Atomkraft, nein danke? Wie Kernenergie die Politik der Ampel spaltet
Die FDP will die letzten drei Atommeiler am Netz zu lassen, um die Energiekrise im Winter zu verhindern. Für die Grünen ist das vollkommen ausgeschlossen.
Berlin – Es hatte sich schon seit Längerem abgezeichnet: Die Debatte um die Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atommeiler in Deutschland wird zum Zankapfel in der Ampelkoalition. Anfang Juni hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit seinem Vorstoß, „ideologiefrei“ in diese Richtung zu diskutieren, noch verblüfft. Inzwischen ist der Vorschlag aber zum Tenor aus dem liberalen Lager geworden: Der drohenden Energiekrise durch das russische Spiel mit den Gaslieferungen könne man nur begegnen, wenn man weiter auf Atomkraft in Deutschland setzen würde.
Atomkraft, ja bitte: FDP will wegen Gaskrise in Deutschland Ernst machen und Energiesicherheit sichern
So sagte zuletzt auch Fraktionschef Christian Dürr den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Ich rate dringend dazu, die Laufzeiten der Kernkraftwerke für einen befristeten Zeitraum zu verlängern.“ In der Praxis sei dieser Schritt bei der Atomkraft in Deutschland durchaus machbar: „Entgegen anders lautender Einschätzungen hat bereits ein Betreiber erklärt, dass er willens und in der Lage ist, die Laufzeiten befristet zu verlängern.“ Aus dem bloßen Willen zur Debatte ist bei der FDP angesichts der Gaskrise und des drohenden Gasnotstands in Deutschland also praktischer Ernst geworden. Die Diskussion kommt inzwischen einem „Atomkraft, ja bitte“ gleich.

Das sorgt für mächtig Druck bei den Koalitionspartnern der Ampel – allen voran bei Robert Habeck, dem grünen Klima- und Wirtschaftsminister. Ein Verbleiben in der Kernenergie, selbst ein temporäres, lehnen seine Partei und er kategorisch ab. „Die Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie und einige Äußerungen sind mir da einfach zu spielerisch“, sagte Habeck am Samstag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Habeck hatte zuletzt auch ein Energiepaket angekündigt, das die erneuerbare Energie voranbringen soll.
„Ein Gasproblem, kein Stromproblem“: Atomkraft in Deutschland laut Grünen das falsche Mittel
Darüber hinaus sei Atomkraft in Deutschland keine Lösung für die drohende Krise, beziehungsweise würde das zu erwartende Ergebnis überschätzt. „Wir haben aktuell ein Gasproblem, kein Stromproblem. Dieses ‚Wir lassen die mal weiterlaufen, dann wird schon alles gut‘ steht weder im Verhältnis zu den Abstrichen bei den Sicherheitsstandards, die wir dafür in Kauf nehmen müssten, noch ist es der Situation angemessen“, erklärte Robert Habeck, der angesichts der Energiekrise in einem Energie-Dilemma steckt, angesichts der FDP-Überlegungen für eine verlängerte Atomlaufzeit.
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang springt ihm zur Seite: Atomkraft sei nicht das richtige Mittel, um von russischen Gaslieferungen unabhängig zu werden. Deutschland habe ein Problem mit der Wärmeenergie, nicht mit der Stromerzeugung, sagte sie dem Nachrichtenportal t-online. Neue Studien gingen davon aus, dass das Verbleiben in der Atomenergie nur weniger als ein Prozent der Stromerzeugung aus Gaskraftwerken ersetzen könnte – der Effekt sei also verschwindend gering. „Es wäre, als ob man das Pflaster auf die falsche Stelle klebt.“
Atomkraft in Deutschland: Grüne streiten mit FDP über ideologische Werte
Für die Grünen ist das Thema Atomkraft in Deutschland hoch ideologisch. Zuletzt wurden doch so einige ihrer Kernanliegen vom Koalitionspartner verwässert beziehungsweise einkassiert: allen voran das Tempolimit. Auch Bundesaußenministerin Baerbock sagte diese Woche in Japan ausdrücklich, ein Verbleib in der Atomkraft sei „kein Weg, den wir gehen werden.“
Steigende Energiepreise: Union hält Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland für falsch – Kernenergie könnte so sinkenden Energiepreisen führen
Doch sowohl aus der oppositionellen Union als auch aus vom liberalen Koalitionspartner wird der Druck auf Habeck wegen der Atomkraft-Debatte immer weiter erhöht. Bei der Union wundern diese Rufe nicht weiter. Ihr Argument: Mehr Strom im Markt führe zu sinkenden Energiepreisen. Doch wenn dieser Ukrainekrieg uns eines deutlich gezeigt hat, dann dass die gängigen Preismechanismen nicht mehr verlässlich funktionieren.
