Landratskandidat Marco Prietz über Corona und Wahlkampf: „Man muss analog und digital überzeugen“

CDU-Landratskandidat Marco Prietz muss eine Corona-bedingte Pause einlegen. Was er von den Maßnahmen hält, verrät er im Interview.
Rotenburg – Ausgebremst. Nicht nur das öffentliche Leben muss wieder teilweise in den Corona-Lockdown, sondern auch der Wahlkampf von Marco Prietz. Der 32-jährige CDU-Kandidat für das Landratsamt bei der Wahl im kommenden Jahr war eigentlich auf „Zuhör-Tour“, um Themen und Stimmungen einzufangen in der Region. Doch die steigenden Zahlen lassen das aktuell nicht mehr zu. Wie der Chef der Kreistag-Mehrheitsgruppe die Maßnahmen beurteilt und warum er sich eigentlich auch einen Gegenkandidaten für die Wahl wünscht, beantwortet er im Interview.
Sie sind derzeit auf einer sogenannten Zuhör-Tour unterwegs. Was hören Sie denn so?
Die Themen sind natürlich unterschiedlich, einiges wird aber fast immer angesprochen. Dazu gehört der Wunsch nach schnellem Internet, besseren Mobilfunkempfang, weniger Bürokratie und einer modernen Verwaltung. Klasse finde ich die durchweg positive und zupackende Art der Menschen, Vereine und Unternehmen, wenn es um die Zukunft geht. Diese Einstellung motiviert mich und passt zu meinem Selbstverständnis, als Landrat nicht nur zu verwalten, sondern auch zu gestalten. Leider musste ich die Zuhör-Tour aufgrund der Corona-Entwicklung jetzt bis mindestens Ende November auf Eis legen. Gesundheit geht definitiv vor.
Sollte ein Politiker, zumal jemand, der Landrat werden will, nicht vielmehr Antworten geben können statt nur zuzuhören?
Das Amt des Landrates als Chef einer Verwaltung mit mehr als 1 000 Mitarbeitern ist mit viel Verantwortung verbunden. Darauf sollte man sich gründlich vorbereiten. Das umfasst langjährige Praxiserfahrungen, die ich als Amtsleiter beim Landkreis Osterholz sammeln durfte, aber auch die Bereitschaft, den Menschen aktiv zuzuhören. Es ist ein unter Politikern weit verbreiteter Irrtum, alles am besten zu wissen. Niemand kann in jedem Thema Experte sein. Wenn Sie zum Beispiel erfahren möchten, wie es dem Mittelstand geht, dann reicht die Lektüre von Konjunkturberichten nicht aus, sondern Sie müssen in die Betriebe gehen und mit den Menschen reden. Dafür stehe ich.
Mit wem treffen Sie sich nicht, weil Sie diesen Menschen gar nicht zuhören wollen?
Natürlich werde ich bei 163 000 Einwohnern im Landkreis gerade in Corona-Zeiten immer nur mit einem Teil der Menschen persönlich sprechen können. Ich gebe mir aber viel Mühe, meine Termine abwechslungsreich aufzustellen und möglichst viele Sichtweisen einzubeziehen. Allein in den ersten Wochen war von Handwerkern und Landwirten, über Lehrer bis hin zu Bürgerinitiativen gegen Erdgas oder einem Förderverein für mehr Bahnverkehr vieles dabei. Ich werde auch ganz bewusst dort hingehen, wo man einen Kandidaten der CDU nicht als erstes vermutet. Widerspruch ist nämlich oft viel produktiver als Lobhudelei.
Können Sie schon sagen, was die größten Probleme sind, die der Landrat hier lösen muss?
Wir leben in einem attraktiven Landkreis mit starken mittelständischen Betrieben, einer intakten Gesellschaft und einer einzigartigen Natur. Die Kreisverwaltung ist leistungsfähig, und die Finanzen des Kreises sehen hervorragend aus. Eine so gute Ausgangslage birgt immer das Risiko, sich auf dem Erreichten auszuruhen. Davor kann ich nur warnen. Wir müssen uns um digitale Infrastrukturen, Wirtschaftsförderung, Bildung und die Modernisierung der Kreisverwaltung kümmern, damit wir auch in 10 oder 15 Jahren noch erfolgreich sind. Mich beschäftigen auch die Entwicklung unserer Dörfer, die Zukunft der Mobilität und die Gesundheitsversorgung. Zum Teil keine gesetzlichen Pflichtaufgaben einer Kreisverwaltung, aber Aspekte, die uns auf die Füße fallen, wenn wir hier Entwicklungen verpassen.
Wie bereiten Sie eigentlich in der Coronazeit den Wahlkampf 2021 vor? Es wird vermutlich vieles anders laufen müssen.
Wir stehen alle vor einer ungewohnten Situation. Die klassischen Treffpunkte wie Karneval oder Schützenfeste, auf denen man sonst mit vielen Menschen ins Gespräch kommen kann, fallen zu meinem Bedauern vermutlich 2021 weg. Die Parteien und Kandidaten werden sich deshalb neue geeignete Formate überlegen müssen. Für mich war schon vor Corona klar, dass ich für die Menschen über moderne Kommunikationswege erreichbar sein möchte. Deshalb bin ich viel auf Facebook und Instagram unterwegs und bekomme dort wertvolle Rückmeldungen, auch von jungen Menschen und Leuten, die sich ansonsten vielleicht nicht tagtäglich mit Kommunalpolitik befassen. Meine Prognose: 2021 gewinnen die Kandidaten, die analog und digital überzeugen. Beide Welten bedingen einander.
