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ALG-II: Forscher fordert Hartz-IV-Zuschlag – Bürgergeld „semantische Kosmetik“

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Von: Alexander Eser-Ruperti

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Ist das Bürgergeld der große Wurf, den Hubertus Heil sieht? Der Armutsforscher Christoph Butterwegge geht mit der Sozialpolitik in der Pandemie hart ins Gericht.

Köln – Gleichheit vor dem Virus! Dieser Ausspruch ist in Zeiten der Corona-Pandemie ein immer wieder herangezogenes Narrativ, das mit Blick auf die sozialen Folgen der Pandemie kaum haltbar ist. Das sieht auch der Armutsforscher Christoph Butterwegge im Gespräch mit der kreiszeitung.de so. Der Armutsforscher erklärt, dass die sozialen Folgen der Krise ohnehin vorhandene Gegensätze verschärft und formuliert konkrete Forderungen, dabei geht es auch um einen Corona-Bonus und das ALG-II. Auch zum Bürgergeld, das Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) weiter als großen Wurf in der Sozialpolitik betrachtet, hat der Hartz-IV-Gegner eine klare Meinung.

Armutsforscher Dr. Christoph Butterwegge sieht Krisenlast der Corona-Pandemie ungleich verteilt

Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist ein bekanntes Gesicht auf seinem Gebiet, er gehört zu den renommiertesten Armutsforschern des Landes. Zwischen 1998 und 2016 war Butterwegge Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität Köln.

Demonstration vor Treffen von Spahn mit Hartz IV-Kritikerin
ALG-II: Forscher fordert Hart-IV-Zuschlag – Bürgergeld „semantische Kosmetik“ © Sina Schuldt | dpa

Butterwegge gehörte dem wissenschaftlichen Gutachtergremium der Bundesregierung für den Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht an. Im Gespräch mit kreiszeitung.de schildert er die Krisenlast der Corona-Pandemie als ungleich verteilt und äußert sich zu Hartz-IV und den Ampel-Plänen für das Bürgergeld.

Armutsforscher Butterwege: „Mit 150 Euro als Einmalzahlung kamen Hartz-IV-Bezieher und Kleinstrentnerinnen nicht weit“

Für Butterwegge hat die Pandemie soziale Verwerfungen nicht nur deutlich gemacht, sondern auch befördert. Den allen Grundsicherungsempfängern erst im Mai 2021 gezahlten Corona-Bonus hält er für deutlich zu gering, gerade in Anbetracht der pandemischen Umstände. „Mit 150 Euro als Einmalzahlung kamen Hartz-IV-Bezieher und Kleinstrentnerinnen nicht weit, denn Lebensmitteltafeln waren geschlossen, Nahrungsmittel, Masken und Desinfektionsmittel sehr teuer“, so Butterwegge. Dagegen seien die Rettungspakete für die Wirtschaft sehr großzügig ausgefallen: „Während man große Konzerne mit Kurzarbeitergeld, Krediten und Bürgschaften bedachte, haben sie ihren Aktionären teilweise Milliardensummen an Dividende gezahlt.“

Butterwegge wird deutlich: „Der Staat hat, statt für sozialen Ausgleich zu sorgen, den Polarisierungseffekt der Pandemie durch seine Finanzhilfen noch verstärkt.“ Sein Urteil fällt klar aus – die Pandemie hat die Spaltung der Gesellschaft weiter befördert. Auch in Niedersachsen sieht sich die Politik mit wachsender Armut konfrontiert. Dort gilt trotz Vollzeitjob mittlerweile jeder beziehungsweise jede fünfte als Geringverdiener.

Hartz-IV: Der Armutsforscher fordert Corona-Bonus für Empfänger von ALG-II – Zuschlag von 100 Euro monatlich gefordert

Noch kürzlich war die Linke mit ihrer Forderung nach einer Erhöhung des Hartz-IV-Satzes zum Inflationsausgleich am Bundestag gescheitert. Die ALG-II-Regelsätze für das Jahr 2022 waren mit drei Euro in kaum nennenswertem Maße gestiegen. Gerade in Anbetracht explodierender Strom- und Gaspreise ist das für viele deutsche Haushalte verheerend. Auch der DGB fordert noch immer einen höheren Satz beim Arbeitslosengeld.

