Die Linke Parteitag 2022: Schirdewahn und Wissler – ein Neuanfang, oder nicht?
Die Linke steckt in einer Krise, auf dem Parteitag in Erfurt sollte der Neuanfang gelingen. Nun gibt es neue und neue, alte Vorsitzende. Ist das ein Neustart?
Erfurt – Die Linkspartei will raus aus der Krise, dafür sollte vor allem der Parteitag in Erfurt an diesem Wochenende genutzt werden. Die Partei möchte ihre Zerrissenheit überwinden und wieder anschlussfähig werden. Von sexuellen Übergriffen im hessischen Landesverband bis zu parteiinternen Meinungsverschiedenheiten, die Linke steckt bis zum Hals in Negativ-Schlagzeilen. Jetzt gibt es einen neuen Parteivorstand aus Martin Schirdewan und Janine Wissler, die ihre Position halten konnte. Ist das der Neuanfang, den sich viele Parteimitglieder so dringend wünschen?
Parteitag Linke 2022: Martin Schirdewan und Janine Wissler bilden Parteivorsitz
Der Parteitag der Linken 2022 wurde mit Spannung erwartet, nach Meinung einiger Beobachter geht es doch um nicht weniger als das Überleben linker Opposition im Bundestag. Die Kandidatin auf den Parteivorsitz, Heidi Reichinnek, hatte vor dem Parteitag klargemacht, es dürfe „kein Weiter so geben“. Das sehen viele so – für eine Neuausrichtung der Partei wird jedoch nicht Heidi Reichinnek sorgen können, ebenso wenig wie Sören Pellmann: Sie hatten das Nachsehen gegenüber Janine Wissler und Martin Schirdewan. Derweil gibt es in der Partei, die wieder zu einer Stimme finden will, weiterhin klare Meinungsverschiedenheiten zur Haltung im Ukraine-Krieg.

Die Doppelspitze setzt sich damit aus einer neuen und einer alten Personalie zusammen. Schirdewan ergänzt Janine Wissler, die den Parteivorsitz beibehält. Der neue Co.-Vorsitzende Schirdewan setzte sich damit gegen seinen Kontrahenten Sören Pellmann durch – und das deutlich. Während der neue Vorsitzende 61,3 Prozent der Stimmen erhielt, entfielen lediglich 31,7 Prozent auf seinen Gegner. Janine Wissler erreichte 57,5 Prozent der Stimmen, vor Heidi Reichinnek (35,8 Prozent) und Julia Bonk (2,5 Prozent) – 23 Delegierte, also 4,2 Prozent, enthielten sich. Ein Platz in der Doppelspitze der Linken muss qua Regelung der Partei von einer Frau besetzt werden, Schirdewan und Pellmann hatten folglich auf der anderen, gemischten Liste kandidiert.
Die Linke Parteitag 2022: Parteispitze um Wissler und Schirdewan – doch ein „weiter so“?
Martin Schirdewan und Janine Wissler sind auf dem Linken Parteitag 2022 nun also zur Doppelspitze gewählt worden, beide sind dem Realo-Flügel zuzurechnen. Schirdewan und Wissler pflegen Medienberichten zufolge ein gutes Verhältnis. Schirdewan erklärte dem Freitag im Anschluss an seine Wahl „Wir müssen die Vielstimmigkeit in der Linken überwinden“. Zuletzt war die Partei besonders durch Uneinigkeit in verschiedenen Punkten hervorgestochen. Was diesen Punkt angeht, scheinen sich viele in der Partei einig: Auch Heidi Reichinnek hatte gegenüber der Kreiszeitung vor der Wahl bekannt, man müsse bei der Linken „weg von den ewigen Lästereien“. Alle vier Kandidatinnen und Kandidaten sprachen sich für eine Annäherung aus.
Doch ist die Wahl ein Neuanfang? Auf den ersten Blick nicht. Beide Vorsitzenden gelten als Vertreter des Parteiestablishments. Schirdewan gilt dabei eher als Reformer, Wissler als Vertreterin der Bewegungslinken. Ob die Erfahrungen der vergangenen Monate in der kommenden Zeit trotzdem zu einer Neuausrichtung der Partei in bestimmten Punkten führen werden, bleibt abzuwarten. Mit Schirdewan und Wissler siegt der Block aus Bewegungslinken und regierungslinker Strömung. Auch in den zurückliegenden Jahren besaßen sie innerparteilich die meiste Macht. Friederike Benda etwa kritisierte laut Junge Welt mit Blick auf die Wahl, die Partei habe sich für ein „weiter so“ entschieden. Benda hatte auf den stellvertretenden Parteivorsitz kandidiert, doch ihre Kandidatur in ihrer Bewerbungsrede als Reaktion auf die Wahl der Vorsitzenden zurückgezogen.
Nach Niederlage auf Linken-Parteitag in Erfurt: Pellmann erwägt Rückzug aus Bundestag
Sören Pellmann hatte auf dem Linken-Parteitag in Erfurt sehr eindeutig der kürzeren gegen seinen Kontrahenten Martin Schirdewan gezogen. Daraus könnte der Linken-Politiker und Bundestagsabgeordnete Konsequenzen ziehen – auch weitreichende. Pellmann erklärte der dpa: „Ich werde in den kommenden Tagen darüber nachdenken, was das für meine weitere Arbeit bedeutet, sowohl in der Bundestagsfraktion wie auch über mein kommunalpolitisches Engagement.“
Auf die Frage der dpa, ob er einen Rückzug aus der Bundestagsfraktion erwäge, sagte der Linkenpolitiker: „Ich denke in den nächsten Tagen über alle Möglichkeiten nach.“ Die Enttäuschung Pellmanns wird deutlich, ebenso wie die von etwa Friederike Benda. Es bleibt abzuwarten, ob es Wissler und Schirdewan gelingen wird, die Partei wieder enger zusammenrücken zu lassen. Zumindest auf den ersten Blick ist die Wahl alles andere als ein radikaler Umbruch in der Linken.