Gemischter Chor Westfehmarn feiert 100. Geburtstag: „Oh Happy Day ...“

Der Gemischte Chor Westfehmarn wird heute (9. März) 100 Jahre alt. Am 26. März soll der Geburtstag in der Alten Schule in Petersdorf mit einem Konzert gefeiert werden.
- Hilka Ott übernahm Chor Ende des vergangenen Jahres.
- Chor stand kurz vor der Auflösung.
- Chor wurde am 9. März 1923 in der Schule in Petersdorf gegründet.
Fehmarn – Er erlebte Höhen und Tiefen, politisch unruhige und gemäßigte Zeiten, mal jede Menge, mal kaum noch Zuspruch und beinahe sein 100. Jubiläum nicht mehr: Der Gemischte Chor Westfehmarn.
Wenn es heute knallt im Inselwesten, dürften das die Korken sein, die zur Feier des Tages aus den Piccolöchen fliegen. Das passende Ständchen dazu wird sich die derzeit 15-köpfige Chorgemeinschaft selbst bringen und anstoßen auf das schöne Ereignis, mit dem viele schon nicht mehr gerechnet hatten. Langjährige Mitglieder und neu geworbene Sangesfreunde – gemeinsam werden sie, mit einem Liedchen auf den Lippen, in die nächsten 100 Jahre gehen. Unter der Leitung von Hilka Ott. Sie hatte den Chor Ende vergangenen Jahres übernommen, als bereits eine Grabrede auf den Sängerkreis im Inselwesten gehalten wurde.
Mächtig trübe hatte es ausgesehen. Corona hatte nur noch Anfang 2020 ein paar Chorproben zugelassen. „Die Anzahl der Sängerinnen und Sänger ging zurück, und selbst durch einen – seltenen – Neuzugang blieb das Durchschnittsalter unverändert hoch: der Chor wurde ein Seniorenchor mit nur wenigen Mitwirkenden“, fasst es Peter Jirjahlke zusammen, der den Taktstock an Hilka Ott übergab, die mit ihrer Bereitschaft, den Chor zu übernehmen, die seinerzeit noch acht übrig gebliebenen Mitglieder mit in ihr Projekt „Wiederbelebung des Gemischten Chors Westfehmarn“ in die Alte Schule nahm. Dorthin, wo man sich bereits zu Anbeginn getroffen hatte, um gemeinsam die Stimmen erklingen zu lassen: „im Schulhause zu Petersdorf“, wie es im Protokollbuch (1923-1962) heißt. Genauer: „Am 9. März 1923 fand im Schulhause zu Petersdorf auf Fehmarn eine Versammlung statt zwecks Gründung eines gemischten Chors.“ K. Johannsen und J. Andersen (1. und 2. Vorsitzender) bildeten zusammen mit Schriftführerin A. Trube und Kassiererin K. Peters den ersten Vorstand. „Zum Dirigenten erklärte sich O. Woebs, Bojendorf, bereit, zu dessen Stellvertreter O. Schmüser, Petersdorf“, heißt es weiter. Als Name für den Zusammenschluss wurde Gemischter Chor Westfehmarn gewählt. Der blickt auf 100 Jahre Chorgeschichte zurück.
Chor durchlief bewegte Zeiten
Eine Zeitspanne, in der der Chor im Inselwesten nicht nur Geschichte erlebt hat, sondern auch selbst im Rahmen seines Wirkungskreises Zeit- und Kulturgeschichte geworden ist.
Bewegte Zeiten durchlief der Chor, der in den politisch-gesellschaftlich stürmischen Jahren von der Weimarer Republik bis zur Diktatur des Nationalsozialismus drei Chorleiter erlebte. Bis 1936 reichten sich Otto Woebs (1923-1924), Jep Nissen Andersen (1924-1927) und Edmund Kardel (1927-1936) den Dirigentenstab weiter.
