Geschrei um „Weltkrieg“: Das macht den Ukraine-Konflikt so gefährlich
Joe Biden warnt in einem Interview vor weltkriegsähnlichen Zuständen im Ukraine-Konflikt. Doch wie groß ist die Gefahr wirklich und was muss die EU tun? Eine Analyse.
Update vom 24. Februar 2022 um 09:55 Uhr: In der vergangenen Nacht zum Donnerstag ist es zur Invasion der Ukraine durch russische Truppen gekommen. Was viele Beobachter vor einigen Wochen noch für unmöglich gehalten haben, hatte sich in den vergangenen Tagen zunehmend angedeutet. US-Präsident Biden warnte seit Tagen vor einer russischen Invasion in die Ukraine. Nun schickt Präsident Putin Kampfflugzeuge, Panzer und Soldaten. Wladimir Putin hatte eine Militäroperation angekündigt, wenig später begann der Truppeneinmarsch. Als Reaktion kommen am Donnerstag die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten zusammen, um über das weitere Vorgehen bezüglich des Kriegs in Osteuropa zu beraten. Die Inhalte dieses Beitrags sind dementsprechend veraltet.
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Erstmeldung vom 11. Februar 2022 um 11:30 Uhr: Washington/Moskau/Kiew – Gelingt es, den Frieden in Osteuropa zu bewahren? Seit Wochen bemühen sich Top-Diplomaten, im Ukraine-Konflikt mit Russland eine diplomatische Lösung zu erreichen. Bisher blieben die Versuche ergebnislos und durch großangelegte Militärmanöver auf beiden Seiten spitzt sich die angespannte Lage an der Grenze der Ukraine weiter zu. Die Fronten zwischen den Konfliktparteien sind verhärtet wie nie. Während Bundeskanzler Olaf Scholz das weitere diplomatische Vorgehen mit den Staaten des Baltikums abstimmt und eine Reise nach Moskau und Kiew vorbereitet, warnt US-Präsident Joe Biden vor einer möglichen Eskalation in der Krise. Doch droht jetzt wirklich ein Weltkrieg?
46. Präsident der Vereinigten Staaten: | Joe Biden |
Geboren: | 20. November 1942 (Alter 79 Jahre), Scranton, Pennsylvania, Vereinigte Staaten |
Größe: | 1,82 m |
Partei: | Demokratische Partei |
Kriegsgefahr in Osteuropa: US-Präsident Biden warnt vor möglicher Eskalation im Ukraine-Konflikt
Nach Einschätzung des US-Präsidenten Joe Biden ist die Gefahr im Ukraine-Konflikt so groß wie nie: „Das ist ein Weltkrieg, wenn Amerikaner und Russen beginnen, aufeinander zu schießen“, warnte er in einem Interview mit dem Fernsehsender NBC. Es sei jetzt der Zeitpunkt gekommen, das Land zu verlassen. Sollte es zu einer russischen Invasion der Ukraine kommen, wäre eine Evakuierung mithilfe von US-Truppen undenkbar, betonte Biden. „Es ist nicht so, als hätten wir es mit einer Terrororganisation zu tun“, sagte er weiter. Die Situation in der Ukraine-Krise* sei nicht vergleichbar mit den militärischen Einsätzen der US-Streitkräfte der vergangenen Jahre, bei denen es vorrangig um die Bekämpfung von Terrororganisationen ging.

Nach Einschätzung des US-Präsidenten könnten die Dinge in der Ukraine schnell außer Kontrolle geraten. Gegenwärtig raten die USA von Reisen in die Ukraine ab und verweisen unter anderem auf eine „zunehmende Bedrohung durch russische Militäraktionen“. Allerdings erklärte Biden in Bezug auf eine mögliche Gefährdung von US-Bürgern: Selbst wenn Wladimir Putin „dumm“ genug sein sollte, seine Armee in die Ukraine einmarschieren zu lassen, sei er doch „schlau genug“, US-Bürgern keinen Schaden zuzufügen.
Wird der Ukraine-Konflikt zum Weltkrieg? US-Außenminister Antony Blinken warnt vor Invasion der Ukraine
Droht nun ein Weltkrieg inmitten von Europa? Zwar schloss sich US-Außenminister Antony Blinken den Warnungen seines Präsidenten an und erklärte, dass die russische Invasion der Ukraine jederzeit bevorstehen könnte. „Wie zuvor schon gesagt, sind wir in einem Zeitfenster, in dem jederzeit eine Invasion beginnen könnte“, sagte der amerikanische Top-Diplomat. Allerdings bedarf es einer übergeordneten Einordnung der gegenwärtigen Lage: Es ist richtig, dass der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine ein bedrohliches Szenario darstellt und die Kriegsgefahr immens steigert, aber im Gegenzug wären die Nachteile für Wladimir Putin im Falle einer Invasion gewaltig.
