„Das wird nicht passieren“: Habeck stemmt sich gegen Gasnotstand in Deutschland

Unter Umständen dreht Russland den Deutschen bald den Gashahn zu. In dem Zuge müssten Maßnahmen getroffen werden, die auch Verbraucher hart treffen würden.
Berlin – Wie sicher ist die Gasversorgung in Deutschland? Und steht der Bundesrepublik etwa ein Gasnotstand bevor? Diese Fragen beschäftigen momentan nicht nur Politik und Industrie – auch die Bürger sind von der anstehenden Energiekrise betroffen. Denn mit den gedrosselten Gaslieferungen aus Russland durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 müssen sich Verbraucher in Deutschland auf Energiespar-Maßnahmen und noch deutlich höhere Energiepreise einstellen. Wirtschaftsminister Robert Habeck zufolge wird die Bundesregierung die Gasversorgung in Deutschland mit allen Mitteln sicherstellen – aber zu welchem Preis?
Gasnotstand in Deutschland: Dreht Russland den Deutschen bald den Gashahn zu?
Vor wenigen Wochen wurden die Gaslieferungen über die Nord Stream 1 vom russischen Gazprom-Konzern um rund 60 Prozent reduziert. Aus dem Grund musste Habeck bereits die Alarmstufe vom Notfallplan Gas ausrufen. Am 11. Juli 2022 soll die Pipeline planmäßig für zehn Tage ganz abgeschaltet werden – die offizielle Begründung dafür lautet: um sie zu warten. Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, befürchtet jedoch, Russland könne die Nord Stream 1 anschließend gar nicht mehr in Betrieb nehmen.
Sollte Russland den Gashahn tatsächlich komplett zudrehen, dürfte das erhebliche Auswirkungen auf die Energiesicherheit in Deutschland haben. Der größte Gasspeicher in Deutschland, der Speicher in Rehden, ist derzeit beispielsweise nur zu 24 Prozent gefüllt – und stellt damit das größte Sorgenkind für den Chef der Bundesnetzagentur dar.
Für den Fall eines Gaslieferstopps aus Russland werden von der Bundesregierung derzeit einige Gesetze besprochen, die eine Gasversorgung in Deutschland sicherstellen sollen. Dazu gehört auch das Energiesicherungsgesetz: Um die Pleite von Energiekonzernen zu verhindern, soll Energieversorgern ermöglicht werden, die gestiegenen Gaspreise gleichmäßiger auf die Verbraucher zu verteilen – mit drastischen Folgen für die Rechnungen der Bürger.
Energiesicherungsgesetz könnte für explodierende Gaspreise in Deutschland sorgen
„Die Möglichkeit von Energie- und Versorgungsunternehmen, die Preise außerhalb der Verträge direkt an die Kunden weiterzugeben, verhindert, dass die Unternehmen umkippen und wir einen zerstörten Energieversorgungsmarkt [...] in Europa haben“, erklärte Robert Habeck in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“. Das seien extrem scharfe Schwerter, außerdem wäre dieses Instrument „eine krasse Belastung für die Menschen, die es dann tragen müssen“, so Habeck.
Doch stünden die Unternehmen aktuell aufgrund der hohen Gaspreise extrem unter Druck, da sie Gas teuer nachkaufen müssten, das derzeit nicht aus Russland kommt. Bestehende Verträge mit Stadtwerken oder Industrieabnehmern könnten diese Kosten wegen fixer Preise bei weitem nicht mehr decken. „Das heißt, mit jedem Geschäft, das sie tätigen, gewinnen sie nicht, sondern machen jeden Tag Minus“, sagte Habeck in der ZDF-Show und fuhrt fort: „Und da reden wir nicht über Peanuts, sondern über richtig viel Geld.“
Wie sicher ist die Gasversorgung in Deutschland? Habeck schließt Zusammenbruch des Marktes aus
Der Energiekonzern „Uniper“ befindet sich aufgrund der Lieferengpässe und der deutlich gestiegenen Gaspreise auf dem Weltmarkt derzeit beispielsweise in Schwierigkeiten. Erst kürzlich hat das Unternehmen die Bundesregierung deswegen um Hilfe gebeten. Habeck versicherte daraufhin bei Markus Lanz, Konzerne wie diesen finanziell zu unterstützen, um den Zusammenbruch des Marktes zu verhindern.
„Das wird nicht passieren. Das ist jetzt dieser Moment von ‚Whatever it takes‘, es wird nicht passieren“, versprach der Grünen-Politiker und spielte damit auf die Äußerungen des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, an. Dieser hatte mit dem Ausspruch einst die Rettung des Euro versprochen.
Robert Habeck äußert sich zu etwaigem Gasnotstand in Deutschland: „Wir sind nicht nur passiv“
Mit Blick auf den etwaigen Totalausfall der Ostseepipeline Nord Stream 1 und den Maßnahmen des Bundestags stellte Habeck sicher: „Wir sind nicht nur passiv. Wir müssen nicht staunend daneben stehen, was da passiert.“ Schließlich sie es auch gelungen, trotz der um 60 Prozent abgesenkten Gaslieferungen die Versorgungssicherheit in Deutschland aufrechtzuerhalten. Doch haben die Maßnahmen, insbesondere das Energiesicherungsgesetz, einen Preis: Die Bürger Deutschlands müssten sich auf einen teuren Winter einstellen.
