Nato als Schutzschild: Was ein Beitritt für Finnland und Schweden bedeutet
Finnland und Schweden wollen nach jahrzehntelanger Neutralität nun doch Teil der Nato werden. Der Beitritt der Skandinavier hätte für alle positive Folgen – außer für Wladimir Putin.
Berlin – Schluss mit Neutralität: Finnland und Schweden wollen sich der Nato anschließen. Den entsprechenden Antrag haben beide Länder bereits unterzeichnet. Damit gehen die skandinavischen Staaten einen historischen Schritt. Denn Finnland war seit Ende des Zweiten Weltkrieges neutral, Schweden hat sich bereits 200 Jahre lang keinem Militärbündnis mehr angeschlossen. Aber die aktuellen Geschehnisse im Zuge vom Ukraine-Krieg haben die Staatschefs offenbar zum Umdenken bewegt.
Bündnis: | Nato |
Mitgliedsstaaten: | 30 |
Ziel: | gemeinsame Sicherheit und Verteidigung |
Nun liegt es an den insgesamt 30 Nato-Staaten, über den Mitgliedsantrag zu entscheiden. Normalerweise dauert ein solcher Prozess jahrelang, aber im Fall von Finnland und Schweden hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bereits angekündigt, alles für einen möglichst zeitnahen Nato-Beitritt zu tun. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass es zu einem schnellen Beitritt von Finnland und Schweden kommen wird“, sagte sie bei einer Pressekonferenz.
Finnland und Schweden hegen Nato-Ambitionen – Kritik von Türkeis Präsident Erdogan
Allerdings ist nicht jeder Mitgliedsstaat von den Ambitionen der skandinavischen Länder begeistert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reagierte verärgert. Er wirft Finnland und Schweden vor, Mitglieder terroristischer Vereinigungen zu beherbergen, ohne sie an die Türkei auszuliefern. Er kündigte deshalb an, gegen den Nato-Beitritt zu stimmen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn allerdings geht nicht davon aus, dass die Türkei den Beitritt wirklich verhindern wird. Im Deutschlandfunk sagte er: „Erdogan versucht eher, den Preis hoch zu treiben“.

Aber wie hoch wird der Preis sein, den Finnland und Schweden für die Mitgliedschaft im weltweit größten Verteidigungsbündnis zahlen? Fest steht, die Neutralität, die beiden Ländern bisher so wichtig war, wird in der Form keinen Bestand haben. Denn ein Nato-Beitritt ist mit Pflichten verbunden. So heißt es in dem Regelwerk, dass die Mitgliedstaaten sich im Falle eines Angriffes gegenseitig Beistand leisten. Und das geht im Bündnisfall dann – anders, als wir es aktuell im Fall der Ukraine beobachten – bis hin zum Militäreinsatz.
Da beide Staaten allerdings bereits Mitglied in der Europäischen Union (EU) sind, ist das nichts Neues für sie. Denn dort gibt es eine ähnliche Beistandspflicht. „Aus Sicht der skandinavischen Länder ist der Schritt natürlich nachvollziehbar – denn in der Nato genießen sie eine Beistandsgarantie, die die erweiterte nukleare Abschreckung der USA einschließt“, erklärt Verteidigungsexperte Wolfgang Richter gegenüber kreiszeitung.de.
Nato profitiert von militärischer Schlagkraft der skandinavischen Länder wie Finnland und Schweden
Auch die Nato-Staaten sind sich weitgehend einig darüber, dass der Beitritt von Finnland und Schweden ein großer Gewinn für das Verteidigungsbündnis sein kann. Das liegt vor allem an den militärischen Fähigkeiten der skandinavischen Länder. Denn als Nato-Mitgliedsstaat müssen Finnland und Schweden ihre eigene Armee in die militärischen Einheiten des Verteidigungsbündnisses integrieren. Das heißt: Die verschiedenen Länder müssen nicht nur im Ernstfall miteinander agieren können, sondern bereits im Vorfeld militärisch aufeinander abgestimmt sein. Dafür gibt es Vorgaben für die Ausrüstung und die Heeresgrößen. Anders als viele andere Nato-Mitgliedstaaten, erfüllen die beiden skandinavischen Länder einige davon bereits schon vor ihrem Eintritt.
