„Rock bleibt der wichtigste Faktor“: Hurricane-Festival-Chef über Chancen und aktuelle Herausforderungen

Bald ist es so weit: Das Hurricane 2023 steht in den Startlöchern. Im Interview erklärt der Festival-Chef Folkert Koopmans die derzeitigen Herausforderungen des Großevents.
Scheeßel/Hamburg – Musik-Festivals, ob größerer oder kleinerer Art, gibt es hierzulande inzwischen viele. Das war 1997 noch anders: Damals schickte sich Folkert Koopmans an, zum ersten Mal in Scheeßel das Hurricane Festival vom Stapel zu lassen. Der Rest ist Geschichte. Wie aber steht es heute um das Mega-Spektakel? Wie sieht der Festival-Chef von FKP Scorpio das Hurricane aufgestellt? Vor welchen Herausforderungen steht man? Und warum würde er am liebsten Led Zeppelin wieder auferstehen lassen? Darüber haben wir uns mit dem 58-Jährigen unterhalten.
Herr Koopmans, es gibt Grund, die Korken knallen zu lassen: Das Hurricane Festival findet zum 25. Mal statt. Blicken wir doch mal zurück: Wie fing alles an?
Im Prinzip ging es schon mit der Gründung von FKP Scorpio 1990 los. Nachdem wir uns in den Folgejahren weiterentwickelt hatten, haben wir 1997 dann das erste Festival in Scheeßel stattfinden lassen – und das unter noch sehr schwierigen Verhältnissen.
Inwiefern das?
Wir wussten natürlich noch nicht so recht, wie das Festival funktioniert. Obwohl wir mit 12 000 Besuchern kalkuliert hatten, waren es bei der Erstauflage am Ende dann doch 20 000 Menschen. Gewinne haben wir aber trotzdem nicht eingefahren, weil wir viele Kosten schlichtweg unterschätzt oder gewisse Positionen einfach nicht bedacht hatten. Unser Erfahrungsschatz dahingehend war noch überschaubar – vor allem, was ein mehrtägiges Festival betrifft. Ja, das war schon alles sehr spannend, aber ich habe daran geglaubt und ein bisschen alles auf eine Karte gesetzt. Viele meiner Kollegen erklärten mich damals für verrückt, aber es hat ja dann funktioniert.
Wann begann das Festival denn damit, Gewinne abzuwerfen?
Vor dem Hintergrund, dass es damals noch wenig Festivals gab, ging das relativ schnell: Schon im zweiten Jahr haben wir mit dem Hurricane Geld verdient. Es gab aber auch immer mal wieder schlechte Zeiten dazwischen, wo man, aus welchen Gründen auch immer, Geld verloren hat – etwa in den Jahren 2000, 2006 und 2014. Aber insgesamt hat man schon eine gute Entwicklung gesehen.
Sicher dürfte auch das vergangene Jahr nicht zu den wirtschaftlichsten gezählt haben.
Nein, überhaupt nicht. Nach Corona ist die Entwicklung angesichts explodierender Kosten beängstigender denn je. Das ist aber nicht nur ein massives Problem bei uns, sondern in der Festivalwelt ein generelles. Dass wir 2022 mit einem ausverkauften Hurricane kein Geld verdient, sondern sogar verloren haben, lag natürlich auch daran, dass wir die Tickets im Prinzip schon drei Jahre vorher verkauft hatten. Weil jetzt aber natürlich auch alle Festivals von den Kosten überrollt werden, glaube ich, dass letztendlich nur noch 20 Prozent von ihnen Geld verdienen werden. Dieses Problem hat sich schon 2016/17 angedeutet, nach Corona ist es aber eben besonders schlimm geworden.
Wie gehen Sie als Veranstalter damit um?
Wir kämpfen damit, versuchen, die Kosten im Griff zu halten. Aber es ist unheimlich schwer. Wir haben natürlich auch einen extrem hohen Break-even-Point, also jenen Punkt, an dem Geld verdient wird. Und Geld verdient meine Firma inzwischen in erster Linie mit den großen Konzerten, etwa von den Rolling Stones oder Ed Sheeran.
Hat das Hurricane also langfristig gesehen noch eine Zukunft?
Natürlich wollen wir das Hurricane wie auch unsere anderen Festivals nicht aufgeben, weil sie letztendlich wichtig sind, zum Portfolio gehören und darüber hinaus viele Bands aufbauen. Aber es ist wie gesagt ein Problem, und wir beobachten die weitere Entwicklung angesichts der überall wachsenden Anforderungen doch sehr genau.
Kommen wir zum Booking. Muss man bei Verhandlungen heute überhaupt noch erklären, was das Hurricane ist?
