Lukaschenko verheddert sich in Putins Chaos: Faschisten sind nun „liberal“ und „demokratisch“
Just an einer Gedenkstätte für ein Nazi-Massaker hat sich Belarus‘ Machthaber Lukaschenko in wirr anmutender Propaganda geübt - und der Opposition gedroht.
Chatyn/München - Kremlchef Wladimir Putin rechtfertigt seinen politischen Kurs gerne mit nach Gutdünken ausgewählten historischen Bezügen - auch im Ukraine-Krieg. Einer davon ist der in Russland unvergessene erfolgreiche Kampf der Sowjetunion gegen den blutigen Angriff der deutschen NS-Diktatur: Die ukrainische Regierung brandmarkt der Kreml gerne, unbelegt und beharrlich als Nazi-Regime. Hinzu kommt der rhetorische Kampf gegen einen angeblichen verdorbenen Westen.
Putins belarussischer Verbündeter Alexander Lukaschenko hat am Mittwoch (22. März) offenbar versucht, einen draufzusetzen: Er bemühte sich allem Anschein nach, beide Propagandastränge unmittelbar zu verknüpfen. Seine von der Staatsagentur Belta dokumentierte Rede an einem historisch bedeutsamen Ort ist allerdings geeignet, massives Stirnrunzeln zu erregen: Denn Lukaschenko zufolge pflegen die „Erben des Faschismus“ nun „liberale demokratische Werte“. Zugleich erkor der Diktator mitten im von Belarus unterstützten Ukraine-Krieg das Menschenleben zum „höchsten Wert“ seiner Regierung aus - ganz nach liberaler Fasson.
Lukaschenko wettert über „liberal-demokratische Faschisten“ - an Gedenkstätte für NS-Massaker
Schauplatz der mindestens aus westlicher Sicht wirr anmutenden Äußerungen war die Gedenkstätte am Ort des 1943 von SS-Leuten vernichteten Dorfes Chatyn. Das grausame Massaker an der Zivilbevölkerung jährt sich am Mittwoch zum 80. Mal. Das Gebiet des heutigen Belarus war massiv von Krieg und Greueltaten der Nationalsozialisten und ihrer Helfer betroffen. Ein Viertel der Bevölkerung bezahlte mit dem Leben.
Es gebe Erben und „ideologisch aufgeladene Nachfolger“ des Faschismus, warnte Lukaschenko laut Belta-Übersetzung. „Sie haben die ‚arischen Normen‘ von damals durch liberal-demokratische Werte von heute ersetzt“, erklärte der mit harter Hand gegen die Opposition vorgehende Machthaber.
An wen seine Vorwürfe adressiert sind, daran ließ Lukaschenko wenig Zweifel: „Farbrevolutionen, Unruhen, Stellvertreterkriege, Sanktionen, Erpressung“, nannte er als Beispiele - als „Farbrevolutionen“ werden die teils erfolgreichen Aufstände in Georgien, der Ukraine, im Libanon und Kirgisistan in den 00er-Jahren bezeichnet. In Belarus‘ Nachbarländern erhebe der Neonazismus sein Haupt, fügte Lukaschenko hinzu: „Wir sehen, wie bei den Nachkommen lettischer, ukrainischer, litauischer und polnischer Mörder und Täter, die unsere Kinder, Alte und Frauen ins Feuer geworfen haben, wieder die alten Instinkte erwachen.“
Unklar blieb in der Meldung der Staatsagentur, worauf er sich damit konkret beziehen wollte - möglicherweise auf geplante Vorkehrungen zum Schutz der „Suwalki-Lücke“ in Litauen und Polen zwischen Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad, oder auf Sanktionen des Westens im Ukraine-Krieg. Letztere fordert aber auch die belarussische Opposition in ihrem Kampf gegen Repressionen und Festnahmen.
„Faschismus“ und der Ukraine-Krieg: Propaganda-Schlagwort - mit sowjetischem Twist
Die Definition des Begriffes „Faschismus“ ist umstritten. Als „Wesensmerkmale“ nannte die Historikerin Sybille Steinbacher im Deutschlandfunk vor einiger Zeit aber unter anderem „Anti-Liberalismus“, „Anti-Individualismus“ oder auch „extremen Nationalismus“ - Punkte, die mit Lukaschenkos Vorwürfen eines liberal-demokratischen Faschismus nicht in Einklang zu bringen sind.
