Regierungskrise in Großbritannien
Boris Johnson: Über die Hälfte der Wähler will seinen Rücktritt
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Boris Johnson konnte in der Ukraine-Krise innenpolitisch Boden gut machen. Doch wie viel? Aufschluss darauf gibt eine aktuelle Umfrage.
London – Innenpolitisch war es in Anbetracht der Ereignisse im Ukraine-Krieg zuletzt stiller geworden um das Partygate des Skandal-geschüttelten britischen Premierministers Boris Johnson. Vorübergehend konnte der Eindruck entstehen, die britische Bevölkerung und ihre Medien hätten dem Regierungschef seine Fehltritte möglicherweise doch vergessen und verziehen. Dieser Eindruck trügt.
Boris Johnsons Partygate: Hälfte der Wähler will nach wie vor den Rücktritt des britischen Premierministers
Die Berichterstattung britischer Medien richtete sich zuletzt, wie auch andernorts, schwerpunktmäßig auf den Ukraine-Krieg. Der Party-Premier Boris Johnson und seine Verfehlungen rückten in den Hintergrund. Johnson nutzt die Bühne, um sich in der Außenpolitik zu profilieren. Der vorübergehende Eindruck, die britische Bevölkerung könnte ihm seine Fehltritte im Partygate mehrheitlich verziehen haben, täuscht, wie aktuelle Umfragen zeigen. Doch sie zeigen noch etwas anderes: Johnsons Zustimmungswerte steigen tatsächlich, wenn auch auf einem extrem niedrigen Niveau.
Boris Johnson, der es mit der Wahrheit nicht immer so eng nimmt, dürfte sich mehr erhofft haben: Aus einer Opinium Umfrage für die britische Tageszeitung Observer geht hervor, dass über die Hälfte der Wählerinnen und Wähler nach wie vor Johnsons Rücktritt wollen. Laut Umfrage sind es genau genommen 53 Prozent, verglichen mit dem Januar ist das jedoch ein Fall von 10 Punkten, wie der Guardian berichtet. Johnsons Zustimmungsrate hat sich ebenfalls verbessert – auf einem sehr niedrigen Level. Während 54 Prozent der Befragten Johnsons Politik weiter ablehnen, sind 27 Prozent mit ihr einverstanden. Die Tatsache, dass das eine Verbesserung um 6 Punkte im Vergleich zu vor zwei Wochen darstellt, zeigt, von welch niedrigem Ausgangswert gerechnet wird.
Boris Johnson: Ukraine-Krieg entschärfte Kritik am britischen Premierminister offenbar vorerst
Joe Curran, Meinungsforscher bei Opinium, erklärte dem britischen Guardian: Was Boris Johnson betrifft, würde ein Zyniker sagen, dass die Krise in der Ukraine sowohl eine Ablenkung von innenpolitischen Kontroversen bietet als auch die Gelegenheit, den Staatsmann zu spielen. In der Tat sind seine Zustimmungswerte leicht gestiegen, obwohl wir nicht mit Sicherheit sagen können, dass dies mit dem Krieg im Osten zusammenhängt. Ob dieser Trend anhält, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von der sich verschärfenden Krise bei den Lebenshaltungskosten.“
Johnsons Absturz scheint gebremst, nicht beendet. Zuletzt hatte mit Douglas Ross der erste parteiinterne Johnson-Gegner sein Misstrauensschreiben gegen den Premier zurückgezogen. Er erklärte „Mitten in einer internationalen Krise ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über Rücktritte zu diskutieren“. Offensichtlich sieht nicht nur er das aktuell so, weshalb die Rücktrittsforderungen leiser geworden sind – nicht verstummt. Einige Stimmen aus der britischen Politik zeigten sich derweil verärgert von Ross Rückzieher.
Boris Johnson: Minimaler Auftrieb, doch noch lange nicht in Sicherheit – spielt die Zeit für ihn?
Johnsons minimal verbesserte Umfrage-Werte zeigen zweierlei Dinge: Zum einen zeigen sie, dass der britische Premierminister tatsächlich etwas an Boden gut machen kann. Johnson, dem zuletzt die Mitarbeiter wegliefen, scheint es bisher zu gelingen, die Ukraine-Krise in innenpolitischer Hinsicht für sich zu nutzen – zumindest das Partygate steht nicht mehr im Fokus. Gleichzeitig zeigen die Zahlen, von welch niedrigem Ausgangswert die Verbesserung verstanden werden muss. Die Zustimmungswerte des Premiers sind trotz Verbesserung weiter mehr als schlecht.
Die Tatsache, dass das Partygate weniger Aufmerksamkeit erfährt, ist offensichtlich kein Indiz dafür, dass der britischen Bevölkerung egal geworden ist, wie sich ihr Premier in der Pandemie verhalten hat. In der kriegsbedingt veränderten Prioritätensetzung vieler Menschen könnte trotzdem eine Chance für Johnson liegen: Möglicherweise dominieren andere Themen so lange, bis sich das Partygate, allem Unmut zum Trotz, von selbst entschärft hat. Die Zeit könnte mit möglicherweise abnehmendem Interesse der Bevölkerung für Boris Johnson spielen, in Sicherheit ist er deshalb politisch bei weitem nicht. Das Rücktritts-Thema vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs zurückzustellen, wie von Ross gefordert, scheint trotz allem das beste zu sein, was dem Party-Premier in dieser Zeit innenpolitisch passieren konnte.*kreiszeitung.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
Rubriklistenbild: © Jessica Taylor/AFP