So umfasst das finnische Militär zum Beispiel 12.000 Berufssoldaten und 22.000 Wehrpflichtige pro Jahr – und das bei einer Bevölkerung von 5,5 Millionen Menschen. Im Kriegsfall wächst die Sollstärke sogar auf 280.000 Soldaten an, zusätzlich stehen knapp 900.000 Reservisten bereit. Zum Vergleich: Deutschland hat 2022 mit rund 82 Millionen Einwohnern rund 175.000 Berufs- und Zeitsoldaten. Man merkt schnell: Während viele Nato-Staaten in den vergangenen Jahren vermehrt auf humanitäre Einsätze, Aufklärung und Terrorbekämpfung gesetzt haben, ist in Finnland nach wie vor die Landesverteidigung oberste Priorität.
Wladimir Putin sieht im Nato-Beitritt von Finnland und Schweden „ein Sicherheitsrisiko“
Ähnlich sieht das in Schweden aus. Das skandinavische Land verfügt über gut ausgebildete Soldaten und eine schlagkräftige Rüstungsindustrie. Und genau da liegt der Knackpunkt in den Nato-Ambitionen von Finnland und Schweden. Denn: „Wenn Wladimir Putin seine Sicherheitsbedenken gegen die Nato-Erweiterung in der Nähe Russlands konsequent folgt, dann wird er im Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens ein Sicherheitsrisiko sehen“, erklärt Verteidigungsexperte Wolfgang Richter im Gespräch mit kreiszeitung.de.
Die finnisch-russische Grenze umfasst stolze 1300 Kilometer. Bereits jetzt nimmt Russlands Präsident Wladimir Putin die Nato als Bedrohung wahr. Putin sagte zu den Nato-Ambitionen beider Länder deshalb, dass er zwar kein Problem mit ihnen habe, aber „sollte sich auf diesen Territorien militärische Infrastruktur ausbreiten, werden wir darauf reagieren“.
Verteidigungsexperte Richter: Verlieren durch Nato-Beitritt von Finnland und Schweden wichtige Vermittler
Wie diese Reaktion ausfallen würde, das ließ Putin erstmal offen. Wolfgang Richter, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sagte im Gespräch mit kreiszeitung.de dazu: „Einen Angriff, wie er gerade in der Ukraine stattfindet, halte ich für mehr als unwahrscheinlich, weil Putin sich dort schon strategisch übernommen hat“. Aber: Die Stationierung von mehr russischen Truppen an der finnisch-russischen Grenze erscheine ihm als eine realistische Option. „Viel wird davon abhängen, ob die Skandinavier bei dem Grundsatz bleiben, keine fremden Truppen dauerhaft auf ihrem Boden zu stationieren“.
Was für Russland ein Alarmsignal zu sein scheint, kann der Nato eine hilfreiche Norderweiterung zum Schutz vor russischen Angriffen sein. Denn die finnische Armee sichert bereits jetzt die Grenze zu Russland erfolgreich ab. Sobald Finnland zur Nato gehören würde, wäre das auch eine Absicherung für die baltischen Staaten. Aktuell gilt die sogenannte Suwalki-Lücke nämlich als mögliche Einmarschroute russischer Truppen durch Belarus.
Damit wäre Finnlands Nato-Mitgliedschaft ein direkter Sicherheitsgewinn für die Bewohner der baltischen Staaten. Aber der Nato-Beitritt von Finnland und Schweden hat laut Verteidigungsexperte Wolfgang Richter auch eine Schattenseite für das westliche Nato-Bündnis: „Wir verlieren die wichtige Vermittlungsrolle, die die beiden bisher neutralen Staaten in der Vergangenheit wahrgenommen haben. So hat Finnland im Kalten Krieg zum Dialog zwischen Ost und West erheblich beigetragen“.