rede in der Hauptstadt und sprach damit aus, was viele Beobachter vom deutschen Bundeskanzler bei diesem Solidaritätsbesuch erwartet hatten: Deutschland steht, wie auch Frankreich, hinter dem Vorschlag, der Ukraine einen EU-Beitritt zu ermöglichen. Angesichts des Kriegs hatte die Regierung einen entsprechenden Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. Nun wird erwartet, dass die EU-Kommission am Freitag den Vorschlag machen wird, der Ukraine eine klare Beitrittsperspektive zu ermöglichen.
EU-Beitritt der Ukraine: Verhandlungen könnten Jahre dauern
Dass der Beitrittsstatus nicht automatisch auch einen zeitnahen Beitritt in die EU bedeutet, zeigt hingegen das Beispiel der Türkei: Seit Dezember 1999 ist das Land offiziell Beitrittskandidat – Beitrittsverhandlungen können mitunter auch Jahrzehnte dauern. Das sagte auch David McAllister (CDU), Mitglied des Europäischen Parlaments, zu kreiszeitung.de von Ippen.Media: „Der Kandidatenstatus für die Ukraine kann nur durch einen einvernehmlichen Beschluss der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union vergeben werden.“ Im Vorfeld der jetzigen Kiew-Reise machte er deutlich, dass er klare Signale aus Frankreich, Italien und Deutschland erwarten würde. „Die Botschaft muss lauten, dass die Ukraine eine glaubwürdige europäische Perspektive nach dem Krieg hat. Der Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine sollte zügig erteilt werden.“
Wie schnell ein Land EU-Mitglied werden könne, hängt von den individuellen Anstrengungen ab, alle anspruchsvollen rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Kriterien tatsächlich zu erfüllen, so McAllister „Der Kandidatenstatus gilt als der Beginn eines herausfordernden Weges zur EU-Mitgliedschaft. Auf der Basis des Assoziierungsabkommens gilt es, die Ukraine zunächst weiter in den EU-Binnenmarkt zu integrieren.“ Im Interview mit kreiszeitung.de sprach sich auch Anton Hofreiter für einen EU-Kandidatenstatus aus.
Scholz will EU-Beitrittsstatus der Ukraine: Reise nach Kiew war mit Spannung erwartet worden
Dass Scholz bei einer möglichen Ukraine-Reise sich entsprechend für den EU-Beitrittsstatus der Ukraine einsetzen würde, war von Experten erwartet worden – genauso wie die Zusage, weitere Waffen an Kiew liefern zu wollen. Doch der deutsche Kanzler ging bei seinem Besuch bei Wolodymyr Selenskyj nicht über das Notwendige hinaus: Angesichts der ausstehenden Waffenlieferungen aus Deutschland muss die deutsche Politik nun noch stärker darauf achten, dass die Zusage von Scholz nicht zu einem Symbolakt verkommt. Auch bei seinem Besuch in Kiew vermied es der deutsche Bundeskanzler, verbindliche Zusagen für weitere Waffenlieferungen zu machen. Zuvor hatte die liberale Verteidigungsexpertin Agnes Strack-Zimmermann die Lieferung von Panzern an die Ukraine gefordert.
Scholz‘ Besuch in Kiew war schlussendlich aber auch der wohl bedeutendste seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs – auch wenn man dem Bundeskanzler vorwerfen kann, dass er ein Nachzügler unter den Regierungschefs ist. Denn Scholz, Macron und Draghi repräsentieren die drei bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten EU-Länder, die auch zu den G7-Staaten und damit zu den demokratischen Wirtschaftsmächten der Welt gehören. Während andere Regierungschefs und Politiker den Besuch in Kiew womöglich auch dafür nutzten, mit dem gemeinsamen Fototermin mit Selenskyj Flagge zu zeigen, hatte Scholz zuvor bereits angekündigt, dass er sich nicht einreihen werde in eine Gruppe von Leuten, die für ein „kurzes Rein und Raus“ die Ukraine besuchen würden.
Zeichen der Hoffnung für die Ukraine: Olaf Scholz sendet klare Botschaft an Wladimir Putin
Das Bekenntnis des Bundeskanzlers und der anderen Besucher in Kiew für den EU-Beitrittsstatus der Ukraine ist am Ende des Tages vor allem ein Zeichen der Hoffnung für die Ukraine. Und womöglich wird es für Olaf Scholz zu einer Bürde, die sein Land – und ganz Europa – in den kommenden Tagen und Wochen tragen müssen. Denn das Bekenntnis zur Ukraine ist eine klare Botschaft in Richtung des Kremls, die Gewicht hat: „Wir unterstützen die Ukraine weiter und leisten Unterstützung.“ Russlands Präsident Wladimir Putin wird dies mit großer Wahrscheinlichkeit nicht wohlwollend aufnehmen.
Auch ohne die Reduzierung auf einen Fototermin ist es Olaf Scholz dennoch gelungen, mit seiner Politik Symbole zu schaffen. Doch nach der großmütigen Ankündigung der mächtigsten Nationen der EU sind die Erwartungen auch an Scholz groß – er muss seinen Worten nun zeitnah Taten folgenden lassen. Doch durch die unklare Haltung zu weiteren Waffenlieferungen zeigt sich wieder einmal: Hundertprozentig will sich Scholz beim Thema Ukraine (noch) nicht festlegen. Verdenken kann man es ihm nicht – mit schweren Panzern aus Deutschland könnte die Ukraine Russland gefährlich nahekommen und den Westen immer weiter in den Ukraine-Krieg ziehen.