1. Startseite
  2. Politik

9. Mai als Putins „heiliges Datum“: Wie Russland Geschichte für den Krieg einsetzt

Erstellt:

Von: Lukas Rogalla

Kommentare

Am 9. Mai feiert Russland den „Tag des Sieges“ über Hitler-Deutschland. Doch auch die ehemaligen Sowjet-Staaten, wie die Ukraine, verteufelt Putin als Nazis.

Moskau – Kurz vor dem 9. Mai 2022 wird viel spekuliert, was Russland im Ukraine-Krieg als Nächstes plant. Das Datum ist in Russland als „Tag des Sieges“ über Nazi-Deutschland bekannt. Jedes Jahr findet auf dem Roten Platz in Moskau eine große Militärparade zur Feier des Triumphs im „Großen Vaterländischen Krieg“ statt. Für Präsident Wladimir Putin ist es gar ein „heiliges Datum“. Russland nutzt diesen Tag und die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg weiter, auch um den Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen, den sie jedoch nicht offiziell als solchen bezeichnen.

Die Regierung in Kiew bestehe aus Neonazis, behauptet der Kreml immer wieder. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sogar mit Adolf Hitler verglichen. Eine Forderung Russlands im Krieg sei die „Entnazifizierung“ der Ukraine. Auch gegen andere ehemaligen Sowjet- oder Ostblock-Länder fallen ähnliche Vorwürfe. Doch worauf basieren diese Anschuldigungen aus Russland überhaupt?

Putins Russland feiert am 9. Mai – nur positives Erinnern an Rote Armee erlaubt

Wer in Russland die „Geschichte falsifiziert“ und etwa „historische Wahrheiten“ verfälscht, riskiert strafrechtliche Verfolgung. Dazu gehört beispielsweise die Verunglimpfung der Roten Armee, etwa durch das Erinnern an Kriegsverbrechen. Dafür wurde 2020 in Putins Russland die Verfassung geändert. Innenpolitisch ermöglicht das mehr Repressionen – doch auch nach außen nutzt Russland die eigene Weltansicht auf aggressive Weise.

RusslandAmtlich: Russische Föderation
HauptstadtMoskau
AmtsspracheRussisch
StaatsoberhauptPräsident Wladimir Putin
RegierungschefMinisterpräsident Michail Mischustin
Staatsformsemipräsidentielle Republik
Einwohnerzahl144,5 Millionen (2018)
WährungRubel (RUB)
Nationalfeiertag12. Juni (Tag Russlands)

Ehemalige Ostblock-Staaten: Putin und Russland wollen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weiter Einfluss nehmen

Den Zusammenbruch der Sowjetunion bezeichnete Putin 2005 als „größte geopolitische Katastrophe des Jahrhundert“. Die Sowjet-Republiken, darunter die heutigen EU-Staaten Estland, Lettland und Litauen, wurden unabhängig. Ehemalige Ostblock-Staaten wie Polen orientierten sich Richtung Westen. Doch Russland hängt weiter an der Union, die aus Moskau regiert wurde. Und auch in diesen Ländern, die sich von der UdSSR und Russland zu distanzieren versuchen, will der Kreml unter Putin Einfluss nehmen. Entsprechend positiv soll dort an die Zeit als kommunistisch regierte Weltmacht erinnert werden.

„Unser Ziel (...) ist die ehrenhafte Aufgabe, Historiker in Ländern wie der Ukraine, Polen, Lettland, Estland, Georgien und anderswo zu schützen“, sagte der Politologe Aleksey Podberezkin im Jahr 2005 laut Spiegel. Historiker seien dort „totalem politischem Druck“ und „Diktatur“ ausgesetzt. Russland müsse den „historischen Diskurs befreien“, wie der laut Spiegel „willfährige“ Podberezkin sagte. Organisationen und Stiftungen, die die russische Geschichte aufzuarbeiten, werden vom Kreml zensiert oder gänzlich verboten. Eigene historische Auslegungen sind umstritten und werden häufig beschönigt.

