Das komplexe Erbe von Ricarda Lang und Omid Nouripour

Mit Ricarda Lang und Omid Nouripour übernehmen zwei neue Gesichter die Parteiführung der Grünen. Ihr Vorgänger überlassen ihnen eine starke Partei mit Baustellen.
Berlin – Klimaaktivisten blockieren Autobahnen in Berlin, die neue Grünen-Chefin Ricarda Lang stellt sich – im übertragenden Sinne – schützend vor sie. „Ich halte zivilen Ungehorsam für ein legitimes Mittel des politischen Protests, wenn er eben friedlich vonstattengeht“, sagt Lang im „Tagesspiegel“. Bereits in Ihren ersten Tagen an der Spitze der Grünen zeigt Ricarda Lang eine klare Haltung. Gemeinsam mit ihrem Co-Parteichef Omid Nouripour will sie das verschwommene Profil ihrer Partei wieder schärfen. Aber wird sich unter der neuen Parteiführung wirklich etwas verändern? Annalena Baerbock und Robert Habeck haben ihnen ein schweres Erbe hinterlassen.
Partei: | Bündnis90/ Die Grünen |
Parteiführung: | Ricarda Lang und Omid Nouripour |
Mitglieder: | Rund 125.000 |
Professor Dr. Thomas König von der Universität Mannheim erwartet von Lang und Nouripour erstmal ein gepflegtes „Weiter so“. „Die neue Führung knüpft nahtlos an den nach vorne gerichteten Kurs der bisherigen Führung an, der einerseits der Partei Wachstum und Regierungsbeteiligung brachte, andererseits Kritik an Personen und am Programm sowie die Aufarbeitung von Fehlern meidet“, erklärt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit kreiszeitung.de.
Ricarda Land und Omid Nouripour übernehmen Grünen-Spitze: Rekordzuwachs mit Spitzenduo Baerbock und Habeck
Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck hatten die Grünen in den vergangenen vier Jahren das erste Mal zwei Realo-Vertreter an der Parteispitze. Und das mit Erfolg, nicht nur beim lang ersehnten Ziel der Regierungsbeteiligung. Auch die Mitgliederzahlen der Grünen sind in den vergangenen Jahren in die Höhe geschossen. Mittlerweile verzeichnet die Partei rund 125.000 Mitglieder, Tendenz steigend. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 hatten bundesweit knapp 65.000 Menschen ein Grünen-Parteibuch.
Aber Ricarda Lang und Omid Nouripour übernehmen nicht nur die Grünen-Spitze, sondern auch Baustellen von ihren Vorgängern. So steht die inhaltliche Aufarbeitung des holprigen Bundestagswahlkampfes in 2021 noch aus, bei dem die Partei von prognostizierten knapp 25 Prozent auf 14,8 Prozent zurückgefallen war. Auch der Skandal rund um einen Corona-Bonus aus 2020, den sich die Parteiführung selbst ausgezahlt hatte, steht auf der Agenda. Und dann wären da noch die teilweise widersprüchlichen Ansichten der Parteilinken und der Realos, die irgendwie vereint werden müssen.
Grünen-Spitzenduo Ricarda Lang und Omid Nouripour will sozialpolitische Glaubwürdigkeit stärken
„Annalena Baerbock und Robert Habeck haben uns auf den Berg gebracht, und jetzt müssen Ricarda Lang und Omid Nouripour uns über die Höhenwanderung leiten“, sagt Grünen-Politiker Jürgen Trittin im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Und ja, das Grünen-Spitzenduo Lang und Nouripour übernimmt eine im Großen und Ganzen starke Partei mit Regierungsverantwortung. Beide Politiker haben große Pläne. „Wir müssen den falschen Widerspruch zwischen Klimaschutz und Sozialem auflösen“, sagte Lang bereits in ihrer Bewerbungsrede. Auch der erfahrene Außenpolitiker Nouripour will sich für mehr sozialpolitische Glaubwürdigkeit einsetzen.
Nouripour will außerdem neue Strukturen innerhalb der Parteizentrale schaffen, um die Kommunikation zwischen Regierung, Partei und den Wählern zu verbessern. Das Ziel formuliert er schon in seinem Bewerbungsappell klar: „Wir wollen in 2025 wieder in der K-Frage mitspielen.“ Bis dahin ist allerdings noch einiges zu tun. Eine Herausforderung könnte vor allem die Balance zwischen den parteiinternen Interessen und den Erwartungen von Klimaaktivisten und Koalitionspartnern sein.
Ricarda Land: Grünen-Politikerin will Sozialprofil der Grünen stärken
Aus Sicht von Politikwissenschaftler Thomas König könnte dabei vor allem die Beziehung zu Koalitionspartner interessant werden: „Ricarda Lang möchte das Sozialprofil der Grünen stärken, was bei der Bundestagswahl dazu geführt hat, dass die SPD Boden gutmachen konnte. Omid Nouripour setzt dagegen auf die außenpolitische Profilierung der Partei, was im Fall von Russland und China Gegensätze zur SPD offenbaren kann.“ Allerdings hätten beide bis zur nächsten Bundestagswahl Zeit, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.
Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer fordert mehr Druck der Grünen auf die Bundesregierung
Mehr Druck kommt da schon von einer anderen Seite. Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer findet im Gespräch mit tagesschau.de klare Worte: „Wir haben keine Zeit für Ökoparteien, die sich bei erstbester Regierungsbeteiligung in Scheinkompromissen gegen unsere Lebensgrundlagen verlieren.“ Es sei Aufgabe der Grünen, in Sachen Klimaschutz Druck auf die Regierung auszuüben. „In unseren Augen kann die Arbeit der neuen grünen Spitze nicht sein, sich auf eine Art ökotherapeutische Vermittlungsarbeit zurückzuziehen“, so Neubauer weiter.
„Im Vergleich zu ihrer Rolle in der Opposition muss die Partei vor allem Kompromisse als Regierungspartei hinnehmen“, sagt Politikwissenschaftler König zu kreiszeitung.de. Es sei gut möglich, dass das auf Dauer den Enthusiasmus der Grünen-Mitglieder bremsen und zu Spannungen mit Klimabewegungen wie beispielsweise Fridays for Future führen könne.
Spitzenduo Lang und Nouripour: Nur die Hälfte der Grünen-Wähler befürwortet die neue Grünen-Spitze
Und obwohl vor allem die 28-jährige Lang sich lautstark für die Belange der jungen Grünen-Wähler einsetzt – etwa indem sie sich für zivilen Ungehorsam ausspricht oder mit offener Kritik an der EU-Taxonomie für Atomkraft und Gas für Aussehen sorgt– bekommt das neue Spitzenduo der Grünen nicht nur Beifall. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des „Spiegel“ zeigt, dass nur etwa die Hälfte der Grünen-Wähler die neue Besetzung der Parteispitze befürworten. Parteiübergreifend gaben nur 20 Prozent einen „Daumen hoch“ für Lang und Nouripour.
Ein bisschen Überzeugungsarbeit müssen die beiden neuen Grünen-Chefs also noch leisten. Eine Aufgabe, für die beide bereit sind. Grünen-Politikerin Nyke Slawik sagte dazu im Interview mit kreiszeitung.de: „Die jungen Menschen setzen auf die Grünen als Vertreter ihrer Interessen, wenn es um Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit geht – und das werden wir mit unseren neuen Parteichefs definitiv weiter sein.“ Und dafür gibt es nur einen Weg, wie Nouripour im Gespräch mit der „FAZ“ sagt: „Wir werden nur zusammen erfolgreich sein.“ *kreiszeitung.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.