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Zwischen Unterhaltung und Anspruch

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Von: Christel Niemann

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Eine Frau in Nonnentracht, im Hintergrund weitere Nonnen und einige Frauen mittelalterlicher Kleidung.
Soll aus luftiger Höhe hinab singen: Christiane Artisi bei ihrem Auftritt im Jahr 2017. © Niemann

Verden – Bei seiner vierten Inszenierung für die Verdener Domfestspiele hat Regisseur Hans König einmal mehr den Spagat zwischen Unterhaltung und anspruchsvollem Theater im Blick. Das Freilichtspiel „Die rebellische Hexe“, für das König auch das Buch geschrieben hat, fällt dennoch tief greifender aus als seine vorausgegangenen Produktionen.

15-Jährige wird von ihrem Vater als Hexe angezeigt

Die Handlung: Januar 1616. Die 15-jährige Margarethe Sievers wird von ihrem Vater, einem Steinhauer aus der Süderstadt Verdens, beim Domkapitel als Hexe angezeigt. Unter Folter gesteht sie, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, bezichtigt aber weitere Frauen der Hexerei. Das Domkapitel engagiert daraufhin den Inquisitor Jan van Mödder, der als freischaffender Hexenjäger durch die Lande zieht und unter dessen Folter in Folge drei der von Margarethe bezichtigten Frauen sterben.

Das überforderte Domkapitel entlässt Margarethe vorübergehend aus der Haft und legt sie im Hause des Vaters an die Fußfessel. Margarethe nutzt nun den Ruf als Hexe und empfängt gegen Geld und Naturalien Kranke und Gebrechliche, um diese mit Hexenkraft zu heilen, was sich als ein lukratives Geschäft erweist. Doch schon bald gerät Margarethe erneut in die Hände von Mödder und in ihrer Not bezichtigt Margarethe eine weitere Frau als Hexe: Anna Frese, Witwe eines Domherren, die einer einflussreichen Verdener Familie entstammt. Jetzt ist der Skandal perfekt. Doch wird das Domkapitel es wagen, Anna Frese ebenfalls an den Inquisitor auszuliefern? Der Fall zieht Kreise und erschüttert die Stadt schließlich in ihren Grundfesten . . .

Zentrale Fragen des Lebens

Es ist der Stoff selbst, der sich gegen eine oberflächliche Annäherung richtet. Denn „Die rebellische Hexe“ ist nicht einfach ein in historischer Epoche angelegtes Stück, das mit dutzenden Darstellern in turbulenten Szenen von in weiten Teilen geschichtlich verbrieften Ereignissen wie Hexenverfolgung, Denunziantentum, Intrigen oder Teufelsaustreibung im Verden anno 1616 berichtet, sondern das sich in dem aufwendig gestalteten Bühnenbild vor der Kulisse des Verdener Doms auch mit zentralen Fragen des Lebens auseinandersetzen wird. Beispielsweise mit der Interpretation, was Gut und was Böse ist, was Machtgier anrichtet oder in welcher Beziehung die Geschlechter zueinanderstehen.

Regisseur hat „Hexenhammer“ gelesen

„Ich habe mich sehr mit jener Epoche auseinandergesetzt und im Rahmen der Recherche sogar den ,Hexenhammer’ von Heinrich Kramer gelesen. Es ist ein scheußliches Buch, mit dem der Theologe und Inquisitor die Hexenverfolgung legitimiert und gerechtfertigt hat“, sagt König, der den Stoff in insgesamt 30 Szenen gepackt hat. Als anspruchsvoll bezeichnet er die Aufgabe, die richtige emotionale Ebene zu finden und einem Schwarzweiß-Denken entgegenzusteuern. Auch eine Balance zwischen den verschiedenen Stadien der Ereignisse zu finden, sei eine Herausforderung.

Lebhafte Inszenierung

Eindruck beim Publikum dürften auch die vielen Massenszenen machen, da sich der Regisseur auf der Freilichtbühne am Dom eine lebhafte Inszenierung wünscht, die neben der Hauptgeschichte von kleinen Nebenereignissen flankiert wird. „Es sollen immer neue Bilder entstehen. Vieles davon ist nicht im Rollenbuch nachzulesen, sondern wird in den kommenden Monaten erst während der Proben entstehen.“

Gesang aus sieben Metern Höhe als Wunsch

Für die aktuelle Spielzeit hat König auch die Tanz- und Gesangseinlagen zur Chefsache erklärt und bereits zwei Lieder für Chorgesang komponiert. Auch Christiane Artisi, die musikalische Allzweckwaffe vergangener Inszenierungen, ist erneut dabei und wird – voraussichtlich aus schwindelerregender Bühnenhöhe – ein oder auch mehrere Soli singen. „Ihren Auftritt stelle ich mir in sieben Meter Höhe vor“, sagt König, der allerdings noch skeptisch ist, ob sich seine Vorstellung in der Realität überhaupt umsetzen lässt. König schmunzelnd: „Ich weiß nämlich leider nicht, ob Christiane Artisi überhaupt schwindelfrei ist. Das gilt es erst noch zu testen.“

Humor, Erotik und Grusel

Ansonsten wird der Bremer Regisseur mit seinen gewohnten Zutaten arbeiten: bildgewaltige Szenen, wortgewaltige Schlagabtäusche, die bisweilen Gruselgefühle und Gänsehaut erzeugen, fein dosierter Humor, eine Prise Erotik, Pferde und ein Ensemble, das aus dutzenden Laiendarstellern und nur einer Handvoll professioneller und semi-professioneller Schauspieler besteht. Kein Problem für König: „Viele Laien sind unglaublich talentiert.“ Das muss viel Eindruck auf ihn gemacht haben, da er diesmal – noch auffälliger als in den vorausgegangenen Produktionen – auf deren natürliche Talente setzt.

Ergebnisoffenheit und Experimentierfreude

„Ich glaube nicht, dass man den Unterschied zwischen Profis und Laien später bei den Aufführungen merken wird.“ Die Schauspielerei lebe nun einmal gleichermaßen von der Ergebnisoffenheit und der Experimentierfreude. Beispielhaft für die involvierten Laien und Semiprofis nennt er die Namen von Inga Müller und Joelle Effenberger, die sich die Rolle der 15-jährigen Protagonistin Margarethe Sievers teilen, von Nils Thönnessen, der den Humanisten Friedrich Spee spielt, von Jörg Outzen in der Rolle des Jan von Mödder und von Bernd Maas und Hiltrud Stampa-Wrigge, die Hans und Gerda Sievers, Margarethes Eltern, verkörpern. Er als Regisseur gebe ihnen und allen anderen die Impulse, hüte sich aber davor, sie in eine jeweilige Rolle zu zwingen.

„Ich erkenne das Potenzial und versuche, es herauszuarbeiten und zeige dabei verschiedene Möglichkeiten einer Umsetzung auf.“ Was letztlich dabei herauskomme, wisse aber auch er oft zunächst nicht.

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