Historische Relikte hinter der Fassade? Auf Spurensuche beim alten Achimer Postgebäude

Der Achimer Heimatforscher Jörg Karaschewski hat sich am alten Postgebäude am Bahnhof auf Spurensuche nach historischen Relikten begeben., bevor es bald abgerissen wird und einem Neubau Platz macht.
Für seine Beiträge zur Serie „Achim – Gestern & Heute“ wühlt sich der Administrator der gleichnamigen Facebook-Gruppe und begeisterte Heimatforscher Jörg Karaschewski regelmäßig durch Archive, er spricht mit Zeitzeugen und berichtet aus eigener Erinnerung. Dieses Mal ist er einen Schritt weitergegangen, um seinem Verdacht auf die Spur zu kommen: Verbirgt sich hinter der tristen Fassade des alten Postgebäudes am Achimer Bahnhof, das voraussichtlich Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres abgerissen werden soll, womöglich noch das Sandstein-Relief des Reichsadlers und der Schriftzug „Kaiserliches Postamt“?
Als ich die ungewöhnliche Anfrage gestellt habe, hat die Stadt als Besitzerin des Gebäudes sofort zugestimmt.
Um diese Frage zu klären, ist Karaschewski am Samstagvormittag auf eine Hebebühne gestiegen, die ihm die Bremer Baumdienst GmbH in Oyten kostenlos für diesen Zweck zur Verfügung gestellt hatte. Er setzte Helm und Schutzbrille auf und griff dann zu Hammer und Meißel, um in etwa neun Metern Höhe vorsichtig an zwei Stellen einige Verblendersteine zu entfernen. Gespannt darauf, was dahinter zum Vorschein kommen würde, verfolgten die „Schatzsuche“ auch Kreisarchivar Florian Dirks und Bürgermeister Rainer Ditzfeld, dem Karaschewski für die Unterstützung dankte: „Als ich die ungewöhnliche Anfrage gestellt habe, hat die Stadt als Besitzerin des Gebäudes sofort zugestimmt.“ Ditzfeld erklärte: „Wenn hinter der Fassade tatsächlich noch historische Relikte zu finden sind, wäre es toll, diese zu erhalten.“
Was viele Menschen nicht mehr wissen: Das ehemalige Postgebäude war ursprünglich mit deutlich mehr Liebe zum Detail erbaut worden. Daran erinnern noch Gebäudeteile im hinteren Bereich, die heute jedoch fast vollständig zugewachsen sind. Jörg Karaschewski hat sich genauer umgesehen und in historischen Unterlagen recherchiert – mit Erfolg: „An kaum einem anderen Ort in Achim lässt sich die Entwicklung und Veränderung momentan besser ablesen als hier“, betont der Heimatforscher, der herausgefunden hat, dass das ursprüngliche Gebäude der alten Post in den Jahren 1885 bis 1886 logistisch sinnvoll in direkter Nähe zum Bahnhof und der bereits Ende 1847 fertiggestellten Bahnlinie Bremen-Wunstorf errichtet worden ist.

