„Hölle auf Erden darf nie wieder passieren“: NS-Zeitzeuge Ivar Buterfas-Frankenthal berichtet im Cato-Gymnasium aus seinem Leben

Achim – Als Ivar Buterfas-Frankenthal am 16. Januar 1933 zur Welt kam, verbreitete die SA, die Schlägertruppe der Nazis, auf vielen Straßen der Weimarer Republik bereits Angst und Schrecken. Zwei Wochen später wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt, womit das „braune“ Grauen seinen Lauf nahm, jedenfalls für all jene, die sich dem Terrorregime in den Weg stellten oder nicht „Arier“ waren.
Die Familie Buterfas zählte dazu. „Mein Vater war Jude, meine Mutter Christin, wir waren vier Jungs und vier Mädchen. Ich bin als einziger noch übriggeblieben“, berichtete der 90-Jährige am Montagvormittag den Oberstufenschülerinnen und -schülern des Cato-Bontjes-van-Beek-Gymnasiums. So etwas wie Auschwitz und der Holocaust – „die Hölle auf Erden“ – dürfe nie wieder passieren, mahnte der Zeitzeuge in der vollen Aula.
Dort fühlte sich Buterfas-Frankenthal, der trotz seines hohen Alters einen lebendigen Vortrag hielt und es verstand, das ernste Thema mit humorvollen Passagen aufzulockern, gut aufgehoben. „Ich wollte unbedingt an eure Schule kommen. Das war mir sehr, sehr wichtig“, bekannte er in Anspielung auf die Namensgeberin des Achimer Gymnasiums, der von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek. „Ich habe mir vorgenommen, die Leute von der AfD zu ärgern“, fügte der alte Mann hinzu und bekam dafür Beifall vom jungen Publikum. Buterfas-Frankenthal zeigte sich begeistert: „Ich bin mir sicher, hier ist die Keimzelle der Demokratie.“
Als jüngstes Kind der Familie sei er mit sechs Jahren in Hamburg eingeschult worden, begann er von seinem Lebensweg zu erzählen. Der Schulleiter, „ein schrecklicher Mensch mit Schaftstiefeln“, habe ihn bei der Aufstellung auf dem Schulhof angeschrien: „Halbjude Butterfas, verlasse sofort die Schule!“ Ältere Schüler und Schülerinnen hätten ihn sofort getreten, und als er dann weggerannt sei, habe ihn eine Meute verfolgt und grausam behandelt. „Einer brannte mir mit einer Zigarette ein Loch in den Oberschenkel.“ Anschließend hätten sie ihn auf eine Roste gestellt und darunter Papier angezündet. Mit dem Spruch „Jetzt brennt die Judensau“, seien die Jugendlichen weggelaufen. „Passanten retteten mich.“
Die Eltern hätten dann überlegt, den Vorfall der Polizei zu melden. Aber das wäre 1938 keine gute Idee gewesen, ist Buterfas-Frankenthal überzeugt. „Die hätten mich gleich ins KZ gebracht.“ Die Polizei sei damals eng mit dem Regime verbandelt gewesen. „Jetzt ist das zum Glück ganz anders. Heute schützt die Polizei die Demokratie.“ Wer Gewalttaten sehe, sollte die Ordnungshüter sofort zur Hilfe rufen, riet er.
Seit 70 Jahren sei er mit seiner Frau Dagmar glücklich verheiratet, streute Ivar Buterfas-Frankenthal zwischendurch ein – und drückte der neben ihm Sitzenden einen Kuss auf die Lippen. Was die im Saal Versammelten hörbar entzückte. „Anders als früher stehen Frauen heute alle Türen offen“, ermunterte er die Zuhörerinnen, sich in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu engagieren. Aber das gelte selbstverständlich ebenso für die Männer.
Sein Vater sei im KZ gelandet, habe das aber überlebt. Und auch seine Mutter und Geschwister hätten die Kriegsgräuel überstanden. Er selbst habe damals mit seinem Bruder Rolf in Hamburg jahrelang in Kellerlöchern gehaust. Einmal hätten vorbeimarschierende Soldaten ganz im Sinne der NS-Propaganda lautstark getönt: „Heute gehört uns Deutschland und Europa und morgen die ganze Welt“. Monumente dieses Größenwahns seien noch in Nürnberg, Stadt der Reichsparteitage, zu besichtigen.

Eine grausame Zäsur habe die Wannseekonferenz bedeutet. „Juden und Halbjuden bekamen von 1942 an einen sogenannten Fremdenpass“, erinnerte Ivar Buterfas-Frankenthal. Wenig erfreulich sei es für ihn allerdings auch nach dem Ende des „Tausendjährigen Reichs“ gelaufen. „Ich habe fast 20 Jahre um die deutsche Staatsbürgerschaft gekämpft. Ein bei der Hamburger Ausländerbehörde arbeitender alter Nazi, dieser Schweinehund, verweigerte mir lange das Dokument“, schilderte der Halbjude. Dadurch habe er keine Lehrstelle erhalten. Später sei er Trainer und Manager im Sport geworden. „Ich hatte einen der großen Boxställe in Europa.“ Das und vieles mehr aus ihrem Leben sei in dem von seiner Frau und ihm verfassten Buch „Von ganz, ganz unten“ nachzulesen.
Seit dem Mauerfall 1989 gebe es leider vermehrt rechtsextremistische Umtriebe und Gewalttaten. Buterfas-Frankenthal nannte die Stichworte „Hoyerswerda“, „Mölln“, „Halle“ und „NSU“. Dabei habe Deutschland einen Teil seines Wohlstands ausländischen Arbeitskräften und Steuerzahlern zu verdanken. „Juden fühlen sich heute hier zunehmend unsicherer“, bedauerte der Hamburger. Er selbst wohne nach Morddrohungen aus der rechten Szene in einem stark gesicherten und überwachten Haus.
Ivar Buterfas-Frankenthal erntete für seinen Vortrag donnernden Applaus und beantwortete auch noch zahlreiche Fragen aus dem Publikum. „Was kann die junge Generation heute besser machen?“ Der 90-Jährige überlegte nicht lange: „Respekt vor anderen Menschen haben, auch vor denen mit anderer Herkunft oder Religion. Und Verantwortung für eine freiheitliche, pluralistische Gesellschaft übernehmen.“