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Mit „Verbrannte Erde“ nahe an historischer Realität

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Obgleich sie durch einen glücklichen Zufall das Schicksal der „Gustloff“-Besatzung nicht teilen müssen, erleben Ingrid und Maria auf der Flucht viel Schreckliches.
Obgleich sie durch einen glücklichen Zufall das Schicksal der „Gustloff“-Besatzung nicht teilen müssen, erleben Ingrid und Maria auf der Flucht viel Schreckliches. © Sommerfeld

Achim - Von Inka Sommerfeld. Solche Schüler wünscht sich jeder Lehrer: Es wird konzentriert gearbeitet, man hilft einander, hält zusammen – alles, wenn der Lehrer zur Besprechung muss, also nicht im Raum ist. Kurz gesagt: ein tolles Team. Über diesen Typus Schüler darf sich Michael Müller, Geschichtslehrer des Achimer Gymnasiums am Markt (Gamma), freuen. Und das weiß der Pädagoge auch zu schätzen.

Die Siebt- bis Zehntklässler der Geschichts-AG proben momentan das Theaterstück „Verbrannte Erde“, das am heutigen Dienstag, und am Freitag, 10. Juli, im Kulturhaus Alter Schützenhof (Kasch) aufgeführt wird. Beginn ist jeweils um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei, doch die Jugendlichen würden sich über Spenden freuen, als Zuschuss für ihre Reise nach Danzig.

Das Theaterstück, verfasst von AG-Leiter Müller, handelt von Flucht und Vertreibung. „Verbrannte Erde“ bezeichnet eine Kriegstaktik, bei dem die Armee alles zerstört, was dem Gegner nutzen könnte. Sie kalkuliert bewusst ein, dass dies auch auf Kosten der eigenen Bevölkerung geht. Das Stück orientiert sich an der Lebensgeschichte der Schauspielerin Ingrid van Bergen, die ihre Kindheit in Ostpreußen verbrachte. Ingrid von Zitzewitz heißt die Protagonistin, die von Kim Lea Renecke (das Mädchen Ingrid) und Anna Gerken (Ingrid als junge Frau) verkörpert wird.

Auf ihrem Gut in Ostpreußen bekommt die Familie den Zweiten Weltkrieg aus Briefen mit, denn Ingrids Bruder kämpft an der Ostfront. Doch kurz vor Weihnachten 1944 spürt die Familie den Krieg hautnah: Sie flieht, allen Durchhaltebefehlen der Nazi-Oberen zum Trotz. Mit Pferd und Wagen geht es gen Westen. Familienmitglieder sterben im bitterkalten Winter. Am Straßenrand sieht Ingrid ein Waisenmädchen, das sie, ihrem Herzen folgend, aufnimmt. Mit der „Gustloff“ soll die Flucht weitergehen, doch das Schiff ist voll. Was sich als Glück für Ingrid und die kleine Maria erweist: Das Schiff versinkt, und nur wenige Passagiere überleben. So quälen sich die beiden zu Fuß weiter und erleben viel Schreckliches. „Es geht uns in erster Linie um den Inhalt – wir sind nahe an der historischen Realität“, sagt Müller, der seit sechs Jahren Geschichte auf die Bühne bringt, und ergänzt: „Wir

Stück macht neugierig

auf Hintergründe

bearbeiten extrem harte Themen, beispielsweise politische Verbrechen.“ Um die Stücke aufzulockern, bauen er und seine Schüler scherzhafte Dialoge ein.

Am Anfang des Schuljahres gibt es eine Stunde lang historischen Input, und aus den daraus entstehenden Vorschlägen der Schüler schreibt Müller die Szenen. In den Vorjahren ging es etwa um die Judenverfolgung während des Dritten Reichs und die RAF – Themen, die die Schüler vorschlugen. Immer verbunden mit einer Reise zu den Orten des Geschehens.

Seit November wird regelmäßig geprobt – zwei Schulstunden in der Woche. Am Mittwoch nach der sechsten Stunde. Während einige Schüler als Akteure auf der Bühne stehen – eine Theaterpädagogin sorgte für das nötige Wissen – kümmern sich andere um Ton, Licht und Bühnenbilder. Jeder bringt sein Kostüm mit. „Wir machen alles selbst“, sagt Müller. So kann ein Teddybär auch schon mal eine tote Kuh darstellen.

Geschichtsunterricht, der bei den Schülern ankommt. Deshalb ist Saskia Zwilling seit fünf Jahren dabei. Dieses Mal in einer Nebenrolle – sie mimt Regisseurin Leni Riefenstahl. Die „Karriere“ der 16-Jährigen begann, als die Rolle eines kleinen Mädchens aus der DDR besetzt werden musste. Die RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt war eine weitere Rolle, in die Saskia schlüpfte. „Die AG nützt für den Unterricht, weil wir die geschichtlichen Hintergründe erarbeiten, und für die Allgemeinbildung“, bilanziert sie. Ihr Fazit: „Mitmachen lohnt sich.“

Das meint auch Julian Becker. Er ist seit zwei Jahren mit dabei und als Experte für seltsame Rollen geschätzt. „Er sieht das Leben sehr ironisch“, beschreibt es Müller schmunzelnd. In diesem Jahr spielt der 16-Jährige zwei Rollen: den polnischen Knecht auf dem Gut und einen Überlebenden des Schiffsuntergangs. „Die Geschichts-AG gibt mir Selbstbewusstsein“, sagt er.

Übrigens ist Müller selbst in zwei Minirollen zu sehen: als Nazi-Scherge und als ein Minister der Nachkriegszeit. Augenzwinkernd erklärt er: „Alfred Hitchcock hat sich auch in seine Stücke hineingeschrieben.“

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