9. Mai in Russland: Neben Ukraine auch baltische Staaten im Fokus von Putins Anschuldigungen

Nicht nur der Ukraine, auch den baltischen Staaten wirft Russland Kollaboration mit Nazi-Deutschland vor. Estlands Geheimdienst hatte 2014 behauptet, Moskau verunglimpfe „den bewaffneten Freiheitskampf Estlands, Lettlands und Litauens nach dem Zweiten Weltkrieg und ihren Widerstand gegen die sowjetische Besetzung“, zitiert der Spiegel. Die Besetzung bezeichnete Putin als legale und freiwillige „Inkorporation“ in die Sowjetunion.

Aus der Sicht Moskaus seien Teile der Zivilbevölkerung beim Holocaust mit involviert gewesen. Demnach sympathisieren viele Menschen in den baltischen Staaten auch heute noch mit dem Nationalsozialismus. Russlands Außenminister Lawrow warf Lettland zuletzt vor, die Waffen-SS zu „rehabilitieren“. In den drei baltischen Staaten leben noch heute jeweils eine bedeutende russische Minderheit, die Kreml-freundliche Medien so zu beeinflussen versuchen.

Wladimir Putin, Präsident von Russland, 2015 beim 70-jährigen Jubiläum zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Der 9. Mai ist für den Kreml-Chef ein „heiliges Datum“.
Wladimir Putin, Präsident von Russland, 2015 beim 70-jährigen Jubiläum zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Der 9. Mai ist für den Kreml-Chef ein „heiliges Datum“. (Archivfoto) © Alexei Druginyn/Ria Novosti/dpa

9. Mai in Russland: Putins Politiker und Diplomaten werfen Polen und Finnland Kollaboration mit Nazi-Deutschland vor

Auch Polen und Finnland wird heute noch russischen Politikern und Diplomaten vorgeworfen, Seite an Seite mit Nazi-Deutschland gearbeitet oder gekämpft zu haben. Nun, Wochen nach Beginn des Ukraine-Kriegs, strebt Finnland offenbar den Beitritt in die Nato an, gemeinsam mit dem Nachbarland Schweden.

9. Mai in Russland: Putin braucht Erfolge im Ukraine-Krieg

An einem solchen Narrativ hält Russland auch mit Hinblick auf die Ukraine fest. Den Krieg gegen den Bruderstaat könne Putin daheim nur rechtfertigen, wenn Ukrainer als Nazis abgestempelt werden, analysiert der Spiegel. Für den bevorstehenden 9. Mai braucht Putin in der Ukraine militärische Erfolge.

Geplant war zunächst wohl, dann den Sieg sowohl über Nazi-Deutschland als auch über die vermeintlich von „Neonazis“ regierte Ukraine zu zelebrieren. Mit dem frühen Sieg ist es nichts geworden. Doch Putin wird den 9. Mai dennoch zu Propagandazwecken nutzen. Das Datum hat er nach Spiegel-Informationen selbst wieder zu einem Großereignis gemacht.

Russlands Krieg gegen die Ukraine: Nazi-Vergleiche von beiden Seiten

Mit dem großangelegten Krieg, den Russland im Februar 2022 gestartet hat, dreht die Ukraine den Spieß in Sachen Nazi-Vergleichen um. Ohne es explizit zu sagen, zieht Präsident Wolodymyr Selenskyj Parallelen zwischen Russland mit NS-Deutschland. Bei Veranstaltungen in den dänischen Städten Kopenhagen und Aarhus am Mittwoch (04.05.2022), zu denen er auf Großbildschirmen zugeschaltet war, erinnerte er die Bevölkerung an das Ende der Besatzung durch die Nazis.

Die Nazis hätten damals verloren und die Freiheit habe gewonnen, meinte Selenskyj. Dänemark und die Welt hätten damals gefeiert und die Hoffnung gehabt, dass solch ein grausamer Krieg der letzte sein werde. Doch mit dem russischen Angriff gegen die Ukraine sei der Krieg wieder hier. Er sei bereits genauso grausam geworden wie derjenige, an dem man sich jedes Jahr im Mai erinnere. (lrg/ mit Material der dpa)

Auch interessant

Kommentare