Zerstückelte Leiche – und Tranchen vom Kalbsrücken

Langwedel - Von Jens WenckEin Schulhof in Bremen. Spielende Kinder. Die eine in blauen Müllsäcken abgelegte Leiche entdecken. Eine extrem verstümmelte Frauenleiche. „Der Kopf der Toten fehlte; Brüste und Schambereich waren herausgeschnitten.
Von Hals, Armen und Beinen waren nur noch Stümpfe vorhanden. An dem, was von ihrem Hals übrig war, zeichneten sich deutlich Kratzer und Hämatome ab. Vermutlich war die Frau erwürgt worden.“ Axel Petermann berichtet im sachlichen Ton mit ruhiger Stimme von einem seiner ersten großen Fälle bei der Bremer Kriminalpolizei.
In das Blond von Petermanns Pilzkopffrisur hat sich einiges Grau gemischt, genau wie in seinen Schnauzbart. Jeans, gelber Kuschelpullover über dem Hemd. Beim ersten Anblick ist man geneigt, den Profiler der Kripo in den Typ „wuschiger Professor“ einzuordnen. Was ein Fehler wäre.
„Es dürfte dem Täter nicht leicht gefallen sein, den Kopf abzutrennen…“ Ein Blick in die Runde, für die gleich der zweite Akt der Veranstaltung am Freitagabend in Klenkes Gasthaus zu Langwedel beginnen kann. „Ich hoffe, es war nicht zu heftig. So vor dem Essen“, meint Petermann. Die Krimilesung von Axel Petermann und Petra Mattfeldt inklusive Menü im Saal von Klenkes Gasthaus ist ausverkauft.
Der unschuldig weiß leuchtende Rand aus italienischem Weißbrot um das Stück Fleisch kann nicht darüber hinweg täuschen: Das Lammfilet ist im Kern noch rot, blutig. In der Zuckerschotencremesuppe hat allerdings nicht das Blut eine schaumige Spur hinterlassen. Der oder die Täter haben Rote Beete verwendet. Das leise Knacken von Zuckerschotenstücken zwischen mahlenden Zähnen und das Klappern von Löffeln verraten, dass sich hier 75 Komplizen an die Beseitigung aller Spuren machen.
Während der Kriminologe Petermann aus seinen Büchern „Auf der Spur des Bösen“ und „Im Angesicht des Bösen“ liest, wird Petra Mattfeldt aus ihrem ersten Krimi „Sekundentod“ vortragen. Unter dem Pseudonym Caren Benedict hat sie bereits erfolgreich historische Romane veröffentlicht. In „Sekundentod“ wird eine Krimi-Bestsellerautorin vom Leben zum Tode gebracht, in dem man ihre Nase und ihre Lippen verschließt. Mit Sekundenkleber, wie der Lüneburger Kommissar Falko Cornelsen und sein Team ermitteln. Weiß Gott kein angenehmer Tod. So kurz vor dem Hauptgang.
Rosa und saftig liegen sie da, die Tranchen (Fachsprache von Küchenprofilern, der normale Bürger würde „Scheiben“ sagen) vom Kalbsrücken. Der Soßenspiegel, in dem die Küche ihre Tat zurückgelassen hat, erinnert an fast schwarzes Blut – ist wunderbar kräftig. Morcheln kommen zum Vorschein – und gehen auf hinterhältige Weise eine Komplizenschaft mit grünem Spargel ein. A la creme.
Durch die Tiefgarage zieht sich eine 20 Meter lange und so breite Blutspur, wie sie der Ermittler Petermann noch nicht gesehen hat. Eine junge Frau ist brutal ermordet worden. Während der Ermittlungen wird der Fallanalytiker auch externe Spezialisten zu Rate ziehen. Dass das Opfer (nicht nur in diesem Fall) eine Domina mit Kenntnissen von Sexualpraktiken eher ab von der Norm ist, entlockt dem krimi- und menügestärkten Publikum nicht mal ein Raunen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die Autoren bei ihrer Lesung dem Zeitplan böse hinterher hängen. Man sitzt ja so nett beisammen.
„In ihrem Mund schmeckte sie Blut.“ Petra Mattfeldt lässt das Publikum zum Dessert am Überlebenskampf einer schwangeren jungen Frau teilhaben, die von einem psychisch gestörten Täter entführt wurde. Wie andere junge Frauen übrigens auch.
Schwarz und Weiß liegen sich gegenüber, wie Gut und Böse. Drumherum spiegelt es sich in einem blassen Rot. Während die Löffel der letzten Nachzügler sich mit leisem Klötern daran machen, den Nachweis zu führen, dass Schokoküchlein in Tateinheit mit Joghurteis und Erdbeer-Rhabarberkompott aufgrund des vorgelegten Desserttellers unbedingt gemeinsam verhaftet werden müssen, versucht die entführte Kerstin mit den Folgen von Peitschenhieben klar zu kommen.
Im Anschluss an die Lesung kommt die Fragerunde zögerlich in Gang. Das Gehörte und Genossene wollen verdaut sein. Dann gibt es doch eine rege Unterhaltung, Mattfeldt und Petermann berichten von einem gemeinsamen Projekt unter dem Arbeitstitel „Ritual“. Nicht ausgeschlossen, dass das dann in einer Premiere in Langwedel vorgestellt wird. Die Autoren signieren noch einige Bücher.
„Na, wie hat’s gefallen?“, will Petermann später von seinem Gegenüber wissen. Der Schreiberling wendet den Blick vom Opfer seiner Berichterstattung kurz ab, setzt zu einem lang gezogenen „Jaaaa“ an. „Aha. Typisches Ausweichmanöver. Was war nicht so gut?“, will der Profiler wissen, seine blauen Augen blitzen kurz. Auweia. Verfressen, Krimifan, in beiden Fällen notorischer Wiederholungstäter. Ein spontanes Geständnis muss da doch völlig unprofessionell wirken…
Der Schreiberling wird sein uneingeschränktes Wohlwollen über den Abend erst etliche Stunden später schriftlich gestehen. An dieser Stelle. Am Tatort müssen sich Petermann, Mattfeldt und Wirt Axel Klenke mit einem knappen „Doch. War gut“ begnügen.