Nein, das muss man erfreulicherweise nicht mehr. Das Hurricane wie auch das Southside haben einen Namen, wir gehören neben Rock am Ring, Rock im Park und Wacken schließlich auch zu den größten Festivals in Deutschland. Aber auch wenn wir den Bands nicht mehr erklären müssen, wer wer wir sind, heißt das natürlich nicht, dass sie deswegen kein Geld verlangen würden (lacht).
Was ist aus Ihrer Sicht das Spezielle an dem Festival?
Es ist natürlich eng mit der Region verbunden und für Scheeßel ein Aushängeschild. Wir merken, dass es lokal auch sehr gut angenommen wird und wir viel Unterstützung bekommen. Gerade in den letzten Jahren war uns als Veranstalter eine lokale Anbindung immer der wichtigste Punkt. Und mit den Aktionen, die wir vor Ort machen, funktioniert das auch sehr gut. Ansonsten haben wir uns musikalisch ein bisschen geöffnet, repräsentieren von Hip-Hop, Elektronik und Rock inzwischen viele Genres. Rock ist und bleibt beim Festival aber immer noch der wichtigste Faktor. Ansonsten gucken wir natürlich, dass wir die Veranstaltung weiterentwickeln, mit einer etwas hochwertigeren Gastronomie beispielsweise oder mit besseren Unterbringungsmöglichkeiten.
Da sprechen Sie einen Punkt an. Ein häufiger Vorwurf der Fans lautet, es gehe nicht mehr genug um die Musik .
Das kann ich so nicht nachvollziehen, weil wir ja immer noch 80 Bands und Künstler beim Festival spielen lassen. Letztendlich ist es ja auch so, dass die Gäste, was das Drumherum betrifft, eine Wahl haben. Sie können auf den einfachen Campingplatz oder sie können gehobener campen. Oder sie können die Bratwurst essen oder an den ganzen Foodtrucks etwas Spezielleres bestellen. Wir versuchen, für jeden etwas dabei zu haben.
Kommen wir zu einem anderen Kritikpunkt, nämlich den, dass man immer die gleichen Bands zu sehen – bekommt – für immer mehr Geld.
Ja, das ist durchaus ein Thema, aber Fakt ist: Es fehlen bezahlbare Bands. Ich hätte gerne eine Miley Cyrus als Headlinerin zum Beispiel, wobei die Rockfraktion da sicher entsetzt aufschreien würde. Aber ein solches Kaliber können wir uns gar nicht leisten, weil wir da schon über eine siebenstellige Summe sprechen – und wahrscheinlich steht davor keine Eins mehr. Selbst Bands wie Rammstein oder Coldplay könnte ich heute aufgrund der sehr hohen Festivalgagen, die sie verlangen, nicht mehr bezahlen. Das ist dann wiederum auch beim Eintrittspreis ein Problem, denn eigentlich müssten wir bei 80 Bands viel mehr Geld verlangen, können es aber nicht, weil natürlich auch wir merken, dass die Leute es sich nicht mehr leisten können. Auf der einen Seite haben wir also den Kostendruck, auf der anderen können wir mit dem Eintrittspreis nicht hochgehen – da sind wir am Limit.
Erst in diesem Jahr gab es eine ordentliche Preissteigerung. Das durchschnittliche Ticket kostet jetzt 249 Euro.
Ja, aber eigentlich hätte der Preis noch wesentlich höher ausfallen müssen – und das nicht nur wegen den teureren Bands. Im Schnitt haben wir durch die Bank weg eine Kostensteigerung von 30 Prozent – das betrifft unter anderem auch Lebensmittel, Pachten und Bühnen.

Es gab immer mal wieder Jahre, in denen das Festival ruckzuck ausverkauft war. Wie stehen die Chancen für 2023?
Der Vorverkauf läuft gut, vielleicht können wir noch mit einem Ausverkauf rechnen. Man wird sehen, wie sich das in den kommenden Wochen entwickelt. Entscheidend ist bei dem Ganzen das Angebot: Ich erinnere mich an das Jahr 2005, da war das Festival mit Rammstein, System of a Down und Oasis tatsächlich ganz schnell ausverkauft. Oder 2017, wo Linkin Park und Green Day spielten. Was man natürlich auch sagen muss: Das Gesamtangebot an Festivals, ob große oder kleine, ist in Deutschland unheimlich gewachsen. Inzwischen gibt es die quasi an jeder Ecke, viele Veranstalter testen den Markt gerade aus – und da sucht sich jeder potenzielle Besucher seine Nische und schaut natürlich auch auf das eigene Budget.
Eine Top-Band, die vor zehn Jahren vielleicht 40 000 Euro kostete, was verlangt die heute im Durchschnitt?
Sie ist heute zwischen zehn- und 20-mal so teuer.
Weil sie heute mit Einzelkonzerten mehr verdient als bei einem Festival?
