Das Leben in Mahlzeiten

Hütthof - Von Ulla Heyne. Was geben wir unseren Kindern mit? Was ist, wenn wir ans Ende der Generationenkette aufrücken? Und wer hat die Deutungshoheit über die Vergangenheit? Manchmal kommen die großen Fragen des Lebens ganz leise daher. Wie bei „Spargel in Afrika“, dem Gastspiel von Thomas Bammer am Samstag im Hütthofer Theater Metronom.
15 Monate ist es her, dass Bammer zum letzten Mal in Hütthof war; 1 000 Kilometer hat der Wahl-Österreicher zurückgelegt, um am Folgeabend erneut mit dem Theater Triebwerk und „Moby Dick“, zuerst aber mit dem Ein-Mann-Stück „Spargel in Afrika“ von Corinna Antelmann auf der Metronom-Bühne zu stehen.
Wobei: Eigentlich sind es zwei Personen, denn den sterbenden Vater, den der Mittsechziger im Krankenhaus besucht und bis zum Tod begleitet, verkörpert eine lebensgroße, fast bestürzend realistische Puppe mit seinem gealterten Ego.
Am Anfang ist der Spargel. Im Einspieler auf der Leinwand: eine Nahaufnahme des väterlichen Mundes. Still. Lang, fast unerträglich lang – für das Publikum genauso wie für den kleinen Jungen, der sich während der Mahlzeiten ein Stück Zuneigung oder wenigstens elterliches Interesse erhofft hätte.
Überhaupt, das Essen: In der Retrospektive angesichts des nahen Lebensendes scheint es eine omnipräsente Rolle gespielt zu haben – im Guten wie im Schlechten. Die gemeinsamen Erinnerungen an böhmische Serviettenknödel oder eben den vom afrikanischen Koch ruinierten Spargel – war es das, was das Leben des Altvorderen ausgemacht hat?
Oder ist das nur die Wahrnehmung des Sohnes, eine Realität von vielen? Das Hühnerfrikassee, das zunächst die Mutter, später der Sohn dem Kriegsheimkehrer kochten, um ihm alles recht zu machen: Sinnbilder für einen, der von allem genug hat oder doch nie genug. Einem, dem es in seiner Kindheit selbst nach Zuwendung dürstete, einem „Stück vom Mutterkuchen“.
Die letzte Aussprache, auch sie gelingt nur ansatzweise. Die Abrechnung – der Sohn hadert mit der Gefühlskälte des Vaters, mit der Entscheidung, ihn als Kind ins Internat abzuschieben, obwohl er es doch hätte besser wissen müssen, hatte sein Vater ihm doch das gleiche Schicksal angetan – , sie fällt erstaunlich milde aus.
Fast als hätte der Sohn anerkannt, dass sich ein Lebenskreis geschlossen hat und der Vater zum Kind wird, während er selbst eine Generation aufrückt. Behutsam und liebevoll, rührend und berührend.
Dabei kommt Thomas Bammer mit großer Präsenz und dichtem, eindringlichem Spiel, unterstützt nur durch Videoeinspieler, ohne große Gesten aus. „Spargel in Afrika“ ist mit gerade mal einer Stunde ein komprimiertes, kluges Stück über das Altwerden, das Sterben und Familiengeschichte mit all ihren Fehlern und Versäumnissen, die sich eben doch wiederholen.