Überraschend viele Privat-Fahrten

Verdens E-Carsharing ist anders gestartet als erwartet: mit überraschend vielen Privat-Fahrten. Dabei liegt die Hauptnutzungszeit zwischen 10 und 16 Uhr.
Verden – Aus dem Ruhrgebiet sei er gebürtig, berichtet der Neu-Verdener. Einsteigen ins fremde Auto, das einem nicht gehört, das sei ihm nicht unbekannt. Er kenne Carsharing. Und von daher habe er sich entschlossen, nein, auch an seinem etwas ländlicheren neuen Heimatort benötige er keine eigenen vier Räder. „Ich fahre Bus und Bahn und nutze darüber hinaus den kostengünstigen Stromer.“ Kein Einzelfall offenbar. Das E-Carsharing mit sieben Fahrzeugen an fünf Standorten in Verden ist anders angelaufen als erwartet. Das belegt eine erste Auswertung von Allercar, einem Ableger der Verden-Walsroder-Eisenbahn (VWE). „Wir hatten einen überproportional hohen Anteil an Firmen- oder Behörden-Fahrten erwartet, aber erstaunlicherweise liegt die private Fahrt bei der Anzahl schon fast gleichauf, bei den Fahrtkilometern sogar oberhalb des Durchschnitts“, sagt Geschäftsführer Henning Rohde. Luft nach oben bestehe selbstverständlich trotzdem noch jede Menge.
Ausgewertet wurden bisher die ersten gut fünf Monate des Projektes von Ende April bis Ende September vergangenen Jahres mit 582 gebuchten Fahrten. Demzufolge legten die sieben Autos insgesamt hochgerechnet 58 000 Kilometer zurück, was einem Mittel von 8 500 Kilometern pro Jahr entspreche. Im Schnitt werde jeder Wagen zu 0,7 Fahrten pro Tag bewegt. Erste Erkenntnisse liegen darüber hinaus für das Verhalten der frischgebackenen Carsharer vor. Demzufolge habe sich als Hauptnutzungszeit werktags der Abschnitt zwischen 10 und 16 Uhr herauskristallisiert. An den Sonnabenden und Sonntagen wurden die Autos noch unterdurchschnittlich genutzt, sie kamen zu 0,5 Fahrten pro Tag, waren sie aber im Einsatz, dann befanden sie sich häufig ganztägig auf Tour. Hauptsächlich kurvten die Stromer im Verdener Nahbereich umher, womit sie ihre ganze Stärke ausspielten. „Jeder Bremsvorgang wird für die Rückgewinnung von Strom genutzt. Das macht sich bei der Reichweite positiv bemerkbar“, so Rohde. Rekuperation heißt dieses Verfahren neudeutsch.
Höchste Buchungszahlen bei den Fahrzeugen am Kreishaus
Erste Zahlen förderten die Betreiber auch für die Nutzung jedes einzelnen der fünf Standorte in der Stadt zu Tage. Demzufolge erfreuten sich die drei Wagen am Waterlooplatz neben dem Kreishaus der höchsten Buchungszahlen. 33000 Kilometer kamen rechnerisch zusammen. Eine nicht ganz überraschende Entwicklung. Die Kreisverwaltung hatte eigens drei betagte ihrer insgesamt acht Dienstwagen abgegeben und die Beschäftigten besonders auf die Möglichkeit hingewiesen, die Stromer zu nutzen. Ähnlich reagierten auch die VWE und die Stadt Verden, dies mit jeweils einem Fahrzeug, was ebenfalls zusätzliche Buchungen auslöste.
Deutlich am Ende der Liste steht indes der Standort Mainstraße. Nur 33 Fahrten wurden notiert. Für Rohde keine Überraschung. „Der Wagen steht in einem Wohngebiet, viele Menschen verfügen über ein eigenes Auto, der Stadtbus tourt im Halb-Stunden-Takt durch die Straßen – da hat es ein neues Angebot natürlich schwer.“ Zudem müsse der Wagen fußläufig gut erreichbar sein, sonst werde er von Anwohnern nicht als Mobilitäts-Alternative wahrgenommen.
Angebot ist bislang noch nicht rentabel
Trotz des Zuspruchs in den ersten Monaten – rentabel arbeitet die neue Stromer-Alternative an der Aller nicht. „Bei 80 000 Kilometern kann vielleicht eine schwarze Null geschrieben werden“, so Rohde. Ziel seien 20 000 Kilometer pro Standort. Ein noch langer Weg. Um überhaupt starten zu können, hatte sich die kreisweite Klimaagentur Klever um Förderungen bemüht. Herausgebildet wurde ein Projekt namens, Achtung: Unwort!, Unternehmensübergreifende Mobilitätscluster im Landkreis Verden und der Metropolregion Nordwest (UMoV), das von der Metropolregion Bremen/Oldenburg für drei Jahre mit 190 000 Euro gespeist wird.
Unter anderem soll ein Konzept für ein in jeder mittleren Stadt einsetzbares E-Carsharing entwickelt werden. Erste Interessenten haben sich bereits gemeldet, sagt Rohde. Die Verdener Initiative habe sich schon in der Anfangsphase im ganzen Norden der Republik herumgesprochen. „Bis nach Schleswig-Holstein reicht die Aufmerksamkeit.“
Inbetriebnahme „eine der großen Klippen“
Benannt werden indes nicht nur die Stärken des Projektes, benannt werden auch die Schwächen. „Eine der großen Klippen ist schon die erste Berührung mit dem E-Auto. Der Account muss freigeschaltet werden, das Fahrzeug muss gebucht werden, das Ladekabel muss vor der Fahrt abgezogen und nach der Fahrt eingesteckt werden. Das sind alles Vorgänge, die von der täglichen Routine des Auto-Gebrauchs abweichen. Da benötigen wir einfachere und gleichzeitig sichere Lösungen.“
Der operative Partner des Verdener E-Carsharings unterhält seinen Hauptsitz in Bremen. Cambio ist einer der großen Carsharing-Anbieter der Republik. Über die Cambio-App können die Fahrzeuge auch an der Aller-Mündung gebucht werden. Ein Geschäft mit hohen Wachstumsraten. Allein im vergangenen Jahr nahm der Umsatz nach Firmenangaben um 22 Prozent auf 52 Millionen Euro zu. Deutschlandweit ist Cambio in 36 Städten vertreten. Verden ist der einzige Standort, an dem ausschließlich E-Autos am Start sind.