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Nach 63 Jahren hinterm Tresen: Heino Bergstedt geht in Rente - er hat es sich verdient

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Von: Petra Holthusen

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Zum letzten Mal empfangen Heino Bergstedt und seine Frau Monika (2.v.re.) am Samstag die Kundschaft in ihrem traditionsreichen Otterstedter Kaufhaus. Die langjährigen Bergstedt-Mitarbeiterinnen (v.li.) Hildegard Wiese, Erika Fischer und Petra Köster (re.) sollen nach Sanierung, Umbau und Neueröffnung des Dorfladens in Regie der von Einwohnern gegründeten Unternehmergesellschaft weiterbeschäftigt werden.
Zum letzten Mal empfangen Heino Bergstedt und seine Frau Monika (2.v.re.) am Samstag die Kundschaft in ihrem traditionsreichen Otterstedter Kaufhaus. Die langjährigen Bergstedt-Mitarbeiterinnen (v.li.) Hildegard Wiese, Erika Fischer und Petra Köster (re.) sollen nach Sanierung, Umbau und Neueröffnung des Dorfladens in Regie der von Einwohnern gegründeten Unternehmergesellschaft weiterbeschäftigt werden. © Plath

Otterstedt – Länger als Heino Bergstedt hat wohl niemand in Deutschland ein Geschäft geführt: Vor 63 Jahren übernahm er von Vater Bernhard das Kaufhaus in der Otterstedter Dorfmitte, das Großvater Gustav 1884 gegründet hatte. Von Edamer am Stück bis zum Schnürsenkel gibt’s nichts, was es hier nicht gibt.

Bis heute steht der antike Schreibtisch, an dem Heino Bergstedt Bestellungen, Rechnungen und Post erledigt, hinten mit im Laden: „Ein Büro ohne Bildschirm“, sagt der 85-Jährige lächelnd, während sich eine Kundin vorbeizwängt Richtung Wäsche-Regal. „Das ist gute Unterwäsche, sehr beliebt“, nickt Heino Bergstedt Richtung Restposten. Im 136 Jahre alten Gemischtwarenladen läuft der Räumungsverkauf – Samstag endet die Ära des Familienunternehmens: Heino Bergstedt und seine Frau Monika (79) setzen sich zur Ruhe.

„Es geht mir nicht mehr so gut, da muss man nüchtern sagen: Es muss jetzt sein“, erklärt der 85-jährige Kaufmann. Der Abschied von seinem Geschäft fällt trotzdem schwer. Auch Monika Bergstedt, die seit 50 Jahren an der Seite ihres Mannes im Laden steht. Gleich dahinter ist die gemütliche Küche, in der sie jahrzehntelang mittags gekocht hat: „Zwischendurch habe ich immer wieder auf kleine Flamme gedreht, um Kunden zu bedienen.“

Haus an Bürgergesellschaft verkauft - bei lebenslangem Wohnrecht

Demnächst zieht ihre Küche die Treppe hoch, denn ihre Räume in der oberen Etage des Wohn- und Geschäftshauses behalten Bergstedts. Lebenslanges Wohnrecht und den Garten haben sie sich ausbedungen, als sie ihr Haus an die Bürgergesellschaft verkauften, die den Dorfladen nach Sanierung und Umbau in Eigenregie weiterbetreiben will. Ihr Zuhause zu behalten, „das war mir ganz wichtig“, sagt Monika Bergstedt. Dass das Geschäft vom und fürs Dorf weitergeführt wird, freut das Ehepaar, das selbst keine Nachfolger hat. „Das ist sehr in unserem Sinne“, betont Monika Bergstedt und ist schon „sehr gespannt auf das kleine Café, das mit in den Laden kommen soll“.

Heino Bergstedts Vater Bernhard übernahm das Kaufhaus nach dem Ersten Weltkrieg von seinem Vater Gustav. „Das war die Zeit der Inflation, und mit diesen riesig langen Zahlen wollte der Opa nicht mehr so gern arbeiten“, erinnert sich der 85-Jährige. Eigentlich hätte sein älterer Bruder später das Geschäft in dritter Generation weiterführen sollen, aber der wurde Physiker. Also lernte der junge Heino bei Heinrich Böger in Loccum Kaufmann und kehrte in den 50er-Jahren ins Elternhaus zurück: „Früher war es selbstverständlich, dass die Kinder weitermachen, was die Eltern gemacht haben.“ 1957 übernahm er das Geschäft. Mit den Jahrzehnten wurde es schwieriger für Dorfläden wie den der Bergstedts: Mit zunehmender Motorisierung auf dem Land „fuhren die Leute zum Einkaufen auch mal woanders hin“.

Monika Bergstedt kommt 1970 ins Otterstedter Kaufhaus hinzu

Als Monika Bergstedt, die bis zu ihrer Hochzeit als Krankenschwester in Bremen arbeitete, 1970 mit ins Haus kam, „gab es noch sieben Geschäfte allein in Otterstedt“, erinnert sie sich. Das Kaufhaus Bergstedt überlebte als einziges. „Wir haben immer wieder schwierige Zeiten zusammen durchgestanden“, sinniert Heino Bergstedt. Ans Aufgeben habe er aber „nie gedacht“. Allein wegen seiner Eltern: „Sie konnten hier in Haus und Betrieb alt werden.“ Wie sie den Dorfladen über Wasser hielten? „Wir wollten einfach“, sagt der 85-Jährige, der jahrzehntelang dreimal die Woche mit seinem alten VW-Bus zum Großhandel nach Bremen fuhr, um für sein Geschäft einzukaufen. Ständig wurde das Sortiment angepasst. „Zu uns kommen auch junge Familien, nicht nur alte Omas“, lächelt Heino Bergstedt. Gute Kunden seien auch die Waldorf-Leute und Studenten, ergänzt seine Frau. Die nämlich legten Wert auf Obst, Kartoffeln und Eier direkt aus dem Dorf. Bei aller Erfüllung: Ein Zuckerschlecken sei das Geschäft nicht gewesen, sagt Monika Bergstedt, eher richtig viel Arbeit sechs Tage die Woche – zu schaffen nur „mit Fleiß und Genügsamkeit“ ...

Und so langsam macht sich Vorfreude breit, „mal mehr als nur einen Tag ohne Verpflichtungen genießen zu können“. Oder sich samstags nochmal umdrehen zu können, statt um halb sechs aufzustehen und die vorbestellten Brötchen einzutüten.

Abschiedsfeier für das Otterstedter Kaufhaus Bergstedt

Nach 136 Jahren als Familienunternehmen schließt das Otterstedter Kaufhaus Bergstedt am Wochenende seine Türen. Am Samstag, 22. August, kann von 7 bis 10 Uhr zum letzten Mal bei Bergstedt eingekauft werden – von 10 bis 13 Uhr wird im Anschluss Abschied gefeiert. Alle, die Heino und Monika Bergstedt persönlich in den Ruhestand verabschieden möchten, sind willkommen. Um 11 Uhr findet die offizielle Schlüsselübergabe an die von engagierten Einwohnern gegründete, genossenschaftlich ausgerichtete Unternehmergesellschaft statt, die nach Umbau und Sanierung den neuen Dorfladen Bergstedt in Eigenregie weiterbetreibt.

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