Peter Jirjahlke, der vor Hilka Ott 48 Jahre den Chor im Inselwesten leitete, hat anlässlich des 100-jährigen Bestehens in einem Sonderdruck des Jahrbuchs für Heimatkunde 2023 die Geschichte bemüht und die Vita des Chors Westfehmarn niedergeschrieben. So ist zu erfahren, dass nach dem Zweiten Weltkrieg, ab 1948, Fritz Albert Felgendreher als Chorleiter einen Neuanfang wagte.
Aber schon zwei Jahre später war im Fehmarnschen Tageblatt zu lesen:
„Neuer Chorleiter. Infolge Fortzuges des bisherigen Chorleiters, Lehrer Felgendreher, Petersdorf, der in mühevoller Arbeit den Gemischten Chor Westfehmarn, Petersdorf, nach dem Kriege wieder zu beachtlichen Leistungen führte, wurde der Chor genötigt, nach einem neuen Dirigenten Umschau zu halten. In dankenswerter Weise erklärte sich nunmehr E. Kardel, Petersdorf, bereit, die technische Leitung des Chors, die er bereits von 1927 bis zum Ruhenlassen kurz vor dem Kriege in vorbildlicher Art ausübte, erneut zu übernehmen. Mit dem Dank an den scheidenden Chorleiter für seine Mühewaltung verbinden der Chor und alle Freunde des deutschen Liedes den Wunsch, dass sich alle sangenfreudigen Einwohner auch weiterhin unter der bewährten, alten Stabsführung um die Fahne des Chors scharen mögen im Dienste der Lebendigerhaltung unseres herrlichen Volksliedgutes, das ein nie versiegender Quell echter Freude und Besinnung ist – und bleiben soll“, hieß es am 10. Juli 1950 im FT.
Edmund Kardel blieb bis 1962 Chorleiter. Diese Position, ist Jirjahlkes geschichtlicher Aufarbeitung im Jahrbuch weiter zu entnehmen, hatte er 21 Jahre inne. Ihm folgten Adolf Wiener (1962-1967), Marlene Jensen (1967-1971) und Anneliese Andresen (1971-1974).

1974 übernahm dann Peter Jirjahlke das Amt des Chorleiters. Bis Hilka Ott übernahm, die seitdem und künftig das vielseitige musikalische Profil des Chors prägen wird. Die frühere Musiklehrerin an der Inselschule sei schon länger von der Idee beseelt gewesen, einen Chor gründen zu wollen. Die Gründung erübrigte sich, und dennoch kam Hilka Ott zu einem Chor.
In der Alten Schule Petersdorf wird jeden Dienstag ab 18.30 Uhr geprobt
In der Alten Schule Petersdorf wird bekanntlich jeden Dienstag ab 18.30 Uhr geprobt. Mit viel Eifer und Freude an der Sache. Die erste Probe unter ihrer Leitung fand am 22. November statt, bereits am 14. Dezember hatte der Sängerkreis unter Hilka Otts Ägide zum ersten Mal nach längerer Zeit einen Auftritt. Im Rahmen des Lebendigen Adventskalenders stimmten die Sängerinnen und Sänger der Chorgemeinschaft mit zahlreichen Weihnachtsliedern aufs nahende Fest ein.

Doch zurück zu Peter Jirjahlkes Beitrag über die Historie der Sangesgemeinschaft aus dem Inselwesten, für die auch die Chorliteratur keine unbedeutende Rolle spielte. „Es gab einen gewählten Bücherwart, der dafür zu sorgen hatte, dass bei den Ständchen und Auftritten die entsprechenden Bücher zur Verfügung standen“, geht aus der Chorgeschichte hervor. Zu diesen Büchern gehörten unter anderem drei Bände „ars musica“, „Musik in der Schule“, sowie diverse Einzelpartituren für einen bis zu fünfstimmigen Chor a cappella. Dadurch ergab sich eine Vielfalt des Repertoires des Chors, der Kirchenlieder, Madrigale, Volks- und Weihnachtslieder sowie Lieder aus anderen Ländern beherrschte und sich vor allem auch auf das Singen plattdeutschen Liedguts verstand, so Jirjahlke. Besonders verdient machte sich der Chor, weil er auch ost- und mitteldeutsches Liedgut in sein Repertoire aufnahm.