„Aus rotem Backstein erbaut, mit zahlreichen Fenstern, verspielten Gauben und Giebeln, war es ein typisches Bauwerk der Gründerzeit. Dunkle, in Streifen und Rechtecken eingearbeitete Ziegel lockerten die Fassade auf. Und über den Fenstern des Obergeschosses prangte in großen Lettern der Schriftzug ,Kaiserliches Postamt‘.“ Sein besonderes Interesse weckte auf einem alten Foto auch der kaiserliche Reichsadler, vermutlich aus Sandstein, der darauf als Hoheitszeichen mittig zwischen den Fenstern zu sehen ist und vermutlich mehr als einen Meter groß war.
Ein Blick auf den heutigen Bauzustand macht es sehr schwer, sich vorzustellen, dass es heute tatsächlich noch dasselbe Gebäude wie damals ist. „Im extrem schlichten Stil der 1950er- und 1960er-Jahre wurde die Fassade mit glatten roten Ziegeln vereinheitlicht. Die vormals verbauten Stichbogenfenster wurden rechteckig, die Giebel entfernt und die Dachgauben von jeglichem Schmuck befreit. So kennen die meisten älteren Achimer ihr Postgebäude“, so Karaschewski.
Das Gebäude war lange Zeit Arbeitsplatz der Mitarbeiter des Staatsbetriebes mit hoheitlichen Aufgaben, der an allgemeinen Beflaggungstagen rechts neben dem Gebäude die Dienstflagge der Deutschen Bundespost hissen ließ. „Links gingen die Kunden über zwei Stufen hinein in einen kleinen Vorraum. Geradeaus ging es weiter zu den Postfächern. Dort waren an einem langen Tisch auch alle wichtigen Telefonbücher Deutschlands zur allgemeinen Nutzung befestigt“, berichtet Karaschewski.
Um in die eigentliche Schalterhalle zu kommen, mussten sich die Kunden im Vorraum rechts halten. Dann kamen sie in einen Raum, in dem sich drei hinter dicken Glasplatten geschützte Schalter befanden. Links im Raum war ein Tresen für die Paketabgabe und -abholung. Daneben befanden sich zwei Telefonzellen, beschreibt Karaschewski: „Dort konnte man Gespräche ins fernere Ausland und auch in Länder des Ostblocks führen, nachdem man sie angemeldet hatte.“
Im Gebäude erhielt man dann ein kleines örtliches Telefonbuch, ein größeres für den Landkreis und ein großes Exemplar der Gelben Seiten.
Kunden konnten an den Schaltern sämtliche Dienste eines typischen Postamtes der Deutschen Bundespost nutzen: Sie konnten Briefmarken erwerben, Telefondienstleistungen in Anspruch nehmen sowie Geldverkehr über Postscheckkonten erledigen und erhielten Sonderstempel. Viel los war immer dann, wenn die neuen Telefonbücher ausgegeben wurden. Zur Abgabe der alten stand neben dem Eingang ein Container bereit. „Im Gebäude erhielt man dann ein kleines örtliches Telefonbuch, ein größeres für den Landkreis und ein großes Exemplar der Gelben Seiten“, so Karaschewski.
Als 1990 das Duale System Deutschland mit dem Grünen Punkt ins Leben gerufen wurde, gab es die Gelben Säcke ebenfalls bei der Post. Für jede Rolle mussten die Bürger einen kleinen Zettel mit Namen und Adresse ausfüllen. „Was mit diesen, aus heutiger Sicht wohl völlig sinnbefreiten Adresssammlungen erfolgte, wurde leider nie veröffentlicht“, wundert sich Karaschewski.
Nachdem 1995 die Deutsche Bundespost in Deutsche Post AG umfirmierte, begann das langsame Sterben der klassischen Postämter. Achim traf es Ende der 1990er-Jahre.

Ein Blick in das Achimer Adressbuch der Jahre 2000/2001 lässt den Leser glauben, dass es in Achim gar keine Postdienstleistungen mehr gab, da jeder Hinweis auf Post- und Paketdienste fehlt. Die Leistungen wurden damals als Postagentur von einem Papiergeschäft übernommen. „Das alte Postgebäude wurde noch einige Zeit für Postfächer und die Sortierung beziehungsweise Briefzustellung genutzt. Eine dauerhafte Nachnutzung des Gebäudes erfolgte nicht“, berichtet Jörg Karaschewski, während ein weiteres Bruchstück aus der Fassade springt.
Entweder wurden die Relikte bei dem Umbau entfernt und entsorgt, oder jemand hat sich diese gesichert. Nun lagern sie womöglich in irgendeinem Keller.
Ob dahinter, im original erhaltenen Mauerwerk, tatsächlich noch die Relikte früher Zeiten stecken, darauf bekommen die Beteiligten zumindest an diesem Tag keine endgültige Antwort: „Wir haben leider nichts entdeckt. Weil die Steine der Fassade jedoch schon sehr locker und zum Teil brüchig sind, mussten wir sehr vorsichtig vorgehen und haben die Suche dann abgebrochen“, erklärt Karaschewski, als er zurück auf festem Boden ist. Die Hoffnung, mehr über den Verbleib des Schriftzugs und des Reichsadlers zu erfahren, gibt es jedoch deshalb nicht auf. Beim Abbruch soll zunächst die Fassade entfernt werden, um sicher klären, was dahinter ist.
Womöglich sei auch alles ganz anders, äußert Heimatforscher Jörg Karaschewski zwei weitere Thesen: „Entweder wurden die Relikte bei dem Umbau entfernt und entsorgt, oder jemand hat sich diese gesichert. Nun lagern sie womöglich in irgendeinem Keller.“
Wer Hinweise dazu geben kann, meldet sich per E-Mail an dennis.bartz@kreiszeitung.de.
Von Dennis Bartz