Iran-Proteste: Parlament fordert Todesurteile – wie setzt es sich zusammen?
Ein Großteil des Parlaments im Iran will die Gewalt gegen Protestierende eskalieren. Wie setzt sich ein Parlament zusammen, das so etwas will?
Teheran – Geht es nach 227 der 290 Abgeordneten im Teheraner Parlament, gehören Todesstrafen gegen Demonstranten im Zuge der Iran-Proteste bald zur Tagesordnung. So viele Abgeordnete waren es, die in einer Parlamentssitzung vom 6. November 2022 gefordert hatten, die inhaftierten Demonstrierenden im Iran als „Feinde Gottes“ zu verurteilen. Das Strafmaß: in der Regel der Tod. Wie setzt sich das Parlament zusammen, das in seiner überwiegenden Mehrheit eine solche Forderung aufstellt – und wie entstehen die Gesetze?
Irans Parlament fordert Hinrichtungen: Wer macht die Gesetze und wer kann ins Parlament gewählt werden?
Auf eine Verurteilung als „Mohareb“ steht im Iran in der Regel die Todesstrafe. „Feinde Gottes“ sehen große Teile des iranischen Parlaments auch in Demonstranten: Die Abgeordneten drängen mehrheitlich auf schärfere Strafen, wenn auch bisher ohne ein Gesetz zu ändern. Kurzum: Irans Parlament fordert Hinrichtungen für Regimegegnerinnen und Regimegegner – denn nichts anderes ist die Konsequenz.
Doch wer sind die Mitglieder dieses Parlaments? Die Autorin, Journalistin und Politikwissenschaftlerin Düzen Tekkal erklärt die Konstellation gegenüber der Kreiszeitung wie folgt: „Das Islamische Parlament (Madschles Schora Eslami) ist für die Gesetzgebung zuständig und wird alle vier Jahre unmittelbar vom Volk gewählt. Wählbar sind allerdings nur Kandidaten, die der sogenannte Wächterrat aufgestellt hat.“ Dieser setzt sich aus Ultrakonservativen zusammen, Widerhall findet das auch in der Auswahl der Zulassungen.

Tekkal, die unter anderem für den Hilfsverein HÁWAR.help tätig ist, dazu: „Die Gesetzesvorschläge werden von den Ministern oder den Abgeordneten selbst eingebracht. Sie müssen immer den Vorgaben des islamischen Rechts entsprechen. In der Theokratie des Iran hat allerdings der oberste Religionsführer Ayatollah Khamenei das letzte Wort: Er kann ein verabschiedetes Gesetz zurückweisen und eine neue Ausarbeitung verlangen.“ Zwar wird im Iran ein Parlament sowie ein Präsident gewählt, die reale Macht konzentriert sich indes weiter beim obersten Religionsführer: Er kontrolliert Streitkräfte, Justiz und Revolutionsgarden. Zudem steht er dem Nationalen Sicherheitsrat vor und kann den Präsidenten absetzen – auch seine Macht über den Wächterrat ist groß.
Parlament im Iran: Nachrichten geprägt von Hardlinern, Ultrakonservativen und erzkonservativem Wächterrat
Das Parlament im Iran: Nachrichten über Forderungen nach Todesstrafen gegen Demonstrierende schockieren dieser Tage die Weltöffentlichkeit. Doch wer sind diese Männer? Wie Iran International berichtet, setzt sich das Parlament seit der Wahl Anfang 2020 vor allem aus Offizieren der Revolutionsgarden und anderen Hardlinern zusammen – so lässt sich auch das aktuelle Geschehen kontextualisieren. Die Einberufung des Präsidenten hängt ebenfalls vom Wächterrat ab: Wählbar sind nur Mitglieder, die das erzkonservative Gremium zulässt. Dieses prüft alle Bewerber, die bei Wahlen antreten wollen – und kann sie davon abhalten. Auch Parlamentsbeschlüsse prüft der Ausschuss.
Der Wächterrat soll laut Verfassung auch die Präsidentschaftskandidaten auf ihre „ideologische Qualifikation“ und „Loyalität“ hin untersuchen. Konkret bedeutet das zuvorderst mit: Die „religiöse Eignung“, aus Sicht der Erzkonservativen. Das Resultat: Gemäßigten Kandidaten wurde in der Vergangenheit wiederholt die Bewerbung verwehrt. Frühere Präsidentschaftswahlen machten bisweilen Hardliner und Ultrakonservative unter sich aus. Auch bei der letzten Präsidentschaftswahl waren moderate beziehungsweise reformorientierte Kandidaten abgelehnt worden.
Proteste im Iran: Todesstrafen als Mittel, um die anhaltenden Demonstrationen zu brechen
Das Kalkül hinter der geforderten Ausweitung von Verurteilungen als „Feinde Gottes“ ist durchschaubar. Eines wird – mit Blick auf die Proteste im Iran – klar: Todesstrafen sollen die seit dem Tod von Mahsa (Zhina) Amini anhaltenden Demonstrationen und andere Formen des Widerstandes brechen. Das Regime setzt auf Gewalt, Angst und weitere Drohungen. Düzen Tekkal beschreibt die Situation gegenüber der Kreiszeitung wie folgt: „Gegen alle, die von den Gerichten mit ‚Krieg gegen Gott‘ angeklagt wurden („Moharebeh“) soll schnell die Todesstrafe verhängt werden – die sogenannten „Qisas“. Es geht um Todesurteile im Schnellverfahren. Das soll bei den Protestierenden maximale Angst erzeugen.“
Es geht um Todesurteile im Schnellverfahren. Das soll bei den Protestierenden maximale Angst erzeugen
Unüblich sind Todesurteile im Iran auch bisher keineswegs, doch mit der breiten Einstufung von Demonstranten als „Feinden Gottes“ könnte die Zahl sprunghaft steigen. Human Rights Watch beobachtete indes bereits zuvor eine Zunahme vollstreckter Todesstrafen: Seit der Amtsübernahme Ebrahim Raisis sei die Zahl der staatlichen Tötungen deutlich gestiegen, so die Menschenrechtler. Sie zählten bereits für das erste Halbjahr 2022 mindestens 250 Hinrichtungen, überwiegend im Zusammenhang mit Drogen. Geht es nach dem Parlament, sollen nun tausende Demonstranten zu „Feinden Gottes“ erklärt und damit möglicherweise hingerichtet werden.