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Realschule Achim hat 100. Geburtstag nicht ganz erreicht

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Von: Michael Mix

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Bunt und vielfältig war das Schulleben, hier zeigt die Musical-AG ihr Können.
Bunt und vielfältig war das Schulleben, hier zeigt die Musical-AG ihr Können. © -

Achim – Soll Achim eine selbstständige Mittelschule erhalten? Ein Vertreter des Preußischen Kultusministeriums nahm die „Gehobene Abteilung“ der örtlichen Volksschule im Februar 1927 genau unter die Lupe. „Mehrtägige und ausdauernde Revisionen müssen Schülerinnen und Schüler sowie das sechsköpfige Lehrerkollegium über sich ergehen lassen“, berichtet Chronist Hans-Walter Hetz.

Am 1. April 1927 kommt die erlösende Nachricht aus Stade: Die „Gehobene Abteilung“ der Volksschule Achim darf sich offiziell als „Mittelschule“ bezeichnen, und damit besitzt das wachsende Weserdorf endlich eine weiterführende Schule.

Nun, 95 Jahre später, endet die Geschichte der Realschule Achim, wie sie längst heißt. Der Stadtrat hat entschieden, die anfangs gemeinsam mit der Volksschule im roten Backsteinbau am Markt, später kurzzeitig am Paulsberg und seit den 60er-Jahren an der Waldenburger Straße 8 residierende Lernstätte zusammen mit der benachbarten Liesel-Anspacher-Hauptschule in der IGS Achim aufgehen zu lassen.

Bei Entlassfeiern legte sich die Lehrerband mit tollen Einlagen gewaltig ins Zeug.
Bei Entlassfeiern legte sich die Lehrerband mit tollen Einlagen gewaltig ins Zeug. © Mix

Von den Anfängen der Mittelschule in der Weimarer Republik bis zum Aus für das dreigliedrige Schulsystem im 21. Jahrhundert war es ein weiter Weg. Dass Achim eine höhere Schule bekam, ist eng mit dem Namen Friedrich Göhrs verbunden. Der damalige Leiter der Volksschule hatte sich stark dafür eingesetzt, war erster Rektor der neuen Schule und bekleidete dieses Amt bis zu seiner Pensionierung 1953.

Wichtig war Göhrs laut Hetz die Förderung begabter Schüler vor allem aus der Arbeiterschicht. Das Schulgeld in Höhe von zwölf Reichsmark im Monat (1931) stellte insbesondere für ärmere Familien eine große Hürde dar, da die meisten Erwerbstätigen weniger als eine Reichsmark pro Stunde verdienten. „Um begabten Kindern aus einfachen Verhältnissen den Besuch der Mittelschule zu ermöglichen, trat Göhrs an die Achimer Geschäftsleute heran und warb um Patenschaften für begabte Schülerinnen und Schüler“, hat der spätere Realschullehrer Hetz recherchiert. Ihm zufolge setzte der Rektor auch durch, dass das Schulgeld nach Einkommen und Kinderzahl gestaffelt sowie Mädchen der Zugang zu höherer Bildung erleichtert wurde.

Zuletzt an der Spitze: Marlies Behnke und Holger Kohring.
Zuletzt an der Spitze: Marlies Behnke und Holger Kohring. © -

Im Zweiten Weltkrieg kam das Schulleben mehr und mehr zum Erliegen. So erhielten die Jugendlichen nicht nur die Aufgabe, kriegswichtige Materialien wie Metalle und Kräuter zu sammeln, sondern auch Briefe an Achimer Soldaten an der Front zu schreiben. Nach einem Tieffliegerangriff im Frühjahr 1945 wurde die Schule geschlossen.

Drei Standorte: Markt, Paulsberg, Waldenburger Straße.
Drei Standorte: Markt, Paulsberg, Waldenburger Straße. © -

1952 gab es den nächsten Einschnitt. Die Mittelschule verließ die aus allen Nähten platzende Marktschule und bezog ein eigenes Gebäude in einer ehemaligen Zigarrenfabrik am Paulsberg. Aber auch dort herrschte schnell Raumnot, denn die Zahl der Einwohner in Achim und den Nachbarorten stieg durch Flüchtlinge und Vertriebene deutlich an. So errichtete die Stadt für die Mittelschule 1961 einen Neubau an der Waldenburger Straße, 1965 kam noch eine Sporthalle hinzu. Und der Name wechselte, fortan hieß die mittlere Schulform „Realschule“.

