Moldau im Würgegriff Russlands: Expertin sieht Putin-Plan mit Entsetzen
Lange stand Moldau Russland treu zur Seite - nun orientiert sich das Land immer mehr gen Westen. Droht Putins Rache, wie in der Ukraine? Experten sehen eine andere Strategie.
Chisinau - Ein kleiner Staat in Südosteuropa steht derzeit im Fokus der Welt: Moldau. Das liegt an einem Strategiepapier Russlands, das jetzt in die Hände eines Rechercheteams von NDR, WDR und SZ gelangte und zeigt: Russlands Präsident Wladimir Putin hat einen Plan mit Moldau. Er will prorussische Strömungen fördern, die Regierung untergraben und verhindern, dass Moldau sich weiter dem Westen zuwendet und damit seinem Einfluss entschwindet.
Droht Moldau ein Schicksal wie der Ukraine, womöglich mit einem brutalen militärischen Einmarsch? Dr. Katrin Böttger, Direktorin des Instituts für europäische Politik in Berlin, glaubt nicht daran – hält es aber auch nicht für unmöglich. „Ich habe auch das Ausmaß der russischen Invasion in der Ukraine unterschätzt. Deshalb würde ich nichts komplett ausschließen“, so die Moldau-Expertin im Gespräch mit kreiszeitung.de von IPPEN.MEDIA.

Expertin zu Putins Plan für Moldau: „Das muss einen entsetzen“
Dennoch sieht sie das Risiko eines militärischen Einmarsches in Moldau derzeit als gering an. Allein, weil Putins Soldaten großteils in der Ukraine gebunden sind. Nichtsdestotrotz lässt die langjährige Moldau-Forscherin das nun geleakte Strategiepapier nicht kalt: „Zwar sind die darin genannten Punkte nicht überraschend. Trotzdem müssen einen derart strategische Pläne, wie Einfluss auf einen souveränen Drittstaat genommen werden soll, nach wie vor entsetzen“, sagt sie.

Dass Russland in Moldau operiert, um eine Annäherung an den Westen zu verhindern, ist seit längerem Realität. Spätestens, seit 2020 mit Maia Sandu eine prowestliche Regierungschefin an die Macht kam, ist die Nervosität im Kreml groß. „Die russische Propaganda hat in Moldau in den vergangenen beiden Jahren massiv zugenommen“, beobachtet Dr. Nadja Douglas vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin. Auch sie sieht im Gespräch mit kreiszeitung.de derzeit zwar aktuell keine unmittelbare Gefahr für die militärische Sicherheit Moldaus - „aber eine große Gefahr für weitere Destabilisierungs-Maßnahmen und Versuche der Unterwanderung.“
Seit dem Ukraine-Krieg geht Moldau stärker gegen Russlands Propaganda vor
Lange habe die moldauische Regierung russischen Desinformation-Kampagnen relativ tatenlos zugesehen. Doch seit der Ukraine-Krieg tobt, ist man offenbar aufgewacht: „Die Regierung geht jetzt stärker dagegen vor, um die Bevölkerung vor Kriegspropaganda und Fake News zu schützen.“ Beispielsweise entzog die Regierung mehreren TV-Sendern, die russische Propaganda verbreiteten, ihre Lizenzen.
Durch Medien verbreitete Propaganda ist nur eine Form der Einflussnahme Putins, um in Moldau Antipathien gegen den Westen zu streuen. „Russland versucht auf hybride Art und Weise, Gesellschaft und Staat in Moldau zu verunsichern“, fasst es Nadja Douglas zusammen.

