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Damit Strahlung in Ottersberg nicht krank macht

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Von: Petra Holthusen

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Mobilfunkmast am Fährwisch in Ottersberg
Gegen Antennenwildwuchs und zunehmende Gesundheitsgefahren durch Strahlung fordert die Bürgerinitiative „Aktion Guter Draht Ottersberg“ von Rat und Verwaltung ein Vorsorgekonzept für die Entwicklung des Mobilfunks in der Gemeinde. Das Bild zeigt den Mobilfunkmast am Fährwisch in Ottersberg. © privat

Ottersberg - Die fünfte Mobilfunk-Generation, kurz 5G, „ist ein Versuch an der Bevölkerung“, sagt Elisabeth Jeß-Knecht. Wissenschaftler warnen schon seit Jahrzehnten vor gesundheitlichen Gefahren künstlicher elektromagnetischer Felder. Mit fortschreitender Digitalisierung verdichtet sich das Netz von Funkmasten und Sendeanlagen jedoch zusehends; die Intensität der Strahlung, die Menschen krank machen kann, nimmt zu.

Für den neuesten Mobilfunkstandard 5G seien Fruchtbarkeits- und Krebsrisiken bereits nachgewiesen, das habe im Januar der Technikfolgenausschuss des Europaparlaments bei seiner Analayse der Studienlage festgestellt und einen Ausbaustopp gefordert, weiß Jeß-Knecht. Gesundheitsschutz und moderne Kommunikationstechnik würden sich jedoch nicht ausschließen, betont die Sprecherin der Bürgerinitiative „Aktion Guter Draht Ottersberg“. Aber dafür brauche es ein Konzept: Gegen Antennenwildwuchs und zunehmende Gesundheitsgefahren fordert die Initiative von Rat und Verwaltung ein Vorsorgekonzept für die Entwicklung des Mobilfunks in der Gemeinde.

„Eine vorsorgliche Minimierung der Strahlenbelastung ist technisch möglich, ohne auf eine gute Erreichbarkeit durch Mobilfunk verzichten zu müssen“, erklärt Jeß-Knecht. Möglichkeiten der Gemeinde, darauf einzuwirken, seien höchstrichterlich bestätigt. Um ihrer Forderung nach kommunalem Handeln Nachdruck zu verleihen, will die „Aktion Guter Draht“ am kommenden Mittwoch im Ottersberger Rathaus eine Liste mit rund 250 Unterschriften an Bürgermeister Tim Willy Weber übergeben. Politischen Druck machen will die Initiative auf den Gemeinderat. Der hatte im Mai vorigen Jahres auf Antrag der SPD-Fraktion eine Entscheidung über ein Mobilfunk-Vorsorgekonzept vertagt. Danach verschwand das Thema in der Schublade – obwohl sich der zuständige Fachausschuss des Rates zuvor für eine Mobilfunkvorsorgepolitik auf Gemeindeebene ausgesprochen hatte.

Beantragt hatten das im November 2020 die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Freier Grüner Bürgerliste Ottersberg (FGBO). Anlass war damals der Bau eines neuen Mobilfunkturms auf dem Betriebsgelände der EWE Netz an der Landstraße zwischen Ottersberg und Otterstedt. Die Gemeinde war nicht mal über die Errichtung informiert worden, das Genehmigungsverfahren hatten EWE und Bundesnetzagentur untereinander abgewickelt – an der kommunalen Planungshoheit vorbei. Bei Vorliegen eines Mobilfunk-Vorsorgekonzepts wäre das nicht passiert, dann hätte die Gemeinde einbezogen werden müssen, argumentieren Grüne und FGBO.

Für künftige Vorhaben der Mobilfunkindustrie im Flecken Ottersberg wollen die beiden grünen Ratsfraktionen und die Bürgerinitiative „Guter Draht“ die gemeindliche Einflussnahme auf Netzplanung, Standortauswahl und Reduzierung der Immissionen sicherstellen. Sie verweisen darauf, dass negative Auswirkungen auf menschliche und tierische Organismen durch den mit gepulster Mikrowellenstrahlung arbeitenden Mobilfunk wissenschaftlich belegt seien und Teile der Bevölkerung bereits unter gesundheitlichen Folgen litten. Weil für den Ausbau von 5G eine flächendeckende Installation von Sendeanlagen in geringen Abständen erforderlich sei, würden gesundheitliche Risiken weiter zunehmen. Rat und Verwaltung seien dem Schutz der Lebensgrundlagen und der Gesundheitsfürsorge verpflichtet und deshalb aufgefordert, ein Mobilfunkvorsorge-Konzept zu entwickeln und darüber Einfluss auf Anzahl und Standorte von Sendeanlagen zu nehmen, im Umkehrschluss also auch funkarme Bereiche zu sichern.

