Putin in der Falle: „Er macht Russland zum Juniorpartner Chinas“
Swift-Ausschluss oder Öl-Embargo: Im Ukraine-Krieg treibt die EU Putin in die Enge. Mit Erfolg? Ein Gespräch über Sanktionen und Putsch-Aussichten.
Bremen – Gemeinsam gegen Russland im Ukraine-Krieg: Die wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt haben Präsident Wladimir Putin den Kampf angesagt. So wollen die G7-Staaten die Sanktionen verschärfen und ein Öl-Embargo verhängen. Der Export von Öl und Gas gilt als die „Hauptschlagader“ des Kreml. Die Europäische Union unterstützt das Vorgehen. Doch wie wirksam ist die Waffe? Kann diese Politik Putin in seinem Angriffskrieg bremsen?
Ukraine-Krieg: EU geht mit Sanktionen gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin vor
Einer, der es wissen kann, ist Michael Rochlitz. Der Professor der Uni Bremen untersucht seit vielen Jahren die Wirtschaftsbeziehungen von Russland – auch vor dem Ukraine-Krieg. Durch persönliche Kontakte und Studienaufenthalte in Moskau, kennt er sich bestens aus, mit den Verflechtungen rund um Präsident Wladimir Putin. Zeit für ein Gespräch über Sanktionen, Öl-Embargo, Oligarchen und einen möglichen Sturz des Kreml-Tyrannen:
Die EU zieht bei den Sanktionen die Daumenschrauben an – zeigt dies Wirkung auf Putin?
Es gab noch keinen Fall in der Geschichte, bei dem so massive Sanktionen gegen ein Land verhängt wurden, wie jetzt gegen Russland. Deren Umfang hat Putin klar unterschätzt.

Putin von der Wucht der Sanktionen überrascht
Inwiefern? Ein großes Geheimnis hat die EU nie daraus gemacht.
Natürlich hat Putin mit Sanktionen gerechnet, aber nicht mit dieser Wucht. Auch war er sich sicher, dass der Krieg schnell vorbei sein würde, und keine weiteren Sanktionen kommen würden.
Sind die Sanktionen also eine wirksame Waffe?
Die Sanktionen werden mittel- bis langfristig ihre Wirkung zeigen. Für den Westen gibt es kaum eine andere Möglichkeit, Druck auf Russland auszuüben, um den Krieg zu beenden. Direkt militärisch einzugreifen, ist sehr gefährlich. Denn auf der anderen Seite sitzt mit Putin eine Person, die Atomwaffen hat, und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr völlig rational handelt.
Wie genau wird Russland unter den Sanktionen leiden?
Neben dem Ausschluss vom internationalen Finanzmarkt ist Russland von der Möglichkeit von Importen abgeschnitten, vor allem im Bereich der Hochtechnologiegüter. Von denen ist die russische Wirtschaft fast völlig abhängig. Rohstoffe wie Gas und Öl können weiter exportiert werden. Aber das verarbeitende Gewerbe, die Rüstungs- oder Automobilindustrie wird bald komplett stillstehen, weil sie keine Zulieferer mehr haben. Das macht die Wiederaufrüstung schwierig, bedroht aber auch hunderttausende Arbeitsplätze.
Ölembargo: Sanktionen der EU treffen Russland im Ukraine-Krieg massiv
Putin sagt: Kein Problem, wir verstaatlichen die Betriebe.
Das wird nicht gehen. Russland kann langfristig die Gehälter nicht bezahlen, außerdem fehlen ja viele importierte Bauteile. Zudem wird die Drohung, ausländische Betriebe zu verstaatlichen, internationale Investoren sehr verunsichern. Selbst wenn der Krieg irgendwann endet und die Sanktionen fallen, werden viele Unternehmen aus Angst vor politischen Risiken die Rückkehr auf den russischen Markt scheuen. Die jahrelangen Versuche, Investoren ins Land zu bringen, waren dann umsonst. Das ist ein massiver Schaden, den Putin und seine Leute hier angerichtet haben.
