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DAK-Chef warnt vor Kassenpleiten: „Herr Lauterbach denkt hier zu kurzfristig“

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Von: Sebastian Horsch

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DAK-Chef Andreas Storm warnt im Merkur-Interview vor Kassenpleiten.
DAK-Chef Andreas Storm warnt im Merkur-Interview vor Kassenpleiten. © Christoph Soeder/dpa

Der Chef der Krankenkasse DAK, Andreas Storm, warnt im Merkur-Interview davor, dass im kommenden Jahr Krankenkassen in „Existenznöte“ geraten könnten.

München – Andreas Storm ist Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit – mit rund 5,5 Millionen Versicherten die drittgrößte Krankenkasse Deutschlands.

Herr Storm, die gesetzlichen Krankenkassen stehen vor einem Finanzloch. Wie groß ist es?

Das IGES Institut hat im Auftrag der DAK-Gesundheit errechnet, dass die gesetzliche Krankenversicherung im kommenden Jahr vor einer Finanzierungslücke von rund 19 Milliarden Euro steht. 2024 steigt diese Lücke auf rund 25 Milliarden Euro an und liegt 2025 schon bei etwa 30 Milliarden Euro.

Das übertrifft noch die Einschätzung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der 2023 von einer Lücke von 17 Milliarden Euro ausgeht.

Ja, das ist richtig, weil man unter anderem die Auswirkungen der hohen Inflation einbeziehen muss. Dadurch steigen die Ausgaben. Zudem haben wir berechnen lassen, was es bedeuten würde, wenn die deutsche Wirtschaft aufgrund eines Gasembargos in die Rezession abgleiten sollte. Dann ständen wir bereits im nächsten Jahr vor einem Defizit von rund 24 Milliarden Euro.

Was bedeutet das für die Versicherten?

Herr Lauterbach hat Eckpunkte für ein Finanzstabilisierungsgesetz vorgelegt, mit dem der Beitragsanstieg zunächst auf 0,3 Punkte begrenzt werden soll. Nach unserer aktuellen Analyse wird der Anstieg tatsächlich noch höher ausfallen. Zudem handelt es sich beim jetzigen Gesetzentwurf zum überwiegenden Teil um Einmalmaßnahmen. Damit würde bereits 2024 ein weiterer massiver Beitragsanstieg erforderlich, um die Finanzlücke zu schließen. Die Vorschläge des Ministers reichen bei Weitem nicht aus und würden die Finanzen der Krankenkassen destabilisieren.

DAK-Chef Storm kritisiert Gesundheitsminister: „Herr Lauterbach denkt hier zu kurzfristig“

Damit die Beiträge nicht noch stärker steigen, greift Lauterbach unter anderem auf Kassenrücklagen zurück. Klar, dass Ihnen das nicht gefällt.

Herr Lauterbach denkt hier zu kurzfristig. Er möchte die Rücklagen so weit reduzieren, dass der Durchschnitt der Kassenlandschaft bereits im nächsten Jahr die gesetzlich vorgeschriebene Mindestrücklage unterschreiten würde. Käme dann noch ein größerer Ausgabendruck dazu, muss man damit rechnen, dass eine große Zahl von Krankenkassen in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten gerät.

Das Gesetz soll nächste Woche im Kabinett verabschiedet werden. Was muss vorher aus Ihrer Sicht noch geändert werden?

Der geplante Abbau der Rücklagen ist völlig überdimensioniert. Zudem ist es inakzeptabel, dass die gesetzliche Krankenversicherung ein Darlehen erhalten sollen, dass sie bis 2026 zurückzahlen muss.

Woher soll das Geld sonst kommen?

Im Koalitionsvertrag steht, dass die Kassen endlich eine auskömmliche Finanzierung für ihre Ausgaben für Grundsicherungsempfänger erhalten sollen. Das muss jetzt passieren. Zudem sind wir für eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, die auch die Kassen entlasten würde.

Warum stehen die Kassen jetzt überhaupt vor solch großen Problemen?

Die Finanzierungslücke hat mehrere Ursachen: Eine ist die demografische Entwicklung. Zudem sorgt der erfreuliche medizinisch technische Fortschritt für höhere Kosten. Gleichzeitig haben sich Löhne und Renten – und somit auch die Kassenbeiträge – im Vergleich zum Ausgabenwachstum unterdurchschnittlich entwickelt.

DAK-Chef greift Lauterbach-Vorgänger Spahn an

Welche Rolle spielt Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn?

Die Gesetzgebung in der vergangenen Legislaturperiode hat das Ausgabenwachstum weiter beschleunigt. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Finanzierungslücke größer geworden ist. Zudem war es Spahn, der zuerst die Rücklagen der Krankenkassen angetastet hat. In seiner Amtszeit waren zunächst noch Polster von rund 17 Milliarden Euro vorhanden. Zu Jahresbeginn waren es nur noch knapp zehn Milliarden. Wenn jetzt erneut abgeschöpft wird, geht es an die Substanz.

In Deutschland gibt es fast 100 gesetzliche Krankenkassen. Ließe sich nicht auch hier sparen?

Anfang der 90er-Jahre gab es in diesem Land noch weit über tausend Krankenkassen. Seither hat sich also viel getan. Dieser Prozess wird sicher auch weitergehen. Aber ihn anzutreiben, indem man im nächsten Jahr möglicherweise ein Drittel der gesetzlichen Krankenversicherung in Existenznöte bringt, ist sicher keine sinnvolle Strategie. Gleichzeitig bringt der Wettbewerb große Vorteile. Innovative Projekte werden so besser vorangetrieben. Dazu kommt: Über 95 Prozent der Krankenversicherungs-Ausgaben sind Leistungsausgaben. Die Verwaltungskosten sind also nicht das Problem. Zudem ist in Lauterbachs Reformgesetz ohnehin der Anstieg der sächlichen Verwaltungskosten bei drei Prozent gedeckelt. Sebastian Horsch

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