Der Unmut der Menschen auch vor dem Hintergrund der jüngst getroffenen Corona-Maßnahmen steigt merklich. Haben Sie Verständnis für alles, was in Berlin und Hannover so entschieden wird?
Viele Entscheidungen finde ich nachvollziehbar und richtig. Wir können nicht die Augen vor der Pandemie verschließen und die Entwicklung einfach laufen lassen. Das ist keine Lösung. Ältere Mitbürger und Menschen mit Vorerkrankungen müssen geschützt werden. Das ist für mich auch eine ethische Frage. Allerdings müssen alle Beschränkungen wirksam und verhältnismäßig sein, um weiterhin auf Akzeptanz zu stoßen. Die pauschale Schließung der Gastronomie schießt in meinen Augen übers Ziel hinaus. Nicht der Mittagstisch beim Italiener oder die Tasse Kaffee beim Bäcker haben die Fallzahlen hochgetrieben, sondern vielerorts Feiern mit Alkohol in privaten Wohnungen und Gärten. Das sollte sich doch eigentlich bis nach Berlin rumgesprochen haben.
Der noch amtierende Landrat und Ihr Parteifreund Hermann Luttmann hat sich oft kritisch geäußert und vehement für regionalere Regelungen geworben. Wäre das auch vor dem Hintergrund der hier vergleichsweise geringen Fallzahlen nicht sinnvoller?
Es gab bei uns im Frühjahr und Sommer Phasen ohne Neuinfektionen, während in einzelnen Landkreisen in Nordrhein-Westfalen oder Bayern relativ viele Corona-Patienten auf den Intensivstationen waren. Hermann Luttmann hat damals dafür geworben, unterschiedliche Situationen nicht über einen Kamm zu scheren, sondern auf die jeweilige Lage vor Ort zu reagieren. Diese Forderung war richtig. Jetzt ist die Situation allerdings eine andere. Deutschland ist fast flächendeckend Risikogebiet. Wir werden das Virus nur eindämmen können, wenn das Verständnis der Menschen für die Corona-Regeln hoch ist. Tagesaktuell unterschiedliche Regeln in benachbarten Landkreisen sind kontraproduktiv. Es kann doch nicht sein, dass man sich letzte Woche in Neu St. Jürgen (Kreis Osterholz) nur mit zwei Haushalten treffen durfte, acht Kilometer weiter in Tarmstedt aber ein Frühshoppen mit bis zu 100 Gästen hätte durchführen können. Corona orientiert sich nicht an Kreisgrenzen. Bei solchen Unterschieden steigt kein Mensch mehr durch und die Akzeptanz sinkt.

Sie sind selbst, nicht nur auf der Zuhör-Tour, viel unterwegs. Schützen Sie sich und Ihre Familie ausreichend?
Alle Termine in den letzten Wochen wurden mit ausreichend Abstand und Maske durchgeführt. Ich bin seit Februar nicht einen Tag krank gewesen, was sicherlich auch daran liegt, dass das obligatorische Händeschütteln oder die Umarmung leider unterbleiben müssen. Eine hundertprozentige Sicherheit hat allerdings niemand. Da müsste man sich schon zu Hause einschließen, was sicherlich nicht zur seelischen Gesundheit und im Übrigen auch nicht zur Bürgernähe von Politikern beiträgt.
Sie haben mal aus Spaß gesagt, vielleicht der einzige amtierende Landrat zu werden, der als Besucher beim Wacken Open Air zu Gast ist und sich Metal um die Ohren blasen lässt. Was glauben Sie, wann wir wieder zu einer gewissen Normalität im Freizeitverhalten bei Konzerten, in Kneipen und Festen übergehen können?
Ich glaube leider nicht, dass es im nächsten Sommer Schützenfeste oder Festivals geben wird. Da müssten wir schon sehr viel Glück mit den momentan in der Erprobung befindlichen Impfstoffen haben. Daher liegt meine Wacken-Karte zwar unverändert in der Schublade, wird aber vermutlich erst im August 2022 zum Einsatz kommen. Mit der gleichen Musik und denselben Freunden wie in den letzten zehn Jahren. Darauf freue ich mich heute schon.
Vermissen Sie eigentlich einen Gegenkandidaten im Wahlkampf?
Die SPD hat ja angekündigt, zeitnah ihren Kandidaten vorstellen zu wollen. Insofern freue ich mich auf den Wahlkampf und die inhaltliche Auseinandersetzung.
Warum haben die anderen Parteien niemanden? Erwarten Sie noch jemanden?
Die Kandidatensuche wird bei Landrats- und Bürgermeisterwahlen flächendeckend schwieriger. Ich bin im Landkreis Rotenburg groß geworden, arbeite in einer benachbarten Kreisverwaltung und bin seit 2016 Fraktionschef im Rotenburger Kreistag. Mit keinem Job auf der Welt könnte ich mich besser identifizieren als mit dem des Landrates meiner Heimat. Das ist eine ganz natürliche Entwicklung gewesen. Niemand musste mich von einer Kandidatur überzeugen. Offenbar gilt das bislang nicht für weitere Kandidaten. Ich bin mir aber sicher, dass es noch Mitbewerber geben wird, und finde es wichtig, dass die Bürger eine Wahl haben. Der Landrat wird nicht von der CDU festgelegt, sondern muss sich das Vertrauen der Menschen im Landkreis redlich verdienen. Das ist mein Ziel, und daran arbeite ich jeden Tag.