Historisches Dokument als Zeugnis der Erinnerung.
Historisches Dokument als Zeugnis der Erinnerung. © -

Nach Göhrs führten Rektor Geffert, Karl Heinz Marggraf und kommissarisch Konrektor Günter Weblus für jeweils kurze Zeit die Bildungseinrichtung zwischen der Hauptschule und dem Gymnasium. Personelle Kontinuität an der Spitze der Realschule zog erst 1970 wieder mit der Ernennung von Gerhard Steinwede zum Leiter ein.

Vorne: Christa Watermann.
Vorne: Christa Watermann. © -

Das Raumproblem blieb. Auch ein 1971 eingeweihter Anbau reichte schon bald nicht mehr aus, um die wachsende Zahl von Schülerinnen und Schülern aus dem gesamten Nordkreis unterzubringen. „Der Gipfel war im Schuljahr 1976/77 erreicht, als die Realschule ihr 50-jähriges Jubiläum feierte. 1 325 Schülerinnen und Schüler wurden in 43 Klassenverbänden von 64 Lehrkräften unterrichtet“, schilderte Johann Jäger, der nach Steinwede die Schule von 1994 bis 2000 leitete, in der Chronik zum 75-jährigen Bestehen 2002. Auch an jedem Nachmittag musste nun Unterricht stattfinden. Die Einführung der Orientierungsstufe 1978, Schulzentren in Oyten und Langwedel sowie ein 1986 bezogener weiterer Anbau mit dem Prunkstück einer Bibliothek linderten die Raumnöte.

Spätere Leiter: Johann Jäger und Gerhard Steinwede.
Spätere Leiter: Johann Jäger und Gerhard Steinwede. © -

Zwei Anträge, die Realschule Achim nach ihrem Gründervater in „Friedrich-Göhrs-Realschule“ umzubenennen, scheiterten. „Vermutlich, weil er 1939 in die NSDAP eingetreten war“, spekuliert Hans-Walter Hetz und merkt an: Ein Namensgeber für eine Institution müsse über jeden Zweifel erhaben sein.

Gründer Friedrich Göhrs.
Gründer Friedrich Göhrs. © -

Im Jahr 2000 wurde Christa Watermann Chefin der Realschule. Diese prägte sie bis zu ihrer Pensionierung 2017. In der Amtszeit von Watermann, die im Februar verstorben ist, sei 2006 noch ein weiterer neuer Trakt in Betrieb gegangen und 2007 die „eigenverantwortliche Schule“ eingeführt worden, berichtet ihre Nachfolgerin Marlies Behnke. 2008 habe sich die Realschule dem Grundsatz „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ verschrieben, ergänzt Holger Kohring, seit 2021 kommissarischer Leiter der RS, die in ihrem letzten Jahr vor der offiziellen Auflösung Ende Juli nur noch aus dem zehnten Jahrgang bestand. Und eine unruhige Schlussphase durchlaufen habe. Dazu hätten vor allem die „vielen Rückläufer aus den Gymnasien“ beigetragen. „Es ist sehr dynamisch gewesen“, formuliert Kohring diplomatisch. Behnke spricht von einem „Verschiebebahnhof“. Sie favorisiere „eine Schule für alle“ mit kleinen Klassen, genügend Lehrkräften und Sozialpädagogen.

Aktionstage lockerten den Unterrichtsalltag auf, dazu zählte etwa das Steinzeitprojekt.
Aktionstage lockerten den Unterrichtsalltag auf, dazu zählte etwa das Steinzeitprojekt. © -

60 Kolleginnen und Kollegen von einst und jetzt seien zur Abschiedsfeier gekommen, Motto: „Wir machen das Licht aus!“ Nicht nur Gast Jäger (85) habe das Aus für die weithin anerkannte Bildungsinstitution bedauert. Unzählige frühere Schülerinnen und Schüler werden sich gerne daran erinnern, dass ihnen die Realschule Achim den Weg in das Berufsleben geebnet hat.

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