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Proteste im Iran: Überfüllte Gefängnisse, Folter und „enorme Widerstandskraft“

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Von: Alexander Eser-Ruperti

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Das Regime im Iran versucht die Proteste zu unterwerfen: Es gibt hunderte Tote, tausende Verhaftungen, doch kein Nachgeben. Wie ist die Lage? Ein Gespräch.

Teheran – Die Demonstrationen gegen das Regime überrollen seit dem Tod von Mahsa (Zhina) Amini den Iran. In vielen Städten des Landes kommt es weiter zu spontanen Protesten und Akten des Widerstandes. Das Regime reagiert mit Gewalt und Repression, es gibt hunderte Tote und unzählige Verletzte. Während Regimegegnerinnen und Gegner willkürlich inhaftiert werden, dringen aus den Haftanstalten immer wieder Berichte von Folter.

Auch das Auswärtige Amt warnt inzwischen vor willkürlichen Verhaftungen. Für die Kreiszeitung hat Tara Sepehri Far von Human Rights Watch in New York die Situation eingeordnet. Das Bild, was sie zeichnet, ist düster – und lässt doch Raum, für Zuversicht.

Proteste im Iran: Überfüllte Haftanstalten, Folter und der Beginn einer Verfahrenswelle

Die Proteste im Iran reißen trotz massiver Repression nicht ab, die Unzufriedenheit im Land bricht sich weiter Bahn. Berichte, die auch westliche Medien aus dem Land erreichen, zeugen von massiver Gewalt des Regimes gegenüber seinen Gegnern und allen, die es dafür hält. Im Gespräch mit der Kreiszeitung berichtet Tara Sepehri Far von anhaltender Unterdrückung und der Situation in iranischen Gefängnissen. Für Human Rights Watch in New York untersucht sie aktuell Menschenrechtsverletzungen im Iran und in Kuwait.

Demonstration gegen Irans Regierung - Italien
Eine Teilnehmerin einer Solidaritätsdemonstration mit den Protestierenden im Iran ist mit einer Iranischen Flagge und rotem Blut geschminkt. (Symbolbild) © Gregorio Borgia

Tara Sepehri Far sagt: „Letzte Woche erklärte der Sprecher der Justiz, dass die Gerichtsverfahren für die während der aktuellen Demonstrationen verhafteten Personen gerade erst begonnen haben, wobei die Provinzen Teheran, Alborz, Isfahan und Kurdistan das Verfahren leiten und die Fälle an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Derzeit befindet sich die Mehrheit der Inhaftierten in Untersuchungshaft. Soweit wir wissen, werden vor allem Demonstranten in überfüllten Haftanstalten festgehalten und ihres Rechts auf ein ordentliches Verfahren beraubt. Uns liegen auch Berichte vor, wonach einige der Inhaftierten gefoltert wurden.“

Mit den Verfahren zieht der Staat die Repression gegen seine Gegner an, doch von denen gibt es viele. Wie lange gelingt ihm so der Machterhalt? Klar ist: Die Macht bröckelt – gewaltig.

Auswärtiges Amt ruft Deutsche zur Ausreise aus dem Iran auf

Auch in den deutschen Behörden reagiert man nun auf die weitere Zuspitzung der Situation vor Ort: Das Auswärtige Amt ruft deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zur Ausreise aus dem Iran auf. Ein Behördensprecher betonte: „Das eskalierende, gewaltsame Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte erfordert diesen Schritt“. Auf der Website des AA heißt es, es bestünde die Gefahr, „willkürlich festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt“ zu werden. Besondere Gefährdung bestehe für alle Menschen, die neben der deutschen auch die iranische Staatsbürgerschaft hätten, so die Behörde.

„Krieg gegen Gott“ eine „vage definierte Anklage, die zu Todesstrafen führen kann“

Die Inhaftierten erwarten indes empfindliche Strafen, denn es ist davon auszugehen, dass das Regime an ihnen ein Exempel statuieren will. Einigen der Angeklagten wird laut Spiegel das Verfahren wegen „Kriegs gegen Gott“ gemacht. Ein Vorwurf, der im Iran mit dem Tod bestraft werden kann. Medien berichten derzeit von vier solcher Prozesse, ein generelles Novum ist dieser Vorwurf allerdings nicht. Schon früher hatte sich das Regime im Umgang mit seinen Gegnern dieser Unterstellung bedient.

Tara Sepehri Far hierzu: „Das ist kein Einzelfall. Die Behörden haben diese Anklage auch schon bei früheren Protesten gegen Personen erhoben, die verhaftet wurden. Es handelt sich dabei um eine vage definierte Anklage, die zu Todesstrafen führen kann, und die Gerichtsverfahren sind notorisch unfair.“

Zuverlässige Zahlen zu Toten, Verletzten und Inhaftierten sind schwer zugänglich

Eine der Schwierigkeiten in der Berichterstattung über die Situation im Iran besteht darin, dass es kaum Möglichkeiten gibt, belastbare Zahlen zu erhalten. Das was bekannt ist reicht indes auch ohne klare Zahlen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie sich die Lage vor Ort darstellt: Tausende wurden verhaftet, über 250 Menschen ermordet.

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Von HRW heißt es: „Human Rights Watch verfügt über keine unabhängige Einschätzung. Wir schätzen, dass seit Beginn der Proteste im September Tausende von Demonstranten sowie Hunderte von Menschenrechtsverteidigern und Aktivisten verhaftet wurden.“ Auch in den sozialen Medien kursieren zahlreiche Videos, die das Vorgehen des Regimes dokumentieren, doch: auch in Deutschland ist die mediale Aufmerksamkeit in Anbetracht der Lage dürftig.

Menschen finden Wege, „alternatives Bild des Lebens in den Städten als Form des Widerstands zu schaffen“

Das Anhalten der Proteste zeigt, dass die Bevölkerung sich nicht mehr durch Drohungen und Gewalt einschüchtern lässt: Die Menschen sind bereit einen hohen Preis für ihre Freiheit zu bezahlen. Das sieht auch Tara Sepehri Far so. Sie sagt: „Die iranischen Demonstranten haben eine enorme Widerstandskraft bewiesen, und die einfachen Menschen finden Wege, ein alternatives Bild des Lebens in den Städten als eine Form des Widerstands zu schaffen. Schauen Sie sich nur Videos aus dem Iran an, in denen Frauen kein Kopftuch tragen und ihrem normalen Leben nachgehen. Dies ist ein langwieriger Kampf, der sich in verschiedenen Formen fortsetzen wird.“ Es ist wahr: Im Iran steht derzeit alles auf der Kippe.

Sanktionen als zweischneidiges Schwert: Sehen, wem der Druck schadet

Während internationaler Druck bei den iranischen Behörden sehr wohl spürbar ist, sind Sanktionen bisweilen ein zweischneidiges Schwert. Grund hierfür ist unter anderem die Frage, wie sich gewährleisten lässt, dass die Maßnahmen tatsächlich ihren Adressaten finden. Tara Sepehri Far bringt es treffend auf den Punkt: „Die iranischen Behörden nehmen den internationalen Druck sehr wohl wahr und internationale Kontakte sind für das Regime durchaus wichtig“, erklärt sie.

Und weiter: „Die Frage ist, wie man sinnvollen Druck auf die Behörden ausüben kann, damit sie ihr Verhalten ändern. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass der Druck nicht genau den Menschen schadet, die die treibende Kraft des Wandels im Iran sind.“

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