Proteste in Moldau: Demonstranten werden mit Bussen in die Hauptstadt gekarrt
Der russische Staat beziehungsweise prorussische moldauische Oligarchen bezahlen offenbar Protestierende, damit sie gegen ihre prowestliche Regierung auf die Straße gehen. Die Demonstranten werden dafür offenbar mit Bussen aus allen Ecken des verarmten Landes in die Hauptstadt Chisinau gekarrt, um sich vor dem Präsidentinnenpalast zu versammeln.
Moldau-Expertin Nadja Douglas weist aber darauf hin: „Nicht alle Menschen, die zurzeit auf die Straße gehen, sind gekauft. Viele protestieren aus wirtschaftlicher Not. Sie wissen nicht mehr, wie sie angesichts der dramatisch gestiegenen Kosten über die Runden kommen sollen und machen dafür auch die pro-europäische Regierung verantwortlich.“

Moldau war fast komplett abhängig von russischer Energie - das nutzte Putin aus
Mit Energiepreisen verfügt Russland in Moldau über einen entscheidenden Hebel der Macht. Als das Land sich nach der russischen Invasion auf die Seite der Ukraine stellt, kam die Quittung postwendend: Putin stellt die Hälfte der Gaslieferungen an Moldau ein. Für einen kleinen Staat, das damals noch über 90 Prozent seiner Energie aus Russland bezog, war dies umso drastischer. Wie andere Länder versucht Moldau seitdem, seine Energieversorgung zu diversifizieren und von Russland unabhängiger zu machen. Doch die Preise explodieren. Für die ohnehin schon verarmte Bevölkerung ist dies eine dramatische Entwicklung.
Auch auf anderem Wege über Russland wirtschaftlich enormen Druck auf Moldau aus, so Douglas: „Moldau ist ein Agrarstaat, der unter anderem Äpfel, Weintrauben und Pflaumen anbaut und diese vor allem nach Russland exportiert.“ Doch immer dann, wenn Moldau sich in der Vergangenheit russischen Interessen querstellte, verhängte Putin unter einem Vorwand einen jähen Importstopp, so Douglas. 2014 zum Beispiel, als Moldau sein Assoziierungsabkommen mit der EU unterschrieb. Und zuletzt im Frühjahr 2022 wegen Moldaus Position im Ukraine-Krieg. „Das hat das Land sehr heftig getroffen“, so Douglas.
Russland oder EU? Moldau scheint tief gespalten zu sein
Dennoch treibt Putin mit dem Ukraine-Krieg den postsowjetischen Staat offenbar erst recht in die Arme des Westens. „Das Land ist weiterhin gespalten in diejenigen, die eine EU-Annäherung und diejenigen, die eine Russland-Nähe befürworte“, so Douglas. „Doch in letzter Zeit tendieren die Menschen in Umfragen schon eher eindeutig in Richtung in Europa.“
Dennoch: Immerhin 30 bis 40 Prozent der Moldauer seien nach wie vor nach Russland orientiert. „Das Bild, das die Moldauer vom Ukraine-Krieg haben, ist aber sehr viel realistischer als das der Russen“, so Douglas. Das kleine Land habe die Auswirkungen direkt gespürt: Raketen über Moldau, Stromausfälle, bedingt durch Beschuss in der Ukraine und eine halbe Million Ukrainer, die nach Moldau flohen und dort trotz der eigenen Armut mit viel Solidarität aufgenommen wurden.
Militärische Invasion über Transnistrien? „Kreml hat Plan wohl wieder verworfen“
Und dann ist da noch der international nicht anerkannte Staat im Staat: Die Region Transnistrien sagte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion von Moldau los und wird seitdem ausschließlich von Russland anerkannt und unterstützt. Dort sind seit nunmehr 30 Jahren russische Soldaten stationiert, deren Schlagkraft und Größe allerdings keine „reelle Gefahr darstellen“, erklärt Moldau-Expertin Douglas. „Es gab wohl mal tatsächlich Pläne im Kreml, von Transnistrien aus eine zweite Front aufzumachen, aber das hat man wohl wieder verworfen. Solange Russland mit seinen Soldaten in der Ukraine kämpft, wird es wohl keine neue Front in Transnistrien geben.” (smu)