Die Preiserhöhungen im Herbst und Winter 2022/23 würden laut Habeck pro Haushalt „im vierstelligen Bereich liegen. Und das kann dann eben auch mal ein Monatseinkommen für eine Familie sein.“ Deswegen appellierte der Bundeswirtschaftsminister wieder an Deutschland, Energie zu sparen – in fast allen Lebensbereichen.
Macht Habeck bald die Schwimmbäder kalt? „Wenn uns kalt ist, dann schwimmen wir halt“
Denn in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ kritisierte der Politiker unter anderem die interne Vorgabe von Discount-Bäckereien, abends noch das gleiche Angebot zu haben wie morgens, mit den Worten: „Das heißt, viel Gas, viel Energie wird aufgewandt, um ein Angebot zu schaffen, von dem wir wissen, dass wir es am Ende wegwerfen in großen Teilen.“ „Wenn Deutschland das Problem hat, dass es am Abend ein Roggenbrötchen kaufen muss, weil es nur ein Haferbrötchen gibt oder was auch immer, das sind einfach Luxusprobleme, die wir über Bord werfen können“, fuhr Habeck fort.
Zudem sprach sich der Grünen-Politiker dafür aus, Freibäder im Hochsommer nicht mehr zu beheizen: „Wir können gut darauf verzichten, Freibäder auf 28 Grad zu heizen“, erklärte er und begründete den Appell mit den Worten: „Es ist ja brütend heiß draußen. [...] Und wenn uns kalt ist, dann schwimmen wir halt.“ „Wenn Deutschland nicht erträgt, dass Freibäder nicht geheizt sind, haben wir in Wahrheit kein Problem“, so der Wirtschaftsminister.
Was passiert bei einer Rationierung von Gas? Freizeitangebote sollen zuerst abgeschaltet werden
Dem Tenor stimmt auch Holger Schwannecke, Generalsekretär des Handwerkerverbandes ZDH, zu. Er hält bei einer Gasnotlage das Abschalten von Freizeitangeboten für angemessen. Demzufolge müssten sich alle fragen, auf was sie zu verzichten bereit wären, damit „andere, wichtige Elemente in den Wertschöpfungsketten weiter mit Gas versorgt werden können“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
„Dass hier möglicherweise zunächst Produkte und Angebote von Freizeitaktivitäten als erstes ‚vom Netz‘ genommen werden sollen, halte ich für angemessen in einer solchen Ausnahmelage und angesichts des Ziels, sicherzustellen, dass die Produktion und die Dienstleistungen für die Daseinsvorsorge aufrechterhalten werden können“, stellte Schwannecke fest.
Gasnotstand in Deutschland? Politik sucht nach Alternativen für Erdgas: Kohlekraftwerke
Neben Maßnahmen zum Energiesparen werden zunehmend aber auch Alternativen zum Erdgas gesucht. Um weniger Gas für die Stromproduktion zu verbrauchen, sollen stattdessen auch wieder mehr Kohlekraftwerke zum Einsatz kommen. Das Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken, über das an diesem Donnerstag, 7. Juli 2022, im Bundestag abgestimmt wird, soll ermöglichen, dass Kohlekraftwerke zumindest zeitweise wieder stärker genutzt werden können.
Kohlemeiler, die eigentlich schon in der Reserve sind, sollen demnach wieder regulär ans Netz gehen können – um Erdgas hauptäschlich für Wärmeerzeugung oder den Einsatz in der Industrie nutzen zu können. Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Olaf Lies äußerte sich dazu folgendermaßen: „Wir müssen das Gas aus der Verstromung bringen, das kann bis zu 15 Prozent des Gasverbrauchs senken und wir müssen dafür Alternativen haben.“ In dem Gespräch mit NDR Info fuhr Lies fort: „Jetzt geht es um die Versorgungssicherheit.“
Werden Atomkraftwerke verlängert? Habeck sagt: nein – und stößt auf Gegenwind
Eine Laufzeitverlängerung der drei letzten deutschen Atomkraftwerke lehnte Wirtschaftsminister Habeck jedoch konsequent ab – obwohl das EU-Parlament jetzt das grüne Label für Gaskraft und Atomkraft billigte. Investitionen in bestimmte Gaskraftwerke und Atomkraftwerke werden demnach in der EU künftig aller Voraussicht nach als klimafreundlich eingestuft. Habeck argumentierte jedoch, dass der hauptsächliche Mangel nicht beim Strom drohe, sondern in erster Linie bei Gas und Wärme für die Industrie.
Laut dem stellvertretenden Vorsitzenden der Unions-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, könne sich Deutschland einen Winter ohne Atomstrom und russisches Gas aber nicht leisten. Dem ntv erklärte er: „Herr Habeck sagt, wir sollen kürzer duschen, weil jede Kilowattstunde zählt. Aber wenn jede Kilowattstunde zählt, dann kann man nicht mitten im Winter drei sicher laufende Kernkraftwerke, die sechs bis sieben Prozent des deutschen Stroms produzieren, abschalten.“ Spahn zufolge werde die zweite Jahreshälfte 2022 „für Deutschland, für die Bürger, für die Wirtschaft und auch für Europa deutlich härter“.
Ob Robert Habeck selbst tatsächlich seine Duschgewohnheiten zugunsten des Energiesparens geändert hat, ließ er bei Markus Lanz nicht durchblicken. „Es gibt doch interessantere Sachen als wie lange ich dusche“, sagte der Bundeswirtschaftsminister auf Lanz‘ Frage hin schlicht.