Ein Beitrag der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) könnte aber mögliche Hintergründe erhellen. „Die Kommunisten hatten ‚Faschismus‘ auch zu einem Kampfbegriff entwickelt, der sich gleichermaßen gegen die ihnen verhassten Rechtsextremisten und gegen die liberale Demokratie wendete“, heißt es dort in einem Text des Extremismusforschers Rudolf van Hüllen: „Damit konnten sie Fragen nach Demokratie und Menschenrechten, die eher eine Verwandtschaft zwischen Faschismus und Bolschewismus nahe legen, ausklammern.“ Auf sowjetische Historie bezog sich auch Lukaschenko.
Debattiert wurde zuletzt auch immer wieder die Zulässigkeit von Vergleichen zwischen Wladimir Putin und Adolf Hitler. Der Historiker Timothy Snyder erkannte in einem Spiegel-Interview jedenfalls Parallelen. Er nennt Russland einen „faschistischen Staat“ - und verweist etwa auf Putin als einen „Anführer über den Institutionen“, Missachtung internationalen Rechts und einen „Kult der Gewalt“.
Lukaschenko echot Putins Verschwörungstheorien und preist Wert des Menschenlebens
Auch an einem weiteren Punkt griff Lukaschenko auf Kreml-Thesen zurück: Er schien der Ukraine einen „Genozid“ vorzuwerfen. Russland hatte kurz vor seinem Einmarsch im Februar 2022 einen „Völkermord“ in der Ostukraine beklagt. „Für einen Völkermord im Donbass haben weder die OSZE noch die UN Hinweise“, konstatierte FR.de allerdings in einem Fakten-Check. Dass die Ukraine im Donbass einen Genozid im Wortsinne beging, scheine stark unwahrscheinlich - die Gebiete seien schließlich unter Kontrolle der prorussischen Separatisten.
„Im Jahr des Friedens und der Schöpfung sagen wir, Belarussen, laut und deutlich: Der Genozid hat keine Rechtfertigung. Es gibt nichts Wertvolleres als das Menschenleben“, erklärte Lukaschenko. Auch das ist allerdings nach traditioneller Lesart eher ein Standpunkt des von Lukaschenko gescholtenen Liberalismus. Der Angriffskrieg seines Verbündeten Putin kostet unterdessen tägliche mehrere Zivilisten das Leben - und sorgt für schwerste Verluste unter den Armeen Russlands und der Ukraine. Für die erstaunliche Rhetorik gibt es allerdings ein prominentes Vorbild: Putin selbst hatte im September „die Liebe zum Menschen“ als angeblich höchsten Wert Russlands ausgerufen.
Lukaschenko droht Opposition nach Gedenk-Rede: „Wir kennen sie namentlich“
Van Hüllen wies in seiner KAS-Analyse auf eine weitere Gefahr des sowjetisch geprägten „Faschismus“-Begriffes hin: Wer den Terminus „undifferenziert für alle rechtsgerichteten Diktaturen der Zwischenkriegszeit“ verwende, verharmlose die besondere rassistische Qualität des Nationalsozialismus, warnte er. Diese Mahnung dürfte auch mit Blick in die Gegenwart Bestand haben, ungeachtet des Wahrheitsgehalt der Vorwürfe - gerade am Ort eines NS-Massakers.
Lukaschenko schienen solche Sorgen aber nicht zu bekümmern. Er betrieb am Mittwoch auch Wahlkampf und drohte Dissidenten. „Wenn wir am Boden bleiben, wird alles gut gehen“, sagte er Journalisten mit Blick auf für 2024 geplante Wahlen. „Die geflohenen Bastarde, mehrere hundert der Aktivsten, werden ihren Sponsoren zeigen müssen, dass sie mehr können, als Telegram-Posts zu schreiben“, fügte er hinzu. Auch die Opposition sei den „Farbenrevolutionen“ zuzuordnen - „wir kennen sie namentlich“, drohte Lukaschenko. (fn)