Bei Visselhövede: Wölfe verfolgen Radfahrerin

Auf dem Weg zur Arbeit wird die 24-jährige Marie Schmidt bei Visselhövede im Februar von drei Wölfen verfolgt. Sie ist mit dem Fahrrad unterwegs.
Visselhövede – „Vielleicht mein Lebensretter?“, fragt Marie Schmidt und tätschelt den Sattel ihres Mountain-Bikes, obwohl sie weiß, dass ihr wohl niemand eine Antwort darauf geben kann. „Keine Ahnung, wie die Begegnung mit den drei Wölfen ausgegangen wäre, wenn sie mich erreicht hätten. Fakt ist, dass sie mich über eine Strecke von rund 200 Metern verfolgt haben und ich ihnen vermutlich nur mit dem Turbo-Gang meines E-Bikes entkommen konnte“, sagt die 24-Jährige aus Ebbingen, die jeden Tag mit dem Rad aus dem benachbarten Heidekreis zur Arbeit ins Visselhöveder Haus der Physiotherapie von Heribert Lang radelt – zumindest bisher. Jetzt steht ihr der Schreck immer noch ins Gesicht geschrieben, und sie wird „erst einmal gefahren“.
Es ist Donnerstag, 16. Februar, so gegen 13.30 Uhr. Schmidt schwingt sich auf ihr Rad, um pünktlich an ihrem Arbeitsplatz in Visselhövede zu sein. Für die Fahrt nutzt sie den Radweg entlang der Landesstraße 161. Im Bereich Hilligensehl verschwenkt die Strecke ein Stück um ein kleines Wäldchen herum. „Dort habe ich mich gewundert, warum Pferde auf einer Weide nervös hin- und hergaloppieren. Wird wohl der Hund sein, der am Zaun entlangläuft, habe ich mir noch gedacht“, erzählt die junge Frau, die Zuhause selber Ponys und einen Hund hält. Aber es ist kein Hund, der sie jetzt aus einer Entfernung von rund 60 Metern anschaut, wie Schmidt aufgrund der Färbung des Tieres und der Größe schnell feststellt. Es ist ein Wolf. Und der ist nicht allein. Es sind drei Tiere, deren Interesse sie offenbar geweckt hat. Die Raubtiere setzen sich sofort in Bewegung und rennen auf Marie Schmidt zu. Sie wendet ihr E-Bike und tritt in die Pedale. „Ich habe abwechselnd nur noch gebrüllt und geweint.“ Doch die Wölfe lassen sich davon nicht abhalten, die Radlerin auf dem Radweg zu verfolgen. Andere Radfahrer tauchen auf dem wenig frequentierten Weg nicht auf. „Sie sind bis auf vier, fünf Meter herangekommen. Ich habe sie deutlich wahrgenommen und ihren Atem gehört.“

Schnell kommen die ersten Häuser der Gemarkung Ebbingen in Sicht. Ein Umstand, der die Wölfe vermutlich ein wenig irritiert. „Sie sind langsamer geworden und schließlich auf dem Seitenstreifen stehen geblieben. Vielleicht haben sie während der Jagd auch erkannt, dass ich und das Fahrrad nicht zu ihrem Beutebild passen.“ Schmidt radelt aber dennoch weiter, bis sie sich ganz sicher ist, dass sie nicht mehr verfolgt wird. Und nun?
„Ich hatte keine Automöglichkeit und musste zur Arbeit. So habe ich nach einigen weiteren Minuten das Wagnis auf mich genommen, wieder Richtung Visselhövede zu fahren. Zumal auch viele Autos auf der benachbarten Straße unterwegs waren.“ Ihre Mutprobe geht auch einige Meter gut, bis zu der Stelle in Richtung Kettenburg, wo der Radweg wieder direkt auf die Landstraße trifft. „Dort standen die drei Wölfe ruhig und haben mich angeguckt. Zum Glück sind Autofahrer gekommen, die sie durch lautes Hupen wohl verschreckt haben. Denn wie auf Kommando sind sie im Unterholz verschwunden.“
Es ist jetzt so, dass man bei Spaziergängen überall und jederzeit auf Wölfe treffen kann.
In Visselhövede angekommen, berichtet sie ihren Kollegen und dem Chef das Erlebte. Der ruft beim Visselhöveder Ordnungsamt an und Mathias Haase rät, den zuständigen Wolfsberater Jürgen Cassier aus Kirchwalsede zu kontaktieren. „Das habe ich dann auch getan“, erzählt die junge Physiotherapeutin. „Er hat mir gesagt, dass man bei Begegnungen nicht flüchten sollte, weil das den Jagdtrieb der Wölfe animieren würde.“ Besser sei es, stehen zu bleiben oder langsam rückwärts zu gehen und vor allem laut zu sein. Das sei ein Verhalten, das die eigentlich scheuen Tiere vertreiben würde. „Das ist einfacher gesagt als getan“, so Marie Schmidt, die jetzt noch mehr auf der Hut ist, wenn sie mit ihren Pferden ausreitet.
„Dennoch ist es wichtig, nicht unnötig den Jagdinstinkt der Wölfe zu wecken“, sagt Jürgen Cassier aus Kirchwalsede, seit 2013 Wolfsberater im Landkreis Rotenburg. Wahrscheinlich habe Marie Schmidt genau das getan, als sie ihr Rad gewendet habe und losgedüst sei. Cassier betont aber auch, dass der Wolf an Menschen nicht sonderlich interessiert sei, weil sie nicht zu seinem Beutespektrum zählten. Wenn der Wolf von sich aus keinen Abstand nehme, könne versucht werden, durch lautes Rufen das Tier zum Weiterziehen zu bewegen. Begegnungen sollten immer dem zuständigen Wolfsberater gemeldet werden. „Das hat die junge Frau auch vorbildlich gemacht.“

Cassier hat diese von ihm als „Nahbegegnung“ eingestufte Situation umgehend dem Wolfsbüro des Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz mitgeteilt. „Dort wird man bei solchen Vorfällen natürlich hellhörig und die Fachleute wollten von mir wissen, ob es ähnliche Vorfälle in dem Bereich gegeben habe. Das ist aber nicht der Fall“, klärt Cassier auf.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist bereits in der Vergangenheit erschienen. Er hat viele Leserinnen und Leser besonders interessiert. Deshalb bieten wir ihn erneut an.
Aber grundsätzlich sei es im gesamten Landkreis Rotenburg jetzt so, „dass man bei Spaziergängen oder Fahrradtouren in Feld, Wald und Flur auf Wölfe treffen kann. Man sollte also immer Augen und Ohren offen halten und den Tieren mit Respekt begegnen.“