Netzwerk zur Berufsorientierung an Ottersberger Wümmeschule

Ottersberg – „Viele kommen nach den zwei Wochen zurück in die Schule und wissen jetzt, was sie wollen“, beschreibt Lars Hübner, Wirtschaftslehrer und Koordinator für Berufsorientierung an der Wümmeschule Ottersberg, den Effekt des Betriebspraktikums in Klasse 10.
Auch diesen Herbst hatte die Oberschule rund 100 junge Menschen aus den aktuellen Abschlussklassen hinaus in die Betriebe geschickt, um im „Berufsalltag live“ eigene Fähigkeiten und Neigungen auszutesten. Die meisten kehrten laut Schulleiter Dominik Lerdon mit guten Erfahrungen zurück, viele mit einer Extraportion Motivation für die kommenden Abschlussprüfungen („Sie haben plötzlich ein greifbares Ziel vor Augen“) – und einige sogar mit einem Ausbildungsvertrag in der Tasche.
So wie Emely Unglaube: Die 16-Jährige machte ihr Praktikum bei Dodenhof im Modeshop d-strict und fühlt sich danach bestärkt in ihrem Berufswunsch, Kauffrau im Einzelhandel zu werden. „Ich habe Kunden beraten, Angebote ausgezeichnet und immer wieder aufgeräumt – es soll ja ordentlich aussehen im Laden“, erzählt sie begeistert. Sie mag den Laden, findet das Team nett – und hat selber einen guten Eindruck hinterlassen: „Ich habe direkt einen Ausbildungsplatz ab Sommer 2023 zugesagt bekommen.“
Für Henning Grobler (16) steht nach seinem Praktikum in einem Bremer Betrieb fest: „Ich werde Fliesenleger.“ Nach seinem vorherigen Praktikum in einer Tischlerei („Ich will auf jeden Fall was Handwerkliches machen“) hatte er jetzt den Vergleich – und der fiel pro Fliesenleger aus, nachdem er mit seinem Praktikumschef selber Kacheln in Badezimmern und Schwimmbecken verlegt hat: „Das war richtig cool.“ Angst vor körperlicher Anstrengung hat der 16-Jährige nicht: „Das kann ich ab“, sagt er.
Lea Intemann (15) hat im Verdener Krankenhaus bei den Pflegefachkräften mitgearbeitet. Anstrengend sei das gewesen – und verantwortungsvoll. „Aber es hat mir gut gefallen“, sagt Lea. Sie will zunächst weiter bis zum Abitur zur Schule gehen und möglicherweise „Gesundheit und Soziales“ studieren.
Havin Kadah (15) hat während ihres Praktikums bei einem Bremer Straßenbauingenieur das komplizierte Wegenetz rund um ein Krankenhaus gezeichnet. Straßen planen und realisieren – das will sie später beruflich machen. Mit ihrem erweiterten Realschulabschluss wechselt Havin nächsten Sommer ans Sottrumer Gymnasium. Dort will sie ihr Abitur machen, um dann das Ingenieurstudium aufzunehmen – die Vorfreude ist ihr schon anzumerken.
Nicht alle Zehntklässler seien bereits so zielgerichtet unterwegs, räumt Lehrer Lars Hübner ein. Und längst nicht für alle sei der Übergang von der Schule ins Berufsleben einfach. Deshalb begleitet die Wümmeschule ihre Jugendlichen intensiv mithilfe eines engmaschigen Netzwerks. Klassen- und Fachlehrer sind darin ebenso eingebunden wie betriebliche Ausbilder und Berufsschullehrer sowie ein Trio vom Finde-deinen-Beruf-Team des Landkreises, dem Experten der Agentur für Arbeit und des Jobcenters angehören. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern gleichen die Fachleute immer wieder Wünsche und Leistungen ab, bieten persönliche Begleitung und Beratung und eröffnen Perspektiven. Sowohl Berufsberaterin Alexandra Boric als auch Jan-Niclas Behrend vom Finde-deinen-Beruf-Team sind an der Wümmeschule regelmäßig mit Beratungsstunden präsent, zu denen die Schüler klassenweise oder ganz persönlich eingeladen werden.
„Wir nehmen uns die Zeit, die jungen Leute an die Hand zu nehmen“, sagt Behrend. Manchmal sei Begleitung bis in die Ausbildungszeit hinein erforderlich. Insgesamt nehme der Unterstützungsbedarf zu, stellt Behrend fest. In der Corona-Zeit, als die schulischen Strukturen weggebrochen seien, „haben wir viele verloren“. Vor allem die, die im Elternhaus wenig Unterstützung erhielten oder die mit psychischen Erkrankungen oder Mobilitätsproblemen zu kämpfen hätten.
Im Netzwerk von Schule und Finde-deinen-Beruf-Team „sorgen wir dafür, dass keiner durchs Raster fällt und die Schule verlässt, ohne zu wissen, was er oder sie machen will“, unterstreicht Hübner. Die Abdeckung liege „bei fast 100 Prozent“. Somit „tun wir als Schule auch alles, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken“.
Die praktische Berufsorientierung an der Wümmeschule beginnt bereits mit ersten Betriebs- und Praxistagen in Klasse 8, gefolgt von den jeweils zweiwöchigen Betriebspraktika in Klasse 9 und 10 – intensiv vor- und nachbereitet in der Schule und begleitet von den Klassenlehrern.
Früher sei es schwer gewesen, für alle einen Praktikumsplatz zu finden, weiß Hübner aus 20 Jahren Erfahrung. Heute suchten die Firmen händeringend Azubis und kämen mit Praktikumsangeboten von sich aus auf die Schule zu: „Es ist deutlich erkennbar, dass wir da draußen eine Welt mit Kräftemangel haben.“ Was für heutige Jugendliche im Umkehrschluss „goldene Zeiten“ bedeute: „Nie zuvor war eine Schülergeneration so gefragt und hatte so tolle Chancen, etwas daraus zu machen.“