Verden: Nächster Hausarzt schließt

Die Versorgung in Verden wird dünner. Dr. Sinke geht in den Ruhestand, Dr. Flasinski sucht einen Nachfolger.
Verden – Wer in Verden einen Hausarzt sucht, trifft zuweilen auf taube Ohren. Häufig lehnen die Praxen bereits Neu-Patienten ab. Jetzt droht der Versorgung ein nächster schwerer Rückschlag. Eine weitere Praxis stellt ihren Betrieb ein. „Zum 1. Juli werde ich nach 30-jähriger kassenärztlicher Tätigkeit schließen“, teilt Dr. Petra Sinke auf ihrer Homepage mit. Gleichzeitig versucht ein zweiter niedergelassener Arzt eine Nachfolgeregelung auf den Weg zu bringen. Mit einer pfiffigen Idee. „Vier flotte, motivierte und immerzu gut gelaunte Medizinische Fachangestellte suchen einen Arzt für Allgemeinmedizin. Wir wünschen uns einen netten Chef.“ Gern auch eine Chefin. Die Offerte stammt aus der Praxis von Dr. Thomas Flasinski. In der Kassenärztlichen Vereinigung, in deren Verantwortung die Versorgung der Stadt Verden liegt, lösen die Annoncen Beunruhigung aus. „Beides große Praxen. Würde tatsächlich kein Nachfolger gefunden, wäre das für Verden der Worst Case“, sagt Geschäftsführer Sören Rievers.
Sie hat es versucht, berichtet Sinke. Über Jahre versucht, einen Nachfolger zu finden. Alles vergeblich. „Und letztendlich kann ich’s sogar verstehen. Die jungen Leute haben eine andere Work-Live-Balance. Niemand kann sich vorstellen, einen Praxisbetrieb von 7.05 bis 19.15 Uhr am Laufen zu halten. Und dann womöglich auch noch die Hausbesuche zu absolvieren, entweder zwischendurch oder hinterher, das ist eine echte zeitliche Belastung“, sagt sie. Ihr Hinweis an die Stamm-Patienten: „Bitte holen Sie bis Mitte Juni ihre Unterlagen bei uns ab.“ Und: Sie wünsche den Angestellten, den Kollegen und besonders den Patienten von Herzen alles Gute.
So weit ist Flasinski noch nicht. „Nein, aber wir beginnen, rechtzeitig zu suchen. Je schneller wir jemanden finden, umso besser.“ Drei oder maximal vier Jahre, so lange könne er zur Not warten, ehe er ins Rentenalter trete. Aber die Schließung am Andreaswall, die Suche für seine Praxis, das seien ja keine Einzelfälle. Eine ganze Reihe Allgemeinmediziner haben in den vergangenen Jahren den Ruhestand erreicht. Dr. Fricke, Dr. Siedschlag, Dr. Krüger, Dr. Frohne, und wahrscheinlich sei die Liste noch länger. Und Nachfolger seien nirgends gefunden. „Das ist überall so ausgelaufen.“
Zu anderen Schlüssen kommt die Kassenärztliche Vereinigung (KVN). „Der Planungsbereich Verden ist noch mit am besten ausgestattet“, so Rievers. „Wir haben hier eine Versorgungsquote von 108,8 Prozent. Bei über 110 Prozent wäre Verden überversorgt.“ Die Allerstadt sei gut aufgestellt. Die KVN unterstütze zudem die Pläne, für beide Praxen Nachfolger zu finden. Auch für die Räumlichkeiten Sinkes gebe er die Hoffnung nicht auf, was allerdings aufgrund des Ärztemangels schwierig sei. Er räumte ein, würde eine der großen Praxen mit im Schnitt rund 2500 Stammpatienten geschlossen, rutsche die Versorgung unter die Marke von 100 Prozent.
Deutlich dramatischer sieht Dr. Petra Sinke die Lage. „Ich bin ja kein Einzelfall. 80 Prozent meiner Kollegen sind mein Jahrgang plus/minus zwei Jahre. Nicht unwahrscheinlich, dass da eine Schließungswelle droht. Das sieht ganz schlimm aus.“ Zwar sei für ihre Praxis eine Regelung getroffen, die Verdener Allgemeinmediziner haben sich wie mehrere Seiten bestätigen schon mit der Verteilung der Patienten befasst, aber noch mehr Rückschläge seien in der Stadt kaum verkraftbar. Zumal der Zuzug in der Bevölkerung nicht nachlasse.
Sinke kann sich sogar vorstellen, unter bestimmten Bedingungen zumindest temporär die größte Not zu lindern. „Patientenversorgung und -betreuung, das liegt mir beides am Herzen. Da mach’ ich gerne weiter. Aber bitte ohne Bürokratie, Abrechnung, Diagnoseverschlüsselung oder Wirtschaftlichkeitsgebot.“ Konkret könne sie sich folgende Lösung vorstellen: „Die KVN räumt eine Etage ihres Verwaltungsgebäudes frei, richtet darin Arztpraxen ein, stellt Medizinische Fachangestellte ein, ein Betriebswirtschaftler ist ja schon da, und baut einen Schichtplan für Ärzte auf.“ Sie, sagt Sinke, würde Schichten übernehmen, andere in den Ruhestand wechselnde Kollegen auch. „Damit wäre allen geholfen.“
Auf völlig taube Ohren trifft sie in der Kassenärztlichen Vereinigung nicht. „Ein solches Modell schwingt immer mit. Das wäre eine Eigeneinrichtung, die wir als letztes Mittel anwenden müssten“, sagt Rievers. Den Sicherstellungsauftrag, der der KVN erteilt sei, nehme man schließlich ernst. Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit höher, ein medizinisches Versorgungszentrum aufzubauen. „Ein Geschäftsführer wird eingesetzt, Ärzte sind im Einsatz, medizinisches Personal auch. Das funktioniert.“ Allerdings sei ein solches Zentrum für Verden allenfalls Zukunftsmusik. „Konkret ist da nichts.“
Wenn nicht alles täuscht, läuft es aber an der Aller-Mündung darauf hinaus. „Die große Politik hat’s verpennt“, sagt etwa Thomas Flasinski. „Wir haben vor Jahren schon auf den sich anbahnenden Ärztemangel hingewiesen. Wir haben demonstriert. Aber reagiert wurde nicht. Jetzt gehen die Babyboomer in den Ruhestand. Jetzt fällt das Kind in den Brunnen.“ Dringend seien zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen.