Wie im Paternoster ging es rauf und wieder runter
Nachdem sich der Umgang mit den Büchern jedoch als recht aufwendig erwiesen hatte, wurden Noten kopiert und den Sängern in einer Mappe zur Verfügung gestellt. Mit den Jahren entstand so eine Sammlung von 180 Chorwerken, aus denen für die öffentlichen Auftritte geschöpft werden konnte.
Bis zu etwa 20-mal trat der Chor im Jahr durchschnittlich auf. Ständchen bei hohen runden Geburtstagen und Jubiläen hatte er im Portfolio. Anfang der 1950er-Jahre bis 1996 wurden auch die Aufgaben eines Kirchenchors wahrgenommen. Über die Jahre hatte sich der Chor ein Repertoire von 35 mehrstimmigen Weihnachtsliedern erarbeitet.
Jo-Jo-Effekt bei den Mitgliederzahlen
Jo-Jo-Effekt bei den Mitgliederzahlen: In 100 Jahren Chorgeschichte ging es rauf und wieder runter. Bei seiner Gründung startete der Chor mit 28 Vokalisten. Den ersten Mitgliederschwund und schließlich auch die Einstellung der Chorarbeit bewirkte der Anschluss des Chors an die Reichsmusikkammer am 23. Mai 1934, 15 Jahre vor Verabschiedung des Grundgesetzes. „Da der Betrag, der für jedes Mitglied dafür abgeführt werden muss, bedeutend ermäßigt ist, beschließt die Versammlung, die Anmeldung sofort vorzunehmen“, ist im Protokollbuch dokumentiert. Zeitgleich zu den Proben fanden verpflichtende Parteiveranstaltungen der NSDAP statt. Die letzte Generalversammlung des Chors war am 16. Juni 1937, die erste nach dem Krieg am 11. Juni 1947.
2022. Es war fünf vor zwölf. Peter Jirjahlke war kurz davor, den Gemischten Chor Westfehmarn aufzulösen. Nichts ging mehr. Die sich bereits seit vielen Jahren abzeichnende Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten. Chormitglieder waren verstorben, neue und junge Stimmen nicht nachgerückt. Dann noch Corona. Ende der Fahnenstange.

Zufällig erfuhr Peter Jirjahlke davon, dass Hilka Ott einen Chor in Petersdorf gründen wollte. Und lud sie an jenem Tag zu einem Kaffeetrinken mit Chormitgliedern ein. Im Rahmen dieses Zusammentreffens wäre die Auflösung definitiv erfolgt, hätte Hilka Ott nicht zugesagt. Und so wurde doch noch alles gut. Zwei Interessen fanden sich: Peter Jirjahlke übergab die Leitung des Gemischten Chors an Hilka Ott, die unerwartet an jenem Nachmittag im November zu ihrem Chor gekommen war. Und mit der neuen Chorleiterin, deren Mann Michael Ott 1. Vorsitzender der Alten Schule Petersdorf ist, war auch wieder für einen Probenraum gesorgt. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Auch die acht verbliebenen Chormitglieder freuten sich, nach wie vor eine Heimat zu haben. So bekam Hilka Ott gleich die Chormappe mit, den Taktstock erhielt sie bei der ersten Probe am 22. November von Peter Jirjahlke.
„Das älteste, echteste und schönste Organ der Musik, das Organ, dem unsere Musik allein ihr Dasein verdankt, ist die menschliche Stimme“, sagte einst der große Komponist Richard Wagner. Das fanden 1971 aber nur gerade einmal neun Mitglieder. 19 Jahre später hatte sich die Zahl der Sangesfreunde auf 46 Sängerinnen und Sänger erhöht, um 2020 erneut auf dann nur noch zwölf Mitglieder zu sinken.
Das Auf und Ab der Mitgliederstärke des Chors, der kein eingetragener Verein war und ist, aber als solcher geführt wurde und wird, hing und hängt vom Engagement einzelner Aktiver oder sogar ganzer Familien ab, beschreibt es Peter Jirjahlke und nennt beispielgebend Familie Stark aus Petersdorf, seit 1930 eng mit dem Chor verbunden.