Zumal Ottersberg mit den gemeindeeigenen Betrieben Elektrizitätswerk und Breitband-Gesellschaft ein leistungsfähiges Glasfasernetz ausgebaut habe und weiter ausbaue, „sodass mittelfristig dem ganz überwiegenden Teil der Haushalte und Unternehmen ein breitbandiges und strahlungsarmes Datennetz zur Verfügung stehen wird“, unterstreicht Grünen-Fraktionsvorsitzende Angela Hennings in dem Antrag von 2020. Bei Bedarf könne das Glasfasernetz „durch eine gute Mobilfunkversorgung mit hohen Datenraten auf stabilen Netzen bei gleichzeitiger Strahlungsminimierung punktuell ergänzt werden“.

Mit Blick auf den Klima- und Ressourcenschutz sollten Betreiber von Funknetzen zudem aufgefordert werden, „lediglich ein gemeinsames Netz zu nutzen“, ergänzt Elisabeth Jeß-Knecht. Dieses führe ,zu deutlich geringerer Strahlenbelastung und wesentlich niedrigerem Energieverbrauch“.

Den politischen Willen vorausgesetzt, könnte Ottersberg nach Überzeugung von Jeß-Knecht auch mithilfe seiner zukunftsfähigen Glasfaser-Kabelinfrastruktur ein „Leuchtturmprojekt der Mobilfunkvorsorge“ werden und eine Vorreiterrolle in der EU-geförderten Gesundregion Wümme-Wieste-Niederung übernehmen. Leider seien von der Gesundregion bislang keine Fördergelder für die Beauftragung eines Gutachters zur Kartierung von bestehenden Netzen und Versorgungszielen in Aussicht gestellt worden. Die gesetzlichen Grenzwerte allein taugten jedoch nicht zur Gesundheitsvorsorge: „Sie sollen die Bevölkerung lediglich vor thermischen Wirkungen schützen, berücksichtigen aber keine biologischen Effekte.“ Dabei sei wissenschaftlich erwiesen, dass künstlich erzeugte elektromagnetische Felder wie beim Mobilfunk schwächend und schädigend auf den menschlichen Organismus wirken, „weil sie als Störsender in die Vorgänge der Zellen eingreifen“.

Sogenannter Elektrosmog kann krank machen; die Spannbreite möglicher Symptome reicht nach Jeß-Knechts Erfahrung von Erschöpfung und Herzrhythmusstörungen über Hyperaktivität und Kopfschmerz bis zu Schwindel und Tinnitus. Vorerkrankungen verschlechterten sich, das Risiko einer Krebserkrankung steige. Dauer und Intensität der Strahlung und die eigene Konstitution seien entscheidende Faktoren für das Ausmaß gesundheitlicher Beeinträchtigung. „Menschen entwickeln Symptome, aber können sie zunächst nicht auf Elektrosmog zurückführen“, weiß die Ottersbergerin von jahrelangen Leidensgeschichten, wie sie auch selbst eine durchlebt hat.

Es dauerte, bis Jeß-Knecht 2006 mithilfe von Fachleuten aus der Umweltmedizin und Baubiologie der Ursache ihrer extremen Schlafstörungen auf die Spur kam. Es stellte sich heraus, dass ihre Wohnung in einem Bremer Mehrparteienhaus durch die Funknetze zahlreicher Schnurlostelefone und Handys förmlich durchstrahlt war. Sie traf Vorkehrungen zur Abschirmung, „aber die Strahlenbelastung in Bremen wurde immer höher“. Deshalb zog die Klavierlehrerin vor fünf Jahren mit ihrem Mann aufs Land nach Ottersberg. Mit Sorge beobachtet sie, dass auch hier die Dichte von Sendeanlagen zunimmt. Und dass bereits Babys und Schulkinder der Strahlung von Smartphones und kabellosen Netzwerken ausgesetzt werden. Jeß-Knecht ist im Laufe der Jahre selbst zu einer Expertin für elektromagnetische Strahlung und deren Folgen geworden und leitet beim Bund für Umwelt und Naturschutz in Bremen den Arbeitskreis und die Selbsthilfegruppe Elektrosmog. Zum Schutz der Ottersberger, so findet sie, ist jetzt die Gemeinde am Zug.

Kontakt

Die Initiative ist per E-Mail an aktionguterdraht@ posteo.de erreichbar.

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