Der Westen hat starke wirtschaftliche Sanktionen angekündigt, wenn russische Truppen in die Ukraine einfallen würden. Diese hätten zur Folge, dass Russland von großen Teilen der restlichen Welt abgeschnitten wäre. Internationaler Währungsverkehr wäre kaum noch möglich und das Land könnte in eine Finanzkrise rutschen. Wladimir Putin gilt zwar auf innenpolitischer Ebene als angeschlagen, allerdings würden ihn die Folgen eines möglichen Kriegs in der Ukraine weit schwerer treffen – diesem Szenario wird sich der Kreml-Chef bewusst sein.
Wladimir Putin will im Ukraine-Konflikt eine Osterweiterung der Nato verhindern
Das übergeordnete Ziel der russischen Regierung und Wladimir Putin im Ukraine-Konflikt ist es weiterhin, eine mögliche Osterweiterung der Nato zu verhindern, weil befürchtet wird, dass dadurch die russische Souveränität gefährdet werden könnte. Aber: Aus russischer Sicht würde die Ukraine künftig in eine wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit abrutschen. Mit der Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2, die unter Umgehung der Ukraine russisches Gas nach Deutschland und Europa bringen soll, würde Russland wirtschaftlichen Einfluss auf die EU gewinnen und könnte Länder in seine Abhängigkeit treiben.
Ukraine-Konflikt: Länder setzen weiter auf Diplomatie – bisher ergebnislos
Die Bilanzen der diplomatischen Unterredungen sind derzeit schlecht: Bisher konnte noch keine friedliche Einigung gefunden werden. Am Donnerstag hatte zuletzt die britische Außenministerin Liz Truss das Gespräch mit der Regierung in Moskau gesucht. Allerdings wirkten die Fronten zwischen ihr und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow bei einem gemeinsamen Presseauftritt verhärtet. Die Londoner Zeitung Times nahm das Treffen der beiden Politiker zum Anlass, um an ein umsichtiges Handeln der Nato im Ukraine-Konflikt zu appellieren: Die einzig seriöse Politik der Nato-Mächte, die ihren eigenen Werten entspricht, würde darin bestehen, der Ukraine beizustehen und ihr Hilfe zu leisten, vor allem mit Panzer- und Flugabwehrwaffen.
Auch wenn sie noch nicht von Erfolg gekrönt sind: Die Gesprächsbereitschaft der Konfliktparteien zeigt, dass derzeit eine friedliche Lösung im Ukraine-Konflikt noch nicht ausgeschlossen ist. Allerdings ergibt sich mit Blick auf die vergangenen Gespräche ein anderes Problem. Zwar beteiligen sich europäische Länder an den Gesprächen mit Moskau, aber der größte Gegenspieler der russischen Regierung in dem Konflikt sind die USA. Die EU scheint deklassiert als Beiwerk am Tisch der Großmächte eines vermeintlich längst vergangenen Kriegs zu sitzen.
Geopolitischer Poker: EU muss sich im Ukraine-Konflikt klar positionieren
Ein möglicher Grund hierfür ist womöglich die Uneinigkeit in der Europäischen Union. Einige Länder haben bereits erklärt, die Ukraine militärisch zu unterstützen. Andere, etwa Deutschland, halten sich mit Waffenlieferungen zurück. Die Bundesregierung selbst fährt keine klare Linie – Bundeskanzler Scholz (SPD) brachte sich sehr spät in die Krise in der Ukraine ein, seine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) setzte bereits früh auf Konsequenzen für Nord Stream 2. Auf dem internationalen Parkett macht die EU daher zurzeit keine gute Figur. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump sah Deutschland gar als Geisel Russlands.
Und das könnte zu einer Gefahr werden: Die einflussreichsten Länder der EU, etwa Deutschland und Frankreich, haben zwar in Gesprächen mit der Ukraine und Russland auf eine Rückkehr zum Normandie-Pakt gepocht, allerdings fehlt bei ihrem Vorgehen eine erkennbare Linie. Diese müsste schnell gefunden werden, damit Europa nicht nur als Schauplatz eines möglichen Konflikts gilt, sondern auch im geopolitischen Poker eine Stimme hat. *kreiszeitung.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.