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Feierstunde der Mediation: 20 Jahre Streitschlichtung an der Gudewill-Schule

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Von: Christian Walter

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Aktuell und ehemals am Projekt Streitschlichter beteiligte Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Gudewill-Schule feierten gemeinsam den Projektgeburtstag.
Aktuell und ehemals am Projekt Streitschlichter beteiligte Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Gudewill-Schule feierten gemeinsam den Projektgeburtstag. © Christian Walter

In der Thedinghauser Gudewill-Oberschule wurde mit einer Feierstunde das 20-jährige Bestehen des Projekts Streitschlichtung begangen.

Marcus Dell ist gewissermaßen taub und blind. Wenn in der Gudewill-Schule Schülerinnen und Schüler den Unterricht verlassen, um als Streitschlichter zu vermitteln, weiß der Schulleiter weder, worum es geht, noch um wen. Dell bekommt auch nicht mit, wie oft es an seiner Schule zu Streitschlichtungen kommt und ein Feedback aus der Schülerschaft, wie wertvoll sie dieses Angebot findet, erreicht ihn auch nicht. „Es ist bei mir ein reines Feeling, ob es läuft oder nicht“, sagt Marcus Dell, der seit 2008 Leiter der Gudewill-Schule ist, im Gespräch mit dieser Zeitung. Dennoch sagt er auch: „Ich bin von dem Projekt überzeugt, solange es das System nach vorne bringt.“ Und das scheint so zu sein, feierte die Schule doch jüngst bereits den 20. Geburtstag des Projekts Streitschlichtung, dessen Fachbegriff „Mediation“ lautet.

Zum Jubiläum hatten sich aktuelle und ehemalige Gudewill-Schüler und -Lehrer, das Gründungsteam der Thedinghauser Schul-Streitschlichter, Vertreter aus Politik und Verwaltung, von Schiedsamt, Polizei und viele mehr in der Aula eingefunden, um dieses besondere Jubiläum zu feiern.

Vera Großeholz, ehemalige Lehrerin und Mediatorin unter anderem in Soltau und später Beauftragte für Gewaltprävention bei der Niedersächsischen Landesschulbehörde, hat das Projekt Streitschlichtung vor 20 Jahren nach Thedinghausen gebracht. Sie war gemeinsam mit anderen Mediatoren an verschiedenen Schulen für die Streitschlichter-Ausbildung verantwortlich – so auch in Thedinghausen.

Vera Großeholz brachte die Streitschlichtung nach Thedinghausen.
Vera Großeholz brachte die Streitschlichtung nach Thedinghausen. © Christian Walter

Großeholz hielt eine emotionale, sehr persönliche Rede bei der Feierstunde. „Diese Jahre, in denen ich Streitschlichter, oder Konfliktlotsen, ausgebildet habe, gehören zu den glücklichsten in meinem Leben“, so Großeholz. Vor 20 Jahren hatte sie Maren Lindenberg kennengelernt, die damals wie heute Lehrerin an der Gudewill-Schule war und ist und damals – neben Mitinitiator Walter Schlöffel-Pitschke und anderen Lehrkräften – sofort Feuer und Flamme für das Projekt war. „Wir haben uns gesucht und gefunden“, blickt Lindenberg zurück.

„Mit der Streitschlichtung wird an dieser Schule in ganz besonderer Art und Weise auf das Leben vorbereitet“, betonte Vera Großeholz vor dem Publikum in der gut besuchten Aula. Konflikte und Streits gebe es schließlich nicht nur in der Schule, sondern auch im Privatleben, in der Familie, später in Ehe und Partnerschaft, am Arbeitsplatz oder unter Freunden. An Maren Lindenberg und ihre Kolleginnen und Kollegen richtete sie die Worte: „Ihr habt die Saat aufgehen lassen. Und ich bin sehr glücklich, dass ich das hier heute erleben darf.“

Maren Lindenberg, Mediatorin der ersten Stunde, und Schulleiter Marcus Dell.
Maren Lindenberg, Mediatorin der ersten Stunde, und Schulleiter Marcus Dell. © Christian Walter

Im Gespräch gab sie nach der Feierstunde einen Einblick in den Ablauf von Streitschlichter-Ausbildungen: „Wesentlicher Bestandteil ist ein Rollenspiel – zwei Streit-Parteien, ein Vermittler, ein Beobachter“, so Großeholz. Damit das Ganze authentisch geübt werden kann, sei es notwendig, dass echte Emotionen im Spiel sind – und zwar starke negative. „Die Teilnehmer werden wirklich zu Zoff getrieben. Angst, Wut, Zorn, Misstrauen werden bewusst provoziert. Als Ausbilder sind wir dafür verantwortlich, die Beteiligten danach psychisch da wieder rauszuholen“, beschreibt Großeholz diese emotionale Ausnahmesituation – die echt ist, obwohl es sich nur um ein Training für den Ernstfall handelt. Nur so könne später adäquat bei wirklichen Streitereien und Konflikten vermittelt werden. Schulleiter Dell war bei solchen Übungen dabei: „Als ich das das erste Mal erlebt habe, war ich perplex“, beschreibt er seinen Eindruck von diesen Extremsituationen.

Viel Applaus gab es in der gut gefüllten Aula anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Projekts Streitschlichtung.
Viel Applaus gab es in der gut gefüllten Aula anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Projekts Streitschlichtung. © Christian Walter

All das lernten an der Gudewill-Schule seit 2003 zunächst ausgewählte Lehrkräfte, die sich diese Belastung zutrauten. Später gaben sie ihr Wissen selbst weiter – an die Schülerinnen und Schüler. Im 8. Jahrgang werden die Interessierten im Rahmen einer AG ausgebildet und geprüft, in der 9. und 10. Klasse nehmen insgesamt 16 bis 20 Schüler die Rolle der Streitschlichter wahr – alles streng vertraulich. Deshalb weiß Schulleiter Marcus Dell auch nichts weiter davon. „Vertrauen ist ein ganz großer Teil des Schlichtungskonzepts. Die Schülerinnen und Schüler werden ausgebildet, begleitet und betreut, aber sonst arbeiten sie völlig autark.“ Es sei denn, es wird wirklich ernst: „Eine blutige Nase landet immer bei mir“, sagt Dell etwa über heftige körperliche Auseinandersetzungen oder auch Themen wie Mobbing – „alles, was eine starke Beeinträchtigung des schulischen Alltags ist“. Ansonsten regeln die Schülerinnen und Schüler vieles unter sich. Ganz professionell und fachlich gut ausgebildet.

Von Christian Walter

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