Die Pandemie trifft ökonomisch vor allem die Ärmsten, beispielsweise Empfänger von Sozialleistungen oder Obdachlose. Mit Blick auf die Minimalerhöhung der Hartz-IV-Sätze zu Jahresbeginn sagt Armutsforscher Butterwegge gegenüber kreiszeitung.de: „Eine Anhebung von 0,67 Prozent konnte den inflationären Preisauftrieb nicht kompensieren, also müsste man mit einem Zuschlag von hundert Euro monatlich dafür sorgen, dass die Menschen, die schon vor der Pandemie arm waren, mit deren Auswirkungen besser fertig werden.“ Ein Corona-Bonus dieser Art löst zwar keine strukturellen Probleme, könnte jedoch die finanzielle Mehrbelastung durch aktuelle Preisentwicklungen ein Stück weit abfedern.

ALG-II: Für Butterwegge sieht im Bürgergeld keine substanziellen Verbesserungen gegenüber Hartz-IV

Im Bürgergeld sieht der Armutsforscher derweil keinerlei substanzielle Verbesserung gegenüber Hartz-IV. Mit Blick auf den Koalitionsvertrag betont er, dass keine Steigerung der Regelbedarfe angekündigt wurde: „Wenn das bisherige ALG-II nur mit dem Wohlfühlbegriff Bürgergeld versehen wird, sich an ihm aber sonst nichts ändert, ist das semantische Kosmetik, aber keine substanzielle Verbesserung“. Auch ist Butterwegge der Ansicht, dass Hartz-IV nicht für ein menschenwürdiges Leben ausreicht.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht im Bürgergeld den großen Wurf, dem widerspricht Butterwegge entschieden. Nichtsdestotrotz erkennt auch der Armutsforscher geringfügige Verbesserungen durch das neue Programm an. Besonders in der Aufhebung des Vermittlungsvorrangs sieht er einen Fortschritt. Dieser bedeutet, dass eine Weiterbildung immer der Annahme eines neuen Jobs untergeordnet wird. Für ein positives Urteil Butterwegges zum Bürgergeld reicht das dennoch keineswegs.

Armutsforscher Butterwegge zur Ampelkoalition und dem Bürgergeld: Hartz-IV landet nicht „auf dem Müllhaufen der Geschichte“

Der Kreiszeitung sagt Armutsforscher Butterwegge: „Was mich empört, ist die Tatsache, dass sowohl die Grünen als auch die SPD so tun, als lande Hartz-IV mit dem Bürgergeld der Ampelkoalition auf dem Müllhaufen der Geschichte. Das ist nämlich überhaupt nicht der Fall.“ Für den Kern von Hartz-IV hält Butterwegge, dass die Arbeitslosenhilfe im Januar 2005 abgeschafft und nicht mit der Sozialhilfe zusammengelegt worden sei, wie Gerhard Schröder immer wieder erklärt hat.

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Aus einer Lohnersatzleistung, die 53 bis 57 Prozent des letzten Nettolohns der Betroffenen ausmachte, wurde die Fürsorgeleistung Hartz IV. Das kritisiert Butterwegge als historischen Bruch mit der bisherigen Sozialpolitik, der auch durch das Bürgergeld nicht rückgängig gemacht werde. Tatsächlich bleibt das ALG-II auch unter der Ampel-Koalition weitestgehend bestehen. Butterwegge hält deren Pläne deshalb für Schönfärberei und befindet, dass „SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Umetikettierung zum Bürgergeld den Eindruck zu erwecken suchen, als wäre die von ihnen geschaffene und als Hartz IV bezeichnete Arbeitsmarktreform jetzt passé.“ Folgt man Butterwegges Argumentation, kann damit kaum vom großen Wurf, den Hubertus Heil ins Auge gefasst hat, gesprochen werden.* kreiszeitung.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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