Schüler ohne Scheu vor dem brisanten Thema Vertreibung

Achim - Geschäftiges Treiben auf der Bühne - Schüler laufen hin und her, treffen letzte Vorbereitungen. „Alles paletti da oben?“, ruft Michael Müller. Kopfnicken. „Die Technik funktioniert“, stellt der Lehrer zufrieden fest, beantwortet letzte Fragen der Schüler und verschwindet hinter dem schwarzen Vorhang. Auch dort ist alles in Ordnung.
Voll besetzt war der blaue Saal im Kulturhaus Alter Schützenhof (Kasch). Eltern, Geschwister und Lehrer hatten Platz genommen, um sich das Theaterstück „Verbrannte Erde“ der Geschichts-AG des Gymnasiums am Markt (Gamma) anzusehen.
Müller trat ins Spotlight und begrüßte das Publikum zum fünften Stück, das die AG im Laufe von sechs Jahren einstudiert hatte: „Wir widmen uns dieses Mal dem Thema ‚Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen'“. Ein Thema, das in Geschichtsbüchern oft unter den Teppich gekehrt werde.
„Was wir spielen, ist nicht schön - das Leiden und Sterben der Deutschen in den letzten Monaten des Krieges. Doch wir haben sogar humoristische Einlagen eingebaut und hoffen, den richtigen Ton zu treffen“, sagte der AG-Leiter und Regisseur. Letzteres an die Adresse derjenigen, die den Krieg selbst erlebt haben.
Um es vorweg zu sagen: Die jungen Schauspieler waren großartig. Nach jeder Szene gab es Applaus, und am Ende, nach rund anderthalb Stunden, wollte er kein Ende nehmen. Jubel, Pfiffe und Trampeln waren ohrenbetäubend. „Ich hatte noch nie eine Truppe, die so gut zusammengehalten hat wie diese“, lobte Müller und applaudierte ebenfalls.
21 Schüler der siebten bis zehnten Klassen und ihr AG-Leiter stellten die Geschichte der Familie Ingrid von Zitzewitzs dar, angefangen auf dem Gut im Sommer 1939, zu Kriegsbeginn, am Tag der Kapitulation vor Stalingrad und bis zum Einmarsch der sowjetischen Armee in Ostpreußen.
Am Freitag um 19 Uhr
eine zweite Vorstellung
Persönliche Schicksalsschläge treffen die Familie: Ingrids Bruder fällt vor Stalingrad, der Knecht wird erschossen, ihr Großvater erfriert auf der Flucht, ihre Mutter wird von Russen ermordet, und ihre Tante ertrinkt im Haff – der Wagen war überladen und zu schwer für das Eis. Auf der „Wilhelm Gustloff“ ist kein Platz mehr für die junge Frau, die sich also zu Fuß durchkämpft.
Mit wenigen Mitteln brachten die Schüler das Stück auf die Bühne und forderten so die Vorstellungskraft des Publikums. Es reichten eine gemalte Uhr, ein Schild und zwei Stühle, um den Bahnhof Marienwerder zu symbolisieren. Ein Tisch und zwei Stühle ließen vor dem inneren Auge den Wagen entstehen, mit dem die Familie flüchtete. Kurz vor Weihnachten 1944: blaues Licht verdeutlichte die eisige Kälte des Winters.
Eine Erzählerin führte durch die Geschichte. Schwang der Gauleiter seine Reden, waren zwei Schüler nicht weit: Sie kommentierten ironisch das Gesagte, führten so die Nazi-Ideologie im allgemeinen und den Durchhaltewahn im besonderen ad absurdum.
Die Geschichts-AG präsentiert am Freitag, 10. Juli, „Verbrannte Erde“ ein zweites Mal: Um 19 Uhr im Kasch. Der Eintritt ist frei, doch die Jugendlichen würden sich über Spenden als Zuschuss für ihre Reise nach Danzig freuen.
„Kommende Woche gehen wir auf Tour“, kündigte Michael Müller an. Dann begibt sich die Geschichts-AG auf die Spuren ihres Stücks: nach Danzig, Marienwerder, zur Marienburg und zum Pier in Gdingen (ehemals Gotenhafen), wo die „Wilhelm Gustloff“ zu ihrer letzten Fahrt ablegte. is