Der Ukraine-Krieg, der 8. Mai und verquere Verweise zum Nationalsozialismus
Im Ukraine-Krieg wird das mahnende Erinnern an die Zeit des Nationalsozialismus beidseitig instrumentalisiert. Ein Tabubruch.
Moskau/Kiew – Es ist der Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation aller deutschen Streitkräfte: der 8. Mai. Der sogenannte Tag der Befreiung vom Faschismus besitzt sowohl in der Ukraine als auch in Russland besondere Bedeutung. Die Sowjetunion erbrachte kaum vorstellbare Opfer im Kampf gegen die Nazis. Im Zuge des Ukraine-Kriegs wird die Erinnerung an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft von der Politik immer wieder instrumentalisiert – beidseitig. Das ist nicht nur am 8. Mai unwürdig.
8. Mai: Der Tag der Befreiung vom Faschismus und gefährliche Vermischungen im Ukraine-Krieg
Der Vernichtungs- und Eroberungskrieg des deutschen Faschismus und die tödliche Ideologie der Nazis kostete Millionen von Menschen das Leben. Der Sieg über die Nazis ließ die Welt aufatmen: In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 kapitulierten alle Streitkräfte der Nationalsozialisten bedingungslos. Auch in der Sowjetunion forderte die deutsche Terrorherrschaft und der Kampf gegen sie kaum vorstellbare Opfer. Der Jahrestag der deutschen Kapitulation spielt sowohl in der Ukraine als auch in Russland eine besondere Rolle. Im Zuge des Ukraine-Kriegs wird das Erinnern an diese Schreckenszeit instrumentalisiert und es gibt gefährliche Vermischungen. Zuletzt hatte es etwa Berichte über Schmierereien an Sowjetdenkmälern gegeben.

Das Sowjetische Ehrenmahl in Berlin etwa wurde im Zuge des russischen Angriffskriegs mit der Parole „Death to all Russians“ beschmiert, ebenso „Ukrainian Blood on Russian Hands“. Während die erste Parole keinerlei weiterer Kommentierung bedarf, zeigt letztere aktuelle Vermischungen: Die ehemalige Sowjetunion trägt nicht die Verantwortung für den Angriffskrieg unter Wladimir Putin. Am 8. Mai finden sich auch regelmäßig nationalistische russische Gruppierungen und Anhänger Putins wie die „Nachtwölfe“ an Denkmälern ein, wie das Neue Deutschland berichtet. Sie könnten dort auch in diesem Jahr auf Menschen mit ukrainischem Hintergrund treffen, Spannungen wären dabei vorprogrammiert. Zuletzt hatte es zudem Berichte gegeben, denen zufolge Russlands Präsident bis zum 9. Mai, wo der Tag der Befreiung in Russland begangen wird, Erfolge in der Ukraine verkünden will. In Deutschland ist der 8. Mai nach wie vor kein Feiertag.
Ukraine-Krieg: Referenzen zum Nationalsozialismus und der vermeintliche Kampf gegen den Faschismus
Der deutsche Faschismus und Nationalsozialismus sind Inbegriff des Bösen. Im Ukraine-Krieg wird das Erinnern an die Schreckenszeit instrumentalisiert, immer wieder gibt es Referenzen und Verweise. Bei aller Grausamkeit des Ukraine-Kriegs, sind diese Vergleiche absolut unzulässig, denn sie relativieren die historische Einmaligkeit des deutschen Faschismus, inklusive der industriellen Vernichtung von Menschen. In einer Debatte um den möglichen Einsatz von Atomwaffen durch Russland unter Putin erklärte etwa der ukrainische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Sergij Kislitsja, „Wenn er (Putin) sich selbst umbringen möchte, braucht er dafür keine Atomwaffen. Er muss nur das machen, was dieser Typ in Berlin gemacht hat, im Mai 1945.“
Auch auf russischer Seite gibt es mehr als genug Beispiele dafür, wie der vermeintliche Kampf gegen Nazismus instrumentalisiert wird. Deutlich wird das etwa, wenn Wladimir Putin den Angriffskrieg in der Ukraine als Entnazifizierung verklärt, während rechte Kräfte auch in Russland weiter wüten und der Kreml immer wieder rechte Kräfte in Europa protegiert. Auch der russische Präsident übt sich in verqueren Vergleichen: Er verglich erst kürzlich die, zurecht höchst umstrittenen, Auftrittsverbote russischer Künstler in westlichen Ländern mit der Bücherverbrennung unter den Nazis.
8. Mai 2022: Instrumentalisierung und die Glaubhaftigkeit antifaschistischen Gedenkens in Russland und der Ukraine
In den Hintergrund tritt bei all diesen Verbal-Ausfällen, was betrachtet werden müsste, wenn es einem mit dem antifaschistischen Gedenken ernst wäre: Sowohl Russland als auch die Ukraine haben ein erhebliches Problem mit Rechtsradikalen, die in beiden Ländern immer noch viele Freiheiten genießen. Da ist das Asow-Bataillon, bei dem auch in deutschen Medien das Kind oft nicht beim Namen genannt wird: Viel zu oft bleibt unerwähnt, aus wem sich dieses Regiment zusammensetzt – nämlich vorwiegend Ultranationalisten und Rechtsradikalen. Sie gewinnen im Ukraine-Krieg weiter an Einfluss. Andrej Melnyk, der Ukraine Botschafter in Deutschland, bezeichnete das Asow-Bataillon zuletzt als „mutige Kämpfer“.
Der 8. Mai als konkretes Datum droht ebenso instrumentalisiert zu werden, wie das Erinnern an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft insgesamt. Rechtsradikalismus ist sowohl in Russland als auch der Ukraine präsent. Folgt man Teilen der Politik beider Länder, gibt es dieses Problem jedoch vor allem im Außen. Die Externalisierung nagt an der Glaubwürdigkeit des Erinnerns und Mahnens ebenso wie die Relativierung, die in den beidseitig wiederholten Referenzen zum Nationalsozialismus liegt. Die Vergleiche sind ein rhetorischer Tabubruch – einer von vielen Tabubrüchen im Ukraine-Krieg.* kreiszeitung.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.