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Kirchlinteln – Zieht er noch Kreise hoch über den östlichen Ausläufern der Gemeinde Kirchlinteln? Schwebt er gelegentlich mit kräftigem Flügelschlag in seinen versteckt liegenden Horst? Das flatterhafte Verhalten des Rotmilan beeinflusst weiterhin eine der größten Privatinvestitionen aller Zeiten in der Region. Den Windpark Sehlingen. Aber der Raubvogel, der auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten steht, ist nur noch das eine. Die Fronten haben sich verhärtet. Im Ringen um das 25-Millionen-Euro-Projekt ist fast nichts mehr klar und fast nichts mehr heilig.
Nach einem Planungsstopp im vergangenen Jahr hat der Projektentwickler die Arbeit wieder aufgenommen. Windkraftgegner laufen Sturm. Zu allem Überfluss hat der Landkreis Verden das grundsätzliche Planungsrecht außer Kraft gesetzt, das regionale Raumordnungsprogramm (RROP) und die eigentliche Grundidee dieses Windparks ist ohnehin schon gestorben. Ursprünglich war ein kreisübergreifender Windpark geplant, erstmals kreisübergreifend, mit vier Anlagen drüben auf Rotenburger Seite und deren ebenfalls vier hüben auf Verdener Seite. Der Landkreis Rotenburg hat inzwischen das bei Kirchwalsede geplante Windkraft-Quartett aus seinem Raumordnungsprogramm gestrichen. Grund unter anderem: Der Rotmilan. Als wäre das Verfahren noch nicht kompliziert genug, droht dem Rotenburger RROP, das erst im Mai politischen Segen erlangte, bereits eine Klagewelle. Und vor Ort gilt der Dorffrieden als schwer gefährdet, wie großflächige Plakate belegen. Währenddessen lugen ein paar Kilometer weiter in Kreepen die ersten Betonsockel für einen nächsten neuen Windpark aus dem Boden.
Das Planungsbüro Agrowea aus Twist im Emsland renommiert mit ausschließlich Bürgerwindparks, die es entwickelt. Auch für Sehlingen ist eine solche Gesellschafterstruktur gewählt. Eine ganze Reihe Einwohner beteiligen sich daran, auch die Gemeinde Kirchlinteln übernimmt Anteile. Während Bürger längst entschieden haben, ob sie für Windkraft sind, und sich auch finanziell engagieren, oder dagegen, wäre das Verhalten anderer Zweibeiner noch zu klären, jener mit Flügeln. „Uns liegen neuerliche vogelkundliche Gutachten vor, die wir in unseren Bauantrag integrieren“, sagt Projektleiter Hermann Fehrmann auf Nachfrage. Diese Expertise komme zu dem Schluss, gegenwärtig sei kein Rotmilan festgestellt. Auch der Horst, der einem solchen Raubvogel in der Gegend um Sehlingen zugeordnet werde, sei in diesem Jahr verwaist.
Windkraftgegner laufen Sturm gegen diese Ergebnisse. „Mitglieder unserer Interessengemeinschaft haben festgestellt, dass diese Beobachtungen immer nur mit einem bis zwei Mitarbeitern durchgeführt wurden, was bedeutet, dass Waldstücke nicht flächendeckend beobachtet werden konnten“, erklärt Kurt Hoffmann-Rietzler von der IG „Lebenswertes Sehlingen-Walsede“. Ferner seien Gutachter dabei beobachtet worden, wie sie ihr Fahrzeug im Wald in unmittelbarer Nähe zu einem Rotmilanhorst geparkt und im Wald, während der Brut- und Setzzeit, mit zwei Personen ,,kartiert“ hätten. Hoffmann-Rietzler: „Ein seriöser Gutachter sollte anders vorgehen. Wurde hier so lange ,kartiert‘, bis die windkraftsensiblen Vögel den Horst verlassen haben?“
Er, Hoffmann-Rietzler, verweise auf andere Quellen, beispielsweise auf Ornitho-Einträge, die für gewerbliche Nutzer nicht einsehbar seien und die zu anderen Schlüssen kommen. Und ganz generell hege er Zweifel an der Unabhängigkeit der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises.
Projektentwickler Fehrmann bleibt derweil gelassen. Die vogelkundlichen Beobachtungen seien von einem seit 40 Jahren tätigen Büro ausgeführt worden. Das Monitoring werde man fortsetzen, und jeweils auf die Ergebnisse reagieren. Ihn überrasche das Verhalten des gefährdeten Raubvogels nicht. Der Rotmilan gelte schließlich als nicht standorttreu. „Er ernährt sich von Mäusen, er ist dort unterwegs, wo er leicht Beute findet.“ Gleichwohl seien zum Schutz der Art umfangreiche Maßnahmen ergriffen, unter anderem eine Verträglichkeitsstudie. Und im Übrigen könne die Bevölkerung Einsicht in die Unterlagen nehmen. Fehrmann: „Wir schieben ein großes Verfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz an. Dazu gehört ausdrücklich eine Öffentlichkeitsbeteiligung.“
Zwischendurch hatte es in der Gemeinde schon geheißen, die Planung des Sehlinger Windparks sei auf Eis gelegt, und zwar wegen des Rotmilans. Das mochte Fehrmann nur in Bezug auf die Planungspause bestätigen. Der Projektentwickler: „Ornithologische Gründe spielen keine Rolle.“ Ursache für die Atempause seien allein Rentabilitätsaspekte. „Die Bieterrunden für neue Windkraftanlagen hatten zuletzt nur eine Förderung von drei bis vier Cent je Kilowattstunde erbracht. Das läge unter der Wirtschaftlichkeitsgrenze.“ Erst jetzt habe sich der Zuschuss auf auskömmliche fünf bis sechs Cent erhöht.
Fehrmanns ehrgeiziger Zeitplan nun: Bis zum Herbst soll der Bauantrag beim Landkreis eingereicht sein. Mit der Öffentlichkeitsbeteiligung sei ab dem Jahreswechsel zu rechnen, und die Baugenehmigung könne, so alles komplikationslos verlaufe, im Sommer nächsten Jahres ins Haus flattern. „Wir werden dann zeitnah mit dem Bau beginnen.“ Eingesetzt würden Anlagen des Herstellers Enercon mit einer Nabenhöhe von 135 bis 160 Metern je nach Nähe zur Wohnbebauung. Die Ausbeute liege bei 12 bis 15 Millionen Kilowattstunde je Rotor. Das reiche rein rechnerisch jeweils zur Versorgung von rund 3000 Haushalten.
Abgeschrieben hat Fehrmann indes den zweiten Teil des kreisübergreifenden Windparks noch nicht vollständig. „Auch im Kirchwalseder Raum ist in diesem Jahr kein Rotmilan-Aufkommen festgestellt worden.“ Man gebe weiterhin Beobachtungen in Auftrag.
Von Heinrich Kracke