Genau das ist der Punkt. Früher war das anders, da war es für eine Band einfach noch sehr interessant, auf Festivals zu spielen. Das war das Geschäft, wo man dann Geld gemacht hat. Die Band hat zum Beispiel eigene Shows für 10 000 Euro gespielt, aber beim Festival dann 50 000 Euro bekommen. Heute ist es genau andersherum – da müssen wir bei den Festivals kämpfen, während sie bei ihren eigenen Shows mehr Geld verdienen. Und je größer der Act, desto mehr entwickelt sich das. Ed Sheeran ist mit einem Ticketpreis von 80 Euro noch die große Ausnahme, ansonsten verlangen große Bands wie Coldplay oder Rammstein für ihre Stadionkonzerte schon 100 bis 200 Euro plus Premiumtickets, die womöglich dann 400 Euro kosten. Nein, für Acts von einem solchen Kaliber ist es mittlerweile interessanter, auf der ganz großen Bühne zu spielen, weil sie dort mehr Geld einnehmen, als wenn sie bei einem Festival auftreten würden.
Wenn ein Auftritt am Ende nicht stattfindet, hapert es also am Geld?
Das ist mit Sicherheit der Hauptpunkt, ja. Aber es kann auch mal an irgendwelchen Routings liegen, die nicht machbar sind. Sprich: Die Band hat zu dem und dem Zeitpunkt einfach keine Zeit.
Die Größe des Festivals ist mit genehmigten 78 000 Tickets seit Jahren unverändert. Ist weiteres Wachstum möglich?
Nein, größer wird das Hurricane definitiv nicht. Ich glaube sogar, dass es aufgrund der Tatsache, dass sich die ganze Festivallandschaft noch mehr diversifiziert, auf Dauer eher etwas kleiner wird.
Begrüßen Sie das?
Ich persönlich ja, aber ich habe natürlich auch den Kostendruck. Nehmen wir mal an, ich würde das Festival auf 70 000 Besucher beschränken und damit 8 000 Tickets weniger verkaufen – dann hätte ich das Problem, dass mir 8 000 Mal die Einnahmen fehlen. So einfach ist es also auch nicht. Daher wird man sehen müssen, wohin sich das Ganze entwickelt, ob beispielsweise noch mehr Leute bereit sind, noch mehr Geld für mehr Luxus und Komfort auszugeben. Das wäre vielleicht der Weg.
2022 mussten Besucher auf einen großen Supermarkt auf dem Veranstaltungsgelände verzichten. Wie stehen die Chancen für dieses Jahr?
Wir werden wieder einen eigenen Festival-Shop haben, der noch größer sein wird als der vom vergangenen Jahr. Man muss wissen: Die großen Lebensmittelmarkt-Ketten sind nach der Pandemie noch sehr zurückhaltend, was ihre Präsenz auf einem Festival betrifft. Es gibt noch Veranstalter mit Altverträgen, ansonsten haben aber alle Festivals das Problem, dass sie diesen Luxus im Augenblick nicht anbieten können. Wir sind dran, das zu ändern, nur muss es der Markt auch hergeben.
Wenn Sie eine Band, die nicht mehr unter uns weilt, einmal buchen könnten – welche wäre das?
Led Zeppelin!
Ui, da gehen wir ja ganz weit in die Rock-Historie zurück.
Ja, und dazu gibt es auch eine Geschichte zu erzählen: 2007 war es, dass ich zur letzten Led-Zeppelin-Show in London eingeladen wurde. Damals habe ich gedacht: Wenn die Band jetzt in der britischen Hauptstadt spielt, dann wird sie im nächsten Jahr bestimmt auf Tour kommen, wo ich sie mir noch hätte ansehen können. Kurzum: Ich habe die Einladung nicht angenommen, obwohl ich eh einen Tag später geschäftlich nach London fliegen musste. Darüber ärgere ich mich noch heute, denn Led Zeppelin sind nach diesem Konzert nie wieder aufgetaucht und werden es sicher auch nicht wieder.
Zur Person
Folkert Koopmans ist Geschäftsführer von FKP Scorpio. Zusammen mit Stephan Thanscheidt leitet der 58-Jährige das 1990 gegründete Hamburger Unternehmen. Die Konzertagentur ist nicht nur einer der größten deutschen Veranstalter für Tourneen und örtliche Konzerte, etwa von Ed Sheeran und The Rolling Stones, sondern auch einer der größten Festivalveranstalter Europas. Zum Festival-Repertoire gehören unter anderem das Hurricane, Southside, Highfield, M‘era Luna, Rolling Stone Beach oder das Deichbrand. International veranstaltet Scorpio unter anderem Best Kept Secret (NL), Rosendal Garden Party (S) oder Greenfield (CH).