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Verden-Eissel – Aus Niederschlesien zunächst in das Durchgangslager und dann weiter nach Eissel, die Ausweisung der 60 Waldenburger endete im Sommer 1946 nahe Verden. Unter ihnen der damals elfjährige Heinz Bischoff. „Die Zeit in Eissel war für uns Kinder ein unvergleichliches Erlebnis“, erinnert sich der heute 85-Jährige. Teil 4 der Serie.
Als die Waldenburger in Eissel ankamen, trafen menschliche Schicksal aufeinander, die unterschiedlicher nicht ein konnten. Die Städter, ausgewiesen, ohne Hab und Gut, nur mit dem, was sie bei sich trugen, heimatlos, auf der einen Seite. Und die Dorfbewohner, die nun Platz machen, zusammenrücken und abgeben mussten, auf der anderen Seite. Heinz Bischoff denkt kurz nach über die Frage nach dem ersten Aufeinandertreffen, dem anschließenden Miteinander. „Bei unserer Ankunft waren natürlich viele unsicher, aber die Unterbringung auf engstem Raum, es sollte funktionieren, und das hat es denn auch.“
Die Waldenburger in Eissel
Unterschlupf fanden die Bischoffs im Gasthaus Schröder, wo ihnen die Gastwirtsfamilie ein Zimmer zur Verfügung stellte. „Groß war es nicht, aber für meine Mutter, meine Schwester und mich war es ausreichend. Wir waren froh, irgendwo untergekommen zu sein.“ Beim „Deichschröder“ liefen im Ort die Fäden zusammen. So war es für Heinz Bischoff und seine Familie nicht schwer, Kontakte zu knüpfen. „Für uns Jungen, die wir aus einer mittelgroßen Stadt kamen, war es eine schöne Zeit. In Waldenburg gab es Straßenbahnen, Autos, vergleichsweise viel Verkehr. Eissel war Natur pur, das kannten wir aus unserer Kindheit gar nicht.“
Wie in Waldenburg, so mussten die Kinder auch in Eissel die Schulbank drücken. „Anders als bei uns gewohnt, saßen wir in Eissel alle in einer Klasse, alle Jahrgänge von Klasse eins bis neun“, erzählt Bischoff. Und er hatte, so ist im bis heute in Erinnerung geblieben, einen ganz besonderen Unterricht. „Lehrer Fricke war vom Fach und vom Auftreten ein sehr fähiger und weitsichtiger Mann.“ Bischoff weiß noch genau, wie Ludwig Fricke es verstand, auf die Kinder und Jugendlichen zuzugehen. „Er holte einen zunächst da ab, wo man stand. Wenn Herr Fricke aber spürte, dass jemand mehr konnte und vor allem auch wollte, dann förderte und forderte er ihn auf spezielle Weise. Das finde ich, damals wie heute, auch mit Blick auf das derzeitige Schulsystem, sehr beeindruckend, und vor allem war es eben sehr weitsichtig.“
In Bremen wurde über integrativen Unterricht die Nase gerümpft
Dass nicht alle so modern dachten, musste Bischoff nach Ende der Schulzeit und der anstehenden Berufswahl erfahren. „In der Großstadt Bremen kannte man so große Klassen und die Form der Beschulung nicht. Da wurde dann auch mal die Nase gerümpft und die Qualität des Unterrichts bezweifelt“, lacht Bischoff. „Heute denkt man da ganz anders.“
Doch zurück in das Eissel der 1940er-Jahre. Die Dorfjugend drückte nicht nur die Schulbank. Die nähere Umgebung bot vielfach Gelegenheit, sich die Zeit zu vertreiben. Ausflüge, darunter zum Bullensee, gehörten dazu. Aber soweit brauchten die Jugendlichen gar nicht zu fahren. Ein Treffpunkt war der Eisseler See, wie gemacht für ausdauernden Sport.
Ausflüge zum Bullensee
Heinz Bischoff und Wolfgang Förster waren sehr gute Schwimmer. „Bei uns in Waldenburg gab es ein Hallenbad, wo wir mit meinem Vater und meinem Onkel regelmäßig unsere Bahnen gezogen haben. Schon als Dreijährige sind wir da fleißig durchgepaddelt“, so Bischoff. Der Eisseler See war für Bischoff und seine Freunde ein kleines Paradies.
Ein Kriegsereignis mit Nachwirkungen
Und das tiefe Gewässer barg eine Geschichte, die sich noch zu Kriegszeiten ereignet hatte und die Jungen um Heinz Bischoff schon bald in ihren Bann ziehen sollte.
• Teil 5: Der Absturz eines amerikanischen Bombers 1943 – Ein Kriegsereignis mit Nachwirkungen.
Info
Heinz Bischoff hat nach der Ausweisung seiner Familie aus Schlesien bis in die 1950er-Jahre in der Ortschaft Eissel in Verden gelebt. In einer kleinen Serie schildert er seine Erlebnisse. Günter Palm, ebenfalls in Eissel aufgewachsen und auch Verfasser der Dorfchronik Eissel, arbeitet an einem Buch, in dem das Zeitgeschehen aus der Epoche des Dorfes ausführlich aufgearbeitet werden soll. In den Nachkriegsjahren zählte Eissel 307 Einwohner, davon 169 Einheimische und 138 Flüchtlinge (Stand 1948).
Von Markus Wienken