Leiharbeit an Aller-Weser-Klinik: Firmen werben Pflegekräfte ab und bieten sie teuer wieder an

Leiharbeitsfirmen werben Pflegekräfte der Aller-Weser-Klinik ab und stellen sie dem Krankenhaus zum Preis des Doppelten wieder zur Verfügung. Die Lage sei dramatisch, heißt es. SPD-Chef Lars Klingbeil nahm sich des Problems in Verden an.
Verden – „Sie werben die Leute ab, die Lage ist dramatisch.“ Als Pflegedienstdirektorin Christine Schrader in illustrer Runde unter anderem mit dem SPD-Chef Lars Klingbeil die Lage an der Aller-Weser-Klinik beschrieb, da machte sie aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Es ging um Leiharbeitsfirmen, mit erhöhten Angeboten sprächen sie aktuell Pflegekräfte an, und anschließend, so der Vorwurf, würden sie dem Klinikum wieder angeboten, zu deutlich erhöhten Preisen, manchmal für das Doppelte. Jede zehnte Pflegekraft in den Häusern in Achim und Verden, insgesamt rund hundert an der Zahl, gehöre inzwischen der Kategorie Leiharbeit an.
Klingbeil griff das Thema auf. Und schon war es da, für ihn, den Bundesparteichef, der jetzt als Bundestagsabgeordneter in Verden Station machte, und wahrscheinlich genau das fand, was er suchte. Die Probleme und die Lösungen der Stadt, nicht immer nur neue Klippen, sondern auch Beispiele guter Ideen, die umgesetzt werden. Und so fuhr der sozialdemokratische Frontmann nicht durch die Stadt, er erwanderte sie von Süd nach Nord, begleitet von der Landtagsabgeordneten Dörte Liebetruth, erwanderte sie vom Krankenhaus bis zur Ostertorstraße und kam an der Baustelle zur Fahrradstraße an, und hörte von Bürgermeister Lutz Brockmann von den Radhäusern, die an Mehrfamilienhäusern errichtet werden sollen, von den Lastenrädern, die beantragt sind, von einer Reihe weiterer klima- und energieschonender Maßnahmen. Rund 2,3 Millionen habe Verden dafür aus Berlin erhalten. „Das ist die erste Kommune, in der ich das so intensiviert sehe“, sagte Klingbeil.
Lars Klingbeil will Leiharbeit-Problem in Berlin lösen
Ein wenig entwickelte sich die etwas andere Stadtführung für den prominenten Gast zu einer Art Politikbarometer. Klingbeil, im dunkelblauen Anzug, im weißen Hemd, nicht mal ein roter Schlips, und schon gar kein roter Rucksack, er sorgte trotz seiner Größe für keineswegs Getuschel unter den Passanten. Kaum wer drehte sich nach ihm um.
Das Problem der Leiharbeit wolle er dorthin mitnehmen, wo man ihn wahrnimmt, besser wahrnimmt, nach Berlin, sagte Klingbeil, ein Problem, das den Spielraum der Krankenhäuser sowohl personell als auch finanziell weiter einschränkt, wenn überhaupt noch Spielraum da ist. „60 Auszubildende haben wir zurzeit, es wäre bitter, wenn sie abgeworben würden“, sagte etwa die Pflegedienstdirektorin. Gleichzeitig steige der Kostendruck, so der ärztliche Direktor Dr. Peter Ahrens: „Von den Krankenkassen erhalten wir die Mehrkosten für Leiharbeit jedenfalls nicht erstattet.“ Und dann spiele die Qualifikation auch noch eine Rolle. „Die hochqualifizierten Aufgaben werden von Festangestellten übernommen“, erklärte Geschäftsführerin Marianne Baehr.
Überhaupt sei eine Unwucht in diesem Bereich der Gesundheitsvorsorge festzustellen. Landrat Peter Bohlmann wartete mit Zahlen auf. „Seit 2011 hat der Landkreis Verden 65 Millionen Euro für den Erhalt seiner Krankenhäuser gezahlt und damit das strukturelle Defizit ausgeglichen.“ Eine Summe, die fast so hoch ausfällt wie die Kosten für den gesamten Neubau einschließlich Altbau-Sanierung in Verden, die aktuell auf 70 Millionen taxiert sind. Bohlmann: „So kann es nicht weitergehen. Es ist Aufgabe der Krankenkassen, die Kliniken zu erhalten. Vor allem auch jene im ländlichen Raum. Die Krankenkassen können nicht länger davon ausgehen, dass die Landkreise einspringen.“
Krankenhaus-Kommission soll Leiharbeit-Situation nachbessern
Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht, wohl aber eine Nachjustierung. Klingbeil verwies auf die Krankenhaus-Kommission, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach zur Weiterentwicklung der stationären Versorgung eingesetzt habe. Gleichzeitig sei auch ein Ende der überholten Fallpauschalen zumindest im Geburtshilfe- und Kinderbereich in Sicht, das sei im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Aus gutem Grund, so der Bundestagsabgeordnete: „Die Fallpauschale zielt viel zu sehr auf Ökonomisierung ab.“
Die Auswüchse der Leiharbeit habe man auch schon in anderen Branchen eingedämmt, in der Fleischindustrie zum Beispiel. Jetzt wolle man sich dieses Themas auch im Gesundheitssektor widmen. Klingbeil: „Eine Lösung kann ich noch nicht präsentieren. Aber die Verdener Aussagen tragen dazu bei, das Problembewusstsein zu schärfen.“