Familie Stark stellte Verkaufsraum für Übungsabende zur Verfügung
Kaufmann Wilhelm Stark war von 1933 bis 1938 Kassierer und 15 Jahre lang 1. Vorsitzender des Chors. Er sang bis 1968 mit, seine Frau Käthe von 1930 bis 1952. Tochter „Hannchen“, verheiratete Smith, war seit 1957 Sängerin im Chor, den sie als 1. Vorsitzende über 40 Jahre leitete. Auch ihr Bruder, ihre Tochter und ihre Nichte haben sich im Chor engagiert, beschreibt es Peter Jirjahlke. Und nachdem die Petersdorfer Schule, die jahrelang Übungsstätte für den Chor war, aufgelöst wurde, hat Familie Stark ihren neu eingerichteten Verkaufsraum für die Übungsabende zur Verfügung gestellt. „Das war mit ein wesentlicher Grund, dass der Chor weiter Bestand hatte und Jubiläen feiern konnte“, so der langjährige Chorleiter des Gemischten Chors Westfehmarn.
Zum 75-jährigen Bestehen 1998 trat Inca Klingenberg dem Chor bei. Ein wenig Fracksausen bekam sie schon, als sie sah, was da auf sie zukam. In der Festschrift zum Jubiläum schrieb sie: „Als ich am ersten Übungsabend die gesammelten Noten erhielt, bekam ich es doch ein wenig mit der Angst zu tun. Über 130 Lieder, und die wenigsten kannte und kenne ich. Da braucht es wohl noch ein paar Jährchen, bis es soweit ist, dass ich einem neuen Mitglied die Melodien ins Ohr singen kann ... Aber zum 100. – das verspreche ich – kann ich sie alle!“, schrieb sie damals.
Inca Klingenberg ist seit ungefähr fünf Jahren nicht mehr aktiv im Chor, aber stets zur Stelle, wenn eine helfende Hand gebraucht wird, und – erfahren in der Organisation größerer Chorfeste. Zum 75. Jubiläum des Gemischten Chors Westfehmarn hatte sie die Chronik verfasst und zum 90. die Organisation des großen Chorfestes in der Petersdorfer Kirche übernommen. Sieben Chöre der Insel waren 2013 in die St.-Johannis-Kirche gekommen, um zu gratulieren, und formierten sich mit dem Geburtstagskind zu einem großen Klangkörper. Zum Ehrentag wurden Sektgläser mit eingraviertem Logo ausgegeben.
„Amazing“, „I am Sailing“ ...
Als nächster großer und freudiger Termin steht für den Gemischten Chor Westfehmarn der 26. März (Sonntag) im Kalender. Dann soll gefeiert werden. Alle Fehmaraner sind dazu herzlich eingeladen. Ab 15 Uhr findet in der Alten Schule in Petersdorf ein bunter Nachmittag bei Kaffee und Kuchen statt, Konzert des Gastgebers und Jubilars inklusive. Ob „Komm, lieber Mai, und mache ...“, „Amazing“ oder „I am Sailing“ ... – der Gemischte Chor Westfehmarn hat einen bunten Strauß an Liedern erarbeitet, das Fehmarnlied wird auch nicht fehlen. „Wir hoffen, dass viele vorbeischauen und mit uns eine schöne Zeit verleben werden“, so Hilka Ott.
„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder ...“, heißt ein beliebter Kanon des Gemischten Chors. In diesem Sinne ...
Ach, Augenblick. Eine Kleinigkeit gilt es abschließend doch noch zu klären. Wie sieht es denn nun aus, Inca Klingenberg? In Aussicht gestellt hatte sie, das komplette Repertoire bis zum 100. Geburtstag des Chors beherrschen zu wollen. – Ein Ja mit Ausrufezeichen kam von einer schmunzelnden Inca Klingenberg. Aber nicht 25 Jahre, sondern rund fünf Jahre habe es gebraucht, sich mit dem kompletten Repertoire vertraut zu machen.