Das CSU-geführte Bundesland Bayern ist mit seinem Meiler Isar 2 zu 15 Prozent von Atomstrom abhängig, wie der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) gegenüber der Augsburger Allgemeinen sagte. Ein nicht ganz so kleiner Anteil im Vergleich zu den bundesweiten ein Prozent. Eine Laufzeitverlängerung bei der Atomkraft, die unter Umständen als grüne Technologie eingestuft werden kann, würde sich hier wohl am deutlichsten bemerkbar machen.
Streit in der Koalition über Atomkraft in Deutschland: FDP könnten Habeck Versagen vorwerfen
Warum verhält sich aber die FDP so zänkisch innerhalb ihrer eigenen Regierungskoalition wegen der Atomkraft in Deutschland? Nun, ein Grund könnte sein, dass man schon jetzt publikums- oder wählerwirksam darauf hinarbeite, dem grünen Bundeswirtschaftsminister energiepolitisches Versagen in die Schuhe zu schieben, wenn der Winter kommt und tatsächlich zu so großen Problemen führt wie befürchtet.
Die Liberalen könnten, so die Vermutung aus dem grünen Lager, nach ihren Wahlschlappen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen versuchen, das vermeintliche Scheitern Habecks dann für sich zu nutzen, um aufzutrumpfen, wie der Spiegel berichtet.
Atomkraft, ja bitte? – Aber das könnte teuer werden. Haftungs- und Versicherungsfragen bei Verbleib unklar
Bei der Bevölkerung könnte die FDP mit dem Thema tatsächlich punkten: Laut ARD-Deutschlandtrend waren Ende Juni 61 Prozent der Deutschen für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Was die Liberalen bei ihrer Kritik jedoch verschweigen: Ein Verbleib in der Kernenergie würde sehr teuer werden. Gewisse Sicherheitsüberprüfungen seien außerdem längst überfällig, wodurch sich zusätzliche Haftungs- und Versicherungsfragen stellen. Dies besagt laut Spiegel das Gutachten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Die Gegenfrage, wie das FDP-geführte Finanzministerium dies bezahlen und angesichts der Vermutung, dass das Ergebnis wohl nicht sehr groß ausfallen dürfte, rechtfertigen will, stellen der Bundeswirtschaftsminister und seine Partei nicht. Wenn es im Winter beim russischen Gas ganz dicke kommt, also nichts mehr kommt, könnte die jetzige ruhige Haltung für die Grünen zum ernsthaften Problem werden. Denn dann dürfte sich der Unmut der Menschen auf ihnen und ihrer Weigerung, über das Thema nachzudenken, entladen.
Atomkraft in Deutschland würde nicht für Unabhängigkeit von Russland sorgen
Um zur Not doch noch umzuschwenken, wäre es dann aber wohl zu spät. Für einen Weiterbetrieb der Atomkraft in Deutschland würden neue Brennelemente benötigt, und diese müssten erst in einem längeren Verfahren hergestellt werden. Am Problem der energiepolitischen Abhängigkeit zu Russland würde sich allerdings auch mit dieser Entscheidung nichts ändern. Denn noch immer stammen große Mengen des Urans, das in Europas Atomkraftwerken zum Einsatz kommt, aus Russland.