Wer genau sind die Leute um Putin? Wer hat noch Einfluss auf den Kremlherrscher?
Das ist ein Kreis aus drei, vier, fünf, Geheimdienstlern und hohen Militärs. Und die verstehen einfach nicht, wie eine moderne Volkswirtschaft funktioniert. Sie denken, Russland ist eine Weltmacht mit großer Geschichte, reich an Bodenschätzen, um die es die westliche Welt beneidet. Deswegen versucht die Nato, Russland in die Knie zu zwingen. Aber Russland ist stark genug, um sich zu wehren. Dass militärische Stärke letztendlich auf wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beruht, auf Technologie und Innovationen, haben sie nicht kapiert.
Wann werden sie es denn kapieren? Muss die EU die Daumenschrauben noch weiter anziehen?
Das geplante Öl- und mögliche Gasembargo ist wohl der größtmögliche Druck, den die EU ausüben kann. Das wird Russland massiv treffen.
Ukraine-Konflikt: Öl-Embargo und Swift-Ausschluss – treiben die Sanktionen Russland in die Arme Chinas?

Putins Wirtschaft: „Russland wäre komplett abhängig und der Juniorpartner der Chinesen“
Wären Geschäfte mit China für Putin eine Alternative?
Die Pipelines gehen alle nach Westen. Für den Umbau der Leitungen nach Asien und China wird man zumindest einige Jahre benötigen. Und es ist unklar, ob China das überhaupt will. Denn dann droht ein Wirtschaftskrieg mit dem Westen. Möglich wäre vielleicht, dass China Russland Kredite gibt, und Russland in China dafür Konsumgüter einkauft.
Was wäre für Putin so schlimm daran?
Russland wäre komplett abhängig und der Juniorpartner der Chinesen. Und zwar auf lange Zeit. Denn in Russland gibt es dann keinen Wachstumsmotor mehr. Keine Investitionen, keine Innovationen, keine Technologieimporte aus dem Westen – man müsste auf vielen Gebieten wieder autark werden und die Dinge selber zusammenbasteln. Das wäre eine Rückkehr zur Sowjetunion – wahrscheinlich sogar noch schlimmer als damals.
Sturz von Putin: Eine Massendemonstration auf der Straße wird es nicht geben
Und die Bevölkerung trägt das alles klaglos mit?
Russlands Bevölkerung wird unter der Krise tatsächlich massiv leiden. Es leben zwar viele reiche Menschen in Moskau, aber Russland ist kein reiches Land, viele Russinnen und Russen leben immer noch am Existenzminimum. Die geraten jetzt unter großen Druck, weil die Sanktionen die Inflation nach oben treibt. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass es zu Protesten kommen wird. Das Staatsfernsehen hat die Deutungshoheit und das russische Volk schätzt deswegen die Schuldfrage für das wirtschaftliche Desaster völlig falsch ein.
Wer oder was könnte Putin denn gefährlich werden?
Es gäbe die Möglichkeit eines Militärputsches. Empirische Studien zeigen, dass seit dem Zweiten Weltkrieg zwei Dritteln der gescheiterten Diktaturen durch eine Palastrevolution ihr Ende gefunden haben, und nur ein Drittel durch Proteste von der Straße. Insofern wäre ein Putsch wahrscheinlicher. Allerdings ist in Russland das Militär traditionell unpolitisch.
Putsch gegen Putin: Aufstand gegen Russlands Präsidenten muss vom Militär ausgehen
Sehen Sie denn Anzeichen für einen Sturz Putins?
Das ist schwer zu sagen. Wenn weiter irrationale Entscheidungen von Putin getroffen werden, kann man nur hoffen, dass die Militärelite einen Plan B in der Tasche hat. Aber im Prinzip sind alle Leute in hohen Positionen sehr loyal zu Putin. Sonst hätten sie diese Posten nicht. Wobei zum Beispiel im Geheimdienst FSB die Unzufriedenheit mit Putin in letzter Zeit zugenommen zu haben scheint.
Was könnte man tun, um das Umfeld von Putin dazu zu bewegen, einen Machtwechsel zu initiieren? Noch schärfere Sanktionen?
Das Problem ist, dass die Militär- und Sicherheitseliten jetzt nicht diejenigen sind, die die großen Villen in Italien besitzen. Am meisten leiden vor allem die Oligarchen unter den Sanktionen. Das sind die Wirtschaftsbosse, die sich unter Putin bereichert und jetzt massiv Geld verloren haben. Für sie ist der Krieg purer Wahnsinn und er macht überhaupt keinen Sinn.
Und sie können Putin nicht gefährlich werden?
Nein, die Oligarchen scheinen kaum noch Einfluss auf Putin zu haben. Sie sind nicht organisiert, es gibt in Russland keine starke Wirtschaftslobby, die gemeinsam Druck auf Putin ausüben könnte.
Ukraine-Krieg: Oligarchen haben zu wenig Einfluss auf Putins Sturz
Um die Oligarchen ranken sich viele Mythen. Aber nach ihrer Einschätzung steckt dahinter keine homogene Masse?
Man kann die Oligarchen vielleicht in drei verschiedene Gruppen einordnen. Zum einen gibt es da die Oligarchen, welche in den 90er Jahren sehr reich geworden sind, zum Beispiel Michail Chodorkowski oder Boris Beresowski. Die waren damals auch daran beteiligt, Putin als Nachfolger Jelzins aufzubauen. Sie dachten, den kann man leicht beeinflussen.
Eine Fehleinschätzung.
Ja. Der Plan ist richtig schiefgegangen. Einige Oligarchen mussten schnell das Land verlassen. Chodorkowski wollte bleiben und Putin politisch herausfordern. Dafür hat er mit Gefängnis und dem Verlust seiner Firma bezahlt. Die restlichen Oligarchen haben mit Putin einen Deal gemacht: Sie halten sich aus der Politik heraus, dürfen aber weiter wirtschaftlich aktiv bleiben.
Wer gehört zur zweiten Gruppe der Oligarchen?
Das sind Leute, die durch Putin zu Reichtum gekommen sind. Die waren zum Beispiel in Putins Judo-Club oder mit ihm zusammen beim KGB. So wie Igor Setschin, der hat einst Putin als Bürovorsteher die Aktentasche getragen und ist jetzt Chef von Rosneft. Wie viele andere enge Mitarbeiter Putins aus den 90er Jahren ist er jetzt Milliardär und absolut loyal zu Putin.
Und die dritte Gruppe?
Es gibt tatsächlich auch russische Oligarchen, die durch ihre Kompetenz Wirtschaftsimperien aufgebaut haben, wie zum Beispiel Wladimir Jewtuschenkow oder Oleg Tinkow. Tinkow ist auch einer der ersten Oligarchen, der Putin jetzt scharf kritisiert hat.
Trotzdem werden die Oligarchen jetzt mit den Sanktionen kaltgestellt. Ist das hilfreich?
Die Oligarchen sind reich genug und werden nicht verhungern. Die meisten haben wohl mit Sanktionen gerechnet, und in verschiedenen Ländern rechtzeitig Geld in Sicherheit gebracht. Nur, sie können jetzt nicht weiter Geld verdienen. Und es sind Alphatiere. Die wollen Chef einer Firma sein und nicht nur am Pool sitzen. Das Problem ist nur: Sie haben keinen Zugang zu Putin, und können den Verlauf des Krieges kaum beeinflussen. Am Ende ist ihre Macht begrenzt.
Herr Rochlitz, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Professor Michael Rochlitz lehrt an der Universität Bremen Volkswirtschaftslehre. Sein Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf der Frage, wie sich autoritäre politische Institutionen auf wirtschaftliche Prozesse wie Wirtschaftswachstum, Unternehmensgründungen oder Investitionsbereitschaft auswirken. Vor allem die beiden Länder China und Russland liegen in seinem Fokus. In dem Staat von Präsident Wladimir Putin hat er selber viele Jahre lange gelebt und gearbeitet.