Das sind Putins wahre Motive im Ukraine-Krieg

Ein französisches Magazin will die wahren Hintergründe kennen, warum Russlands Präsident Wladimir Putin den Ukraine-Krieg führt. Was also steckt dahinter?
Moskau – Spannungen zwischen Russland und der Ukraine gibt es bereits seit 2014. Damals wurde die ukrainische Halbinsel Krim von Russland annektiert. Dass Präsident Wladimir Putin acht Jahre später aber den Befehl geben sollte, das osteuropäische Land mit Militärgewalt zu überfallen, das dürften damals wohl nur die wenigsten Politik-Beobachter für möglich gehalten haben
Doch seit Ende Februar 2022 tobt der Ukraine-Krieg. Ein Ende der militärischen Auseinandersetzung ist nicht in Sicht. Und all das nur, weil Putin im Denken des Kalten Krieges verhaftet ist und seinen größenwahnsinnigen Neoimperialismus zur Schau stellen will. Oder steckt noch mehr hinter dem Überfall auf die Ukraine? Ein Magazin aus Frankreich will die wahren Hintergründe kennen.
Wladimir Putins wahre Motive im Ukraine-Krieg: Treibt den Kreml-Herrscher doch kein Neoimperalismus an?
Revue du Crieur heißt das Printmagazin der französischen Internetzeitung Mediapart. In diesem plädiert der langjährige Chefredakteur François Bonnet für eine Blickkorrektur und meint damit die Beweggründe Wladimir Putins, den von Reparationsforderungen begleiteten Ukraine-Krieg zu führen. Auch hier wird darauf verwiesen, dass der Ukraine-Krieg im Grunde schon 2014 mit der Annexion der Krim und der Ausweitung des Konflikts auf die „separatistischen“ Gebiete im Osten der Ukraine begonnen hätte.
Damals hätte noch niemand von „Neoimperalismus“ gesprochen. An einen Versuch Putins einer grundlegenden geopolitischen Neuordnung sei nicht gedacht worden. Vielmehr wäre es um einen alten Lokalkonflikt im Steinkohle- und Industriegebiet Donbass beiderseits der russisch-ukrainischen Grenze gegangen. Ob die politische und gesellschaftliche Elite Russlands vollends hinter dem Ukraine-Krieg steht, gibt Bonner klar zu bedenken. Schließlich sei die Lancierung des „totalen“ Krieges eine Entscheidung Putins und einer Handvoll Vertrauter gewesen. Öffentliche Proteste und eine kippende Stimmung in Russland gegen Putin sprächen hierfür.
Putin als Chef einer kriminellen „Familie“: Ukraine-Krieg soll nur das eigene System absichern
Bonnet wirft die Frage auf, ob Putin nicht fadenscheinige Gründe für seine „Spezialoperation“ aufführt, um das wahre Motiv hinter dem sich zur Kälteschlacht entwickelnden Ukraine-Krieg zu verbergen. Für den Franzosen steht fest: Putin sei der Chef einer kriminellen „Familie“, für die Krieg letztendlich ein Instrument darstelle, um das eigene Dasein und den Fortbestand des durch sie geschaffenen und gelenkten System zu sichern. Putin sei lediglich ein Krimineller im Politiker-Kostüm und eben kein Präsident mit Verbindungen zur Welt des Verbrechens. Doch würden Verantwortliche der westlichen Welt dies nicht anerkennen.
„Korruption, Morde, Einkerkerungen, phänomenale Bereicherungen, die ökonomische Ausbeutung des Landes werden seit je als Kollateralschäden, als bloße Nebenwirkungen angesehen, die ein von der Rohstoff-Rente lebendes autoritäres Regime hervorbringt“, heißt es von Bonnet. Dabei hätten längst unzählige Bücher, investigative Beiträge und Berichte ausländischer Nachrichtendienste kriminelle Details über Putin und seine „Familie“ publik gemacht. Das von Putin in den 90er-Jahren errichtete System von Bestechungen, Schutzgelderpressungen und betrügerischen Verkäufen von Exportlizenzen sei bestens dokumentiert.
Morde, Korruption, Selbstbereicherung: Putins Schatten-Schaffen sichert seine Macht als Kreml-Herrscher
Im Folgenden spricht Bonnet über die skrupellosen Methoden Putins, um politische Gegner auszuschalten und die eigene Macht zu stärken. Mal ist die Rede von einem gefälschten Sexvideo, oft von politisch motivierten Mordanschlägen. Alles für die kriminelle „Familie“, die aus etwa dreißig Mitgliedern bestehen würde. Darunter Nikolai Patruschew und Dmitri Medwedew, Leiter und stellvertretender Leiter des Sicherheitsrats oder Alexej Miller und Igor Setschin, Leiter der Gas- und/oder Ölkonzerne Gazprom beziehungsweise Rosneft. Quasi die Elite in Russland.
Krieg, wie er in der Ukraine stattfindet, sei für Putin und seine „Familie“ von Anfang an ein Mittel gewesen, um ihre Macht abzusichern. Als Beispiel wird hier der Zweite Tschetschenien-Krieg genannt, der von August 1999 bis April 2009 andauerte. Im August 1999 wurde Putin übrigens auch zum ersten Mal Ministerpräsident Russlands. Etwas weiter geblickt, am Ende seines zweiten Vierjahresmandats 2008, sei Putin langsam die Basis weggebrochen. Seine politischen Morde, die mangelnde Rechtsstaatlichkeit, dazu die alles durchdringende Korruption und die schamlose Bereicherung des Kreml-Herrschers – das wäre alles nicht mehr zu kaschieren gewesen.
„Wir“ gegen „Sie“: Wie Putin Russland mit dem Ukraine-Krieg gegen den Westen aufbringen will
Die Lösung Putins: Der heute 70-Jährige machte mit einem Gesellschaftsprojekt mobil, das ein starkes, moralisches „Wir“ gegen ein verweichlichtes, selbstverliebtes „Sie“ ausgespielt hätte: den Westen. Zudem wurde ein Blitzkrieg in Georgien geführt, die Umfragewerte Putins stiegen zeitweilig. So auch 2014, als die Annexion der Krim erfolgte. Somit würde sich der Ukraine-Krieg letztlich nur in eine Reihe von Militäraktionen einreihen, die Putin vor allem aus innenpolitischen Gründen geführt hat beziehungsweise noch immer führt.
Doch werden Putin, über dessen Gesundheitszustand immer wieder spekuliert wird, und seine „Familie“ nicht jünger. Die Mitglieder sind zwischen 62 und 75 Jahre alt, Putin selbst weist 70 Lenze auf. Laut Bonnet sehe sich der Kreml mit der Aufgabe konfrontiert, die Geschäftsübernahme durch die „Generation 2“ in die Wege zu leiten, die jener der Väter Straffreiheit garantieren soll. Der kriminelle Habitus würde